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Im Sommer war aus seinen Briefen an der Front nicht mehr viel Siegeszuversicht herauszulesen. Anfang des Herbstes kam die Todesnachricht: Heldentod durch Bauchschuß südwestlich des Ilmensees. Von der Kompanie hatte kaum jemand überlebt. Vor einigen Jahren erzählte mir ein Funktionär des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, welche schönen großen Ehrenfriedhöfe jetzt in Rußland entständen. Da fänden die sorgsam ausgegrabenen Überreste der deutschen Soldaten für immer einen würdigen Platz, an dem die Angehörigen oder Nachkommen ihrer gedenken könnten. Bei dem Wort Ehre stutze ich immer. Ehrenwort, Ehrensache, Feld der Ehre, Ehrenfriedhof, Treue ist das Mark der Ehre – was ist damit gemeint? Ehrenfriedhöfe sollen ewig bestehen bleiben. Auf einem normalen deutschen Friedhof dagegen kauft man ein Grab gewöhnlich für 20 oder 25 Jahre, dann endet das »Ruherecht«. Gebührt Soldaten – und zwar allen – mehr Ehrung als den Zivilisten? Unendlich viel mehr? Der Funktionär des »Volksbunds« erzählte mir auch begeistert von der Milliardensumme, die schon für Ehrenfriedhöfe ausgegeben worden sei, und von den braven Bundeswehrsoldaten und den braven Schulkindern, die alljährlich in den Wochen um den »Volkstrauertag« für den »Volksbund« sammeln. Er ließ erst von mir ab, als ich ihm sagte, ich fände den angeblichen Heldentod in einem Angriffskrieg und erst recht in diesem verbrecherischsten massenmörderischsten aller Angriffskriege weder süß noch ehrenvoll, und es widerstrebe mir, daß die überfallenen Völker nun auch noch etliche Quadratkilometer ihrer Erde auf ewig den Aggressoren überlassen müßten. In meinem Namen handele der »Volksbund« jedenfalls nicht, wenn er meinem Vater in Rußland ein »Ehrengrab« bereite. * Die verdienstvolle »Initiative gegen falsche Glorie«, bekannt vor allem durch ihren ausdauernden Kampf gegen die Ehrung von Generälen der Naziwehrmacht als Namenspatronen von Bundeswehrkasernen, empfiehlt das neue, Anfang Mai erschienene Buch von Wigbert Benz: »Der Hungerplan im ›Unternehmen Barbarossa‹ 1941«. Der Historiker kommt zu dem Ergebnis, daß der deutsche Überfall auf die UdSSR von vornherein als Eroberungs- und Vernichtungskrieg geplant war. Das Erobern gelang ihr letztlich nicht, aber beim Vernichten hatte sie großen Erfolg. Planmäßig ließ sie mehrere Millionen Menschen verhungern: allein in Leningrad eine Million Einwohner und mehr als zwei Millionen in deutschen Kriegsgefangenenlagern. Insgesamt wurden 27 Millionen Sowjetbürger Opfer des deutschen Angriffskriegs. Benz beendet sein kleines Buch (erschienen im Wissenschaftlichen Verlag Berlin, 84 Seiten, 16 Euro) mit der Prognose, daß der 22. Juni 2011 »kein großes Thema in den Medien der Bundesrepublik Deutschland sein wird. Viele Bundesbürger werden anno 2011 beim Begriff ›Hungerplan‹ an einen Diätplan zum Abspecken überflüssiger Pfunde denken«. Gerade das Verhungernlassen der Kriegsgefangenen ist ein vielbeschwiegenes Thema. Der badische Geschichtslehrer Christian Streit griff es 1978 auf, und sein jüngerer Kollege Benz zeigt nun: Die vor Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion in Hermann Görings Vierjahresplan ausgearbeiteten wirtschaftspolitischen Richtlinien sahen vor, daß »zig Millionen Menschen in den besetzten Gebieten der UdSSR verhungern sollten. Dieser Massenmord blieb kein Geheimnis – konnte es nicht bleiben, weil große Teile der Wehrmacht daran beteiligt waren. Auch die Zivilbevölkerung mitten in Deutschland wurde Zeuge. Im Landkreis Celle zum Beispiel waren drei Areale schon vor dem 22. Juni eingezäunt worden. Rund 100.000 sowjetische Gefangene wurden hier gleich in den ersten Kriegswochen eingesperrt. Es gab keinerlei Unterkünfte. Die Gefangenen versuchten, sich in den Waldboden einzugraben. Zu essen bekamen sie nichts. Anfangs ernährten sie sich von Baumrinde und Holz, solange noch Bäume standen. Sie schrien vor Hunger. Sonntagnachmittags kamen Einwohner der benachbarten Orte scharenweise, um sie durch den Zaun zu beobachten. Kriegsgefangene aus der Sowjetunion waren auch die ersten Opfer in den Gaskammern von Auschwitz. Später ließ man sie, solange ihre Kräfte reichten, in der Rüstungsindustrie arbeiten. * An vorderster Front kämpften im Rußland-Feldzug die Gebirgsjäger von General Rudolf Konrad (1891-1964). Am 20. April 1942, Hitlers Geburtstag, rühmte er in einer Ansprache das »Feldherrengenie des Führers« und log: »Sein Verdienst war es, das Eindringen der bolschewistischen Horden in Europa im richtigen Augenblick zu erkennen und den Stoß blitzschnell zu parieren.« Später ließ Konrad auf der Krim ganze Ortschaften in Grund und Boden bombardieren – zur »Vergeltung«: »Banditen« hätten »zum Zweck der Lebensmittelbeschaffung« Überfälle verübt. Nach diesem General ist jetzt eine Kaserne der Bundeswehr in Bad Reichenhall benannt. Es gab deutsche Helden in diesem Krieg. Einer war Fritz Schmenkel. Er kämpfte auf der Seite der Partisanen, um mit ihnen den Faschismus niederzuringen. Die Sowjetunion ehrte ihn mit ihrem höchsten Kriegsorden. Ich erfuhr von ihm vor einigen Jahren bei einem Besuch im Kriegsmuseum am Platz der Republik in der belorussischen Hauptstadt Minsk. Es freute mich, wie dort sein Andenken gehütet wurde. Wer in Deutschland kennt seinen Namen? In den Auseinandersetzungen um die Namen von Bundeswehrkasernen war es ein großer Erfolg, als am 8. Mai 2000 die Kaserne in Rendsburg nach dem Feldwebel Anton Schmid (1900–1942) benannt wurde. Dieser Soldat hatte im Getto von Wilna vielen Juden zu Lebensmitteln und manchen zur Flucht verholfen. Für sein selbstloses Handeln wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet. Inzwischen hat die Bundeswehr diese Kaserne aufgegeben, ihr Name ist erloschen. Seit fünf Jahren liegt ein Antrag vor, die Sanitätsakademie in München nach dem Sanitätsfeldwebel Hans Scholl zu benennen, der, angewidert von Kriegserlebnissen in Rußland, zum Nazi-Gegner wurde, gemeinsam mit seiner Schwester Sophie und einigen Freunden die Widerstandsgruppe »Weiße Rose« gründete und nach deren Entdeckung hingerichtet wurde. Bisher konnte sich das Verteidigungsministerium nicht entschließen, dem Antrag zu folgen. Und in Torgau, wo die massenmörderische deutsche Militärjustiz ihren Sitz hatte, werden Täter und Opfer in gleicher Weise geehrt – »ein Schandmal«, wie es der Sprecher der Bundesvereinigung Opfer der Militärjustiz, Ludwig Baumann, vor einem Jahr bei der Einweihung genannt hat. Im April teilte die Stadtverwaltung Leipzig mit, die Eggebrechtstraße werde umbenannt. So heißt sie gerade erst ein Jahr lang – benannt nach dem aus Leipzig stammenden fleißigen Weltbühne-Mitarbeiter zu Carl von Ossietzkys Zeiten, nach 1945 Lehrmeister eines aufklärenden, demokratischen Rundfunks, Verfasser wunderbarer Bücher wie »Meine Weltliteratur«. Mir war er ein lieber väterlicher Freund. Die Straße soll jetzt einen Namen erhalten, der zur dort, im Leipziger Südosten, angesiedelten Medizin-Industrie paßt. Passen Namen von Antimilitaristen noch, wenn sich Deutschland längst wieder an Angriffskriegen beteiligt?
Erschienen in Ossietzky 10/2011 |
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