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Berlins atomare MitteKlaus-Dieter Heiser / Lühr Henken Der diesjährige Berliner Ostermarsch begann unweit des gewaltigen Neubaus der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes und führte zunächst auf der Chaussee- und der Friedrichstraße zu den Hauptstadtbüros der großen Atomenergie-Konzerne Vattenfall, e.on, EnBW und RWE, dann zur Russischen Botschaft Unter den Linden und schließlich nahe dem Brandenburger Tor zu den Vertretungen Großbritanniens, Frankreichs, der USA und der Europäischen Union, wo Klaus-Dieter Heiser und Lühr Henken einige Einzelheiten über die nuklearen Bedrohungen vortrugen, die von diesen mit der Bundesrepublik Deutschland verbündeten Mächten ausgehen. Großbritannien Großbritannien besitzt Trident-Raketen und eine Flotte atomar angetriebener U-Boote. Jedes der »Vanguard«-Boote kann 16 »Trident«-Raketen mit bis zu zwölf Sprengköpfen pro Rakete aufnehmen. Jeder Sprengkopf hat eine Sprengkraft von 100 Kilotonnen – das entspricht 380 Hiroshima-Bomben. Die Raketen haben eine Reichweite von 7.400 Kilometern und können somit Rußland oder den Nahen Osten erreichen. Ununterbrochen patrouilliert ein U-Boot im Atlantik, während ein weiteres gewartet wird und die zwei übrigen im Hafen bleiben oder an militärischen Übungen teilnehmen. Im März 2007 beschloß das britische Parlament eine Erneuerung der »Trident«-Raketen. Ein Ersatz wird bis zu 20 Milliarden britische Pfund kosten. In Großbritannien sind zur Zeit 19 Atom-Reaktoren in Betrieb, von denen viele bereits 30 Jahre oder älter sind. Sie liefern 15 Prozent der Gesamtstromproduktion. In Sellafield an der irischen See in Nordwestengland befindet sich ein großer Nuklearkomplex, der durch häufige Störfälle bekannt ist. Die Wiederaufbereitungsanlage Sellafield hat bereits mehr als eine halbe Tonne hochgiftigen Plutoniums ins Meer geleitet. Inzwischen wurde Plutonium aus Sellafield in den Zähnen englischer Kinder nachgewiesen. Bei voller Auslastung emittiert die Anlage jährlich ein Fünftel der im Super-GAU von Tschernobyl freigesetzten Radioaktivität. Frankreich Auch Präsident Nikolas Sarkozy hält an der nuklearen Abschreckung fest, obwohl Frankreich den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und sich damit zur Abrüstung seiner Nuklearwaffen verpflichtet hat. Es gibt kein Anzeichen dafür, daß Frankreich auf sein Atomwaffenarsenal verzichten will, im Gegenteil: Frankreich plant die Entwicklung, Produktion und Stationierung neuer Atomwaffen. Es verfügt über drei U-Boote vom Typ »Le Triomphant« und eines der »Barracuda«-Klasse, die mit 16 Raketen vom Typ M45 bestückt sind. Jede Rakete kann sechs Sprengköpfe vom Typ TN75 zum Einsatz bringen. Vermutlich verfügt Frankreich gegenwärtig über insgesamt 288 Sprengköpfe dieses Typs. Drei Geschwader bilden die atomare Bomberstreitmacht. Die »Mirage«-Flugzeuge werden durch neue Mehrzweck-Kampfbomber »Rafale« ersetzt. Bisher sind 55 »Rafale« im Einsatz, 234 wurden bestellt. Allein für die Anschaffung dieser Maschinen wird Frankreich mehr als 40 Milliarden Euro ausgeben. Auch energiepolitisch ist Frankreich ein Atomland. 59 kommerziell genutzte Reaktoren sind in Betrieb. Frankreich bezieht 75 Prozent seines Stroms aus Atomenergie und verbaut sich mit seinen Schrottreaktoren einen Umstieg in eine solare Energieerzeugung. Europäische Union Im Juni 1999 traf die EU die grundsätzliche Entscheidung, eine eigene Eingreiftruppe für globale Kriegseinsätze aufzustellen. Erste Einsätze folgten bereits im Jahr 2003, seither wird immer häufiger Militär zur Durchsetzung europäischer Interessen entsandt. Eine der wichtigsten – häufig übersehenen – Neuerungen des Vertrags von Lissabon ist die enorme Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Europäischen Union zugunsten ihrer stärksten Mitgliedsstaaten. Im Militärbereich findet diese Zentralisierung mit der Einführung der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« ihre Entsprechung. Mit dem »Anschubfonds« nach Artikel 41 (3) des Lissabon-Vertrags, aus dem auch Militärausgaben beglichen werden können, wurde die Militarisierung der EU weiter vorangetrieben. Für diese Ausgaben ist eine Haushaltskontrolle durch das Europäische Parlament oder die nationalstaatlichen Parlamente nicht vorgesehen. Die Europäische Union unterstützt durch »Euratom« massiv die Atompolitik ihrer Mitgliedsländer. Allein für die Fusionsforschung sollen mehr als 7,5 Milliarden Euro ausgegeben werden. Kritiker rechnen damit, daß sich dieser Betrag mehr als verdoppeln wird. USA Nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums vom 3. Mai 2010 enthält das US-Atomwaffenarsenal 5.113 Sprengköpfe, von denen 2.468 einsatzbereit sind. In ihrer Militärstrategie haben die USA ausdrücklich vorgesehen, Atomwaffen auch gegen Staaten einzusetzen, die keine Atomwaffen besitzen, oder »präventiv« beim Verdacht eines geplanten Angriffes mit Massenvernichtungswaffen. Die USA lagern einen Teil ihrer aktiven Atomwaffen in Europa, und zwar rund 200 nukleare Bomben der Typen B-61-3 und B-61-4. Diese Waffen sind für NATO-Aufgaben und für den Einsatz durch US-Jagdbomber sowie im Rahmen der »nuklearen Teilhabe« der NATO-Staaten vorgesehen. Heute gibt es in fünf europäischen Ländern Lager mit aktiven Nuklearwaffen: Im deutschen Büchel lagern etwa 20, im belgischen Kleine Brogel und im niederländischen Volkel jeweils zehn bis 20, im italienischen Aviano etwa 50 und im türkischen Incirlik 90 Atomwaffen. Zwar werden Sprengköpfe verschrottet, und die Neuentwicklung atomarer Sprengköpfe ist gestoppt, zumindest zum Teil. Aber mit Milliardenaufträgen füttert Präsident Obama die Militärindustrie, damit sie die Bombenarsenale »modernisiert«, bereits getestete neue Sprengköpfe weiterentwickelt , also ihre Wirksamkeit erhöht. 2010 wurden weltweit 1620 Milliarden US-Dollar für Rüstungsprojekte aufgewendet. Allein die USA hatten Militärausgaben von 698 Milliarden Dollar. Die bedeutendsten Waffenhersteller der Welt sitzen in den USA. Der größte dieser Konzern, Lockheed Martin, hat direkt am Brandenburger Tor seine Hauptstadtrepräsentanz, der Flugzeugbauer Boeing am Potsdamer Platz.
Erschienen in Ossietzky 10/2011 |
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