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Das ist schlecht im »Weltkrieg um Weltmacht«, als dessen Stratege sich Steingart publizistisch hervorgetan hat. Wieso kommt in europäischen Landen vielfach das falsche genetische Repertoire vor? Es wird wohl an der sozialstaatlichen Verweichlichung liegen; auch über diese hat Steingart schon Klage geführt, einen Werteverlust befürchtend. In jungen Jahren, berichtet Wikipedia, habe der heutige Starjournalist sich bereits kommunalpolitisch engagiert, im Milieu der Grünen, in Sachen Finanzpolitik. Nun ist er Chefredakteur des Handelsblattes. Clara Tölle Daß es im Mutterland des raubtierhaften Neoliberalismus um Arbeitnehmerrechte nicht zum Besten steht, war seit langem bekannt. Gleichwohl frappiert die ungemein rüde Art und Weise, in der sich die Administration des Friedensnobelpreisträgers Barack Hussein Obama just am 1. Mai – dem internationalen Tag der Arbeit – eines ehemaligen Mitarbeiters ihres Geheimdienstes CIA entledigt hat, der abtrünnig und zum meistgesuchten Terroristen dieses Planeten geworden war. Die Rede ist von Osama bin Laden und seiner Truppe, die von den USA in die Welt gesetzt worden war, wie Hillary Rodham Clinton höchstselbst zugegeben hat. Wortwörtlich gab die US-Außenministerin in einem Interview, das sie am 7. November vergangenen Jahres im australischen Melbourne Seit’ an Seit’ mit Kriegsminister Robert Gates in der Sendung ABC’s Nightline bestritt, zu Protokoll: »Einen Teil dessen, wogegen wir momentan kämpfen, haben die USA selbst geschaffen. Wir haben die Mudjahedin-Streitmacht gegen die Sowjetunion aufgebaut. Wir haben sie ausgebildet, ausgerüstet und finanziert, einschließlich eines gewissen Osama bin Laden.« Dieser Aspekt eines hausgemachten Terrorismus wird in den Berichten und Kommentaren über jene »Operation Neptune’s Spear«, die eine unter dem Rubrum »United States Naval Special Warfare Development Group« speziell zur militärischen Terrorismusbekämpfung eingesetzte US-Sondereinheit im pakistanischen Abottabad ausführte, geflissentlich unterschlagen. Ein Beispiel solcher Desinformation lieferte die Wochenzeitung Der Freitag mit einem aus dem englischen Guardian übernommenen Artikel, in dem sich gleich zwei haltlose Behauptungen finden, nämlich erstens, daß es sich um eine »Legende« handele, wenn gesagt werde, daß Al Qaida aus Männern bestehe, welche von der CIA in den 1980er Jahren für den Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan ausgebildet wurden und sich dann gegen ihre Lehrmeister gewandt hätten, und zweitens: »Osama bin Laden wurde nicht von der CIA erschaffen, wie später oft behauptet.« Ob die Autoren Jason Burke und Lawrence Joffe die US-Außenministerin damit tatsächlich der Lüge zeihen wollen? Entlarvend ist der Umstand, daß dem Ziel, das es zu liquidieren galt, der Codename »Geronimo« zugeteilt wurde. So hieß ein berühmt-berüchtigter Indianerhäuptling, der zäh und gerissen über lange Jahre hinweg mit seinen Apachenkriegern einen Guerillakrieg gegen die US-Kavallerie führte. Unwillkürlich offenbart sich in dieser Namenswahl die in der weißen US-Gesellschaft latent fortwirkende Perzeption der indigenen Urbevölkerung. Denn gemäß heutzutage gültiger Terminologie waren jene blutrünstigen Indianer, welche geradezu fanatisch an ihrer traditionellen Lebensweise festhalten wollten und sich den ihnen vom weißen Mann dargebrachten Segnungen der Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Marktwirtschaft gewalttätig zu widersetzen wagten, selbstverständlich ebenso Terroristen wie derzeit die »Islamisten«, für die US-Soldaten in ihrer Ausbildung viele Spott- und Schimpfworte lernen. »Geronimo EKIA!« (Enemy Killed In Action – Feind im Kampf getötet), so lautete die Meldung an den Oberbefehlshaber, nachdem das Sonderkommando der Navy SEALs den Lynchmord am Staatsfeind Nummer eins verübt hatte. Sagte ich Lynchmord? Zum Thema Lynchjustiz findet sich im Brockhaus folgender Eintrag: »gesetzwidriges Töten oder Mißhandeln eines (vermeintlichen oder tatsächlichen) Täters ohne gerichtliches Verfahren, meist durch eine erregte Menge; ursprünglich ein Zeichen für fehlende Durchsetzungskraft staatlicher Strafrechtspflege.« Das beschreibt den in Rede stehenden Vorgang ziemlich präzise. Zwar hatte Präsident George W. Bush unmittelbar nach 9/11 in der Tradition US-amerikanischer Kopfgeldjäger getönt, daß er Bin Laden »tot oder lebendig« haben wolle, doch hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution 1373 vom 28. September 2001 anderes beschlossen, nämlich daß »alle Staaten sicherstellen werden, daß alle Personen, die an der Finanzierung, Planung, Vorbereitung oder Begehung terroristischer Handlungen oder an deren Unterstützung mitwirken, vor Gericht gestellt werden«. Von einer Lizenz zum »Abknallen von Mördern«, wie der Chefredakteur des Westdeutschen Rundfunks, Jörg Schönenborn, in seinem bemerkenswerten Tagesthemen-Kommentar vom 2. Mai treffend anmerkte, konnte demnach keine Rede sein. Den vormaligen Jura-Professor Obama vermochte dies nicht im Geringsten zu kratzen, hatte er doch schon im Wahlkampf 2008 geschworen: »Wir werden Bin Laden töten.« Und so geschah es denn auch: Gemeinsam mit einigen Getreuen sowie seinem Sohn wurde der unbewaffnete Chefterrorist ohne viel Federlesens von einem Kommando uniformierter Mörder im staatlichen Auftrag exekutiert. OffiziersnachwuchsDarf man, soll man gar über den Erfolg der »Kill mission« Freude empfinden und äußern? Zu dieser Frage leistet auch die Junge Freiheit, das Wochenblatt der Neuen Rechten, einen bemerkenswerten Beitrag, in dem sie das Verhältnis von »Macht und Moral« erörtert. Politik könne machen, schreibt der Autor, wer über Macht verfüge, und »Macht kommt aus den Gewehrläufen«. Moral aber sei eine flexible Größe, sie könne je nach dem politischen Standort zur Legitimierung oder zur Delegitimierung von Machthabern eingesetzt werden. »Osamas Tod – ein Grund zum Jubeln?« Die Antwort: »Wenn ich mich für die passende Seite entschieden habe, darf ich mich über den Tod Bin Ladens freuen.« Also können moralische Normen zur Zügelung der Machtinteressen gewaltsam agierender Staaten keine Geltung beanspruchen – sagt uns der Autor der Jungen Freiheit. Er ist, wie die Redaktion mitteilt, »studierender Offizier an der Hochschule der Bundeswehr« im Fach Staatswissenschaften. Marja Winken Der sogenannte Justizminister der USA, Eric Holder, versuchte diese Vorgehensweise mit den Worten zu rechtfertigen, es sei »rechtmäßig, einen feindlichen Kommandeur im Feld ins Visier zu nehmen«. Zum Zwecke der Rechtfertigung einer extralegalen Hinrichtung wird dem Al-Qaida-Chef post mortem flugs das zugebilligt, was ihm und seinen Gefolgsleuten bis dato verwehrt war, nämlich der Status eines rechtmäßigen Kombattanten in einem bewaffneten Konflikt. Da darf man gespannt sein, ob die Insassen der in Guantanamo, Bagram und anderswo unterhaltenen Konzentrationslager fürderhin gemäß Kriegsvölkerrecht als Kriegsgefangene behandelt werden. Davon abgesehen ließe sich einwenden, daß OBLs Henker ihn lediglich gemäß ebenjener Maxime behandelt hätten, die er selbst zuvor seinen Terrorakten zugrundegelegt hatte, nämlich daß es erlaubt sei, zu politischen Zwecken gesetzeswidrig Menschen, gleich ob schuldig oder unschuldig, zu töten, und daß demzufolge mit seiner Liquidierung, wie US-Präsident Obama sich ausdrückte, »der Gerechtigkeit Genüge getan« worden sei. Wer so argumentiert, muß sich dann allerdings auch bewußt sein, daß er lediglich den Teufel des Privatterrorismus eines Osama mit dem Beelzebub des Staatsterrorismus á la Obama austreibt. Beider moralisches Niveau ist allemal dasselbe, nämlich schlicht bodenlos. Dasselbe trifft, nur am Rande bemerkt, auf eine Bundeskanzlerin zu, die kundtut, sie freue sich, daß es gelungen sei, Bin Laden zu töten. Freilich läßt sich selbst solche Armut an Geist und Moral noch unterbieten, wie Henryk M. Broder mit seiner Schmutztirade beweist, die er am 8. Mai in der Welt am Sonntag abgesondert hat. »Ihr feigen Deutschen!« krakeelt er und insinuiert, wir seien »keine Pazifisten, sondern nur faul, feige und passiv-aggressiv. Vom ständigen Gefühl der eigenen Unterlegenheit geplagt, gönnen sie anderen keine Demonstration der Überlegenheit.« Es wäre ein Glück, wenn diese Nation so lernfähig wäre, angesichts der Erfahrungen, die sie im Zuge ihrer eigenen von Größenwahn geprägten Versuche, anderen Völkern Dominanz zu beweisen, in der jüngeren Vergangenheit gesammelt hat, den völkerrechtsbrecherischen, massenmörderischen Überlegenheitsdemonstrationen der Supermacht USA nichts mehr abzugewinnen. Es sei, so schrieb der große Karl Kraus einst in seiner Fackel, die »schmutzige Zumutung der Macht an den Geist: Lüge für Wahrheit, Unrecht für Recht und Tollwut für Vernunft zu halten«. Bild, Welt, Bild am Sonntag, Welt am Sonntag und all die anderen Publikationen des Springer-Konzerns stellen zweifellos eine Macht dar, und was Broder dort verbreitet, ist allemal eine Zumutung.
Erschienen in Ossietzky 10/2011 |
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