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So wissen wir nun, was im sozialdemokratischen Kopfe beheimatet ist, etwa dieses: Deutschland schafft sich ab, weil die falsche Schicht zu viele Kinder produziert – Unterschichtkinder nämlich »erben gemäß den Mendelschen Gesetzen die intellektuelle Ausstattung ihrer Eltern«, und die ist, wie der Grundsatzsozialdemokrat ja weiß, allzu dürftig. Aber woher diese unterschichtige Freude an Nachwuchs? Auch das weiß der Sozialdemokrat: »Der moderne Sozialstaat speziell deutscher Prägung tut ... einiges dafür, daß die weniger Qualifizierten und weniger Tüchtigen tendenziell fruchtbarer sind als die Qualifizierteren und Tüchtigeren: Die materielle Sorge für die Kinder wird ihnen vollständig abgenommen.« (zitiert aus Sarrazins Bestseller, dem meistgelesenen Buch der Deutschen, Seite 174) Da wird die SPD beim Wegräumen des »modernen Sozialstaates speziell deutscher Prägung« noch einiges mehr leisten müssen. Clara Tölle MißbrauchIn aufreizender Weise ging eine Meldung durch die Zeitungen: Die Bundesagentur für Arbeit habe für das vergangene Jahr bilanziert, daß sie mehr denn je Straf- und Bußgeldverfahren gegen »Hartz IV«-Empfänger habe einleiten müssen – wegen »Leistungsmißbrauchs«. Mit dem seltsamen Begriff ist gemeint, daß sich Antragsteller durch falsche Angaben unberechtigte oder zu »hohe« Bezüge verschafft hätten. In vielen Zeitungen wurde das wie eine bedrohliche Sensation berichtet, »Rasender Anstieg«, »Rekordhöhe«, »Explosion des Mißbrauchs« hieß es da. Stehen wir kurz vor dem Ruin des deutschen Staatshaushaltes, hervorgerufen durch die Raffgier von Parasiten, die faul in der Hängematte liegen und das Geld der fleißigen Steuerzahler verprassen, noch dazu erschlichenes? Wer sich die Mühe macht, Näheres in Erfahrung zu bringen, erhält Zusatzinformationen: Der »Mißbrauch« sei nicht unbedingt angestiegen, sagt der Chef der Bundesagentur, seine Mitarbeiter seien für dieses Thema stärker »sensibilisiert« worden. Es wurde also strenger geprüft. Und viele Verfahren wurden eingestellt, weil der Verdacht auf »Mißbrauch« sich nicht bestätigte. Im Durchschnitt der Fälle sei es zu einem Bußgeld von etwa 100 Euro gekommen. 700 Mitarbeiter seien mit diesen Ermittlungen beschäftigt, 4,8 Millionen Euro auf diese Weise »erwirtschaftet« worden. Kaum erwähnt wurde in den Zeitungen: Das Berechtigungssystem beim Arbeitslosengeld II ist so kompliziert, daß viele Antragsteller sich nicht zurechtfinden und mangels Durchblick falsche Angaben machen. Der für den Ermittleraufwand denn doch recht bescheidene Ertrag der Straf- und Bußaktion erklärt sich aus den niedrigen »Hartz IV«-Sätzen – da lassen sich selbst durch falsche Angaben keine üppigen Bezüge einsacken. Ungefragt blieb: Ließen sich nicht der notleidenden Staatskasse, die ja ständig Milliardenbeträge in das Spekulationsgeschäft der Banken und Finanzfonds einzahlen muß, um es zu retten, sehr viel mehr Straf- und Bußgelder zuführen, wenn die 700 Prüfer und Ermittler im Sachgebiet Wirtschaftskriminalität und Steuerbetrug eingesetzt würden? Da könnte der Bußertrag von 4,8 Millionen um etliche Stellen vor dem Komma erhöht werden. Marja Winken RuhestifterDie Grünen und die SPD in Baden-Württemberg sind uneins in ihren Ansichten zum Stuttgarter Bahnhof, haben sich aber darauf verständigt, daß diese ärgerliche Geschichte sie beim gemeinsamen Regieren nicht weiter stören soll: Soll das Volk doch selbst entscheiden. Sagen beide Parteien, wohl wissend, daß dies wegen rechtlicher Hürden nicht praktikabel ist. Aber das macht nichts, vielleicht verliert ja die Bahn AG die Lust zu dem Projekt, oder das Volk vergißt die ganze Angelegenheit. »Wir wollen den Konflikt um Stuttgart 21 endgültig beenden«, sagt der SPD-Chef im Ländle, und sein künftiger grüner Ministerpräsident: »Uns geht es um die Befriedung der Gesellschaft.« Ruhe ist Bürgerpflicht, nach den Wahlen. M. W. taz-TadelDie tageszeitung, hervorgegangen aus der irgendwie linken und irgendwie grünen Alternativszene, hat es nicht leicht. Sie will ihre Leserinnen und Leser zusammenhalten (so unendlich viele sind es ja auch nicht) und sich in einer Presselandschaft, die immer mehr flurbereinigt wird, als Einzelgewächs behaupten. Aber das »irgendwie« macht inzwischen Schwierigkeiten. Wie bringt man beispielsweise Cohn-Bendit und Ströbele unter einen redaktionspolitischen Hut? Einen Ausweg aus diesem Dilemma hat Martin Kaul gefunden, taz-Redakteur für »Bewegung und Politik von unten«. Ihm hat es offensichtlich nicht gefallen, daß sich zu Ostern der Protest gegen die Kriegspolitik mit der Empörung gegen die Atomindustrie verband, und so tadelte er denn in seinem Kommentar die »opportunistischen Ostermarschierer« als »Trittbrettfahrer« der Anti-Atombewegung. Die Friedensbewegten hätten doch stattdessen »Mut zeigen« können, nämlich so: »Sich bekennen zu Westerwelle und der von ihm vertretenen Politik.« Selbstverständlich weiß der taz-Ex-perte für »Politik von unten«, daß geomilitärische Außenpolitik von »oben«, der auch Westerwelle anhängt, nichts zu tun hat mit den Perspektiven der Ostermarschierer. Auch dürfte ihm nicht unbekannt sein, daß »Ostermarsch der Atomwaffengegner« der Name war, unter dem diese Bewegung in den 1960er Jahren in Gang kam. Weshalb dann der Wink mit dem Zaunpfahl Westerwelle? Der taz-Redakteur wünscht sich, so vermute ich, Trennungen beim außerparlamentarischen Protest: Wer gegen die Kernkraftkonzerne auftritt, muß doch nicht gleich auch an Kriegspolitik denken; die Kritiker von NATO-Militärschlägen wiederum sollen sich nicht über die Atomindustrie Gedanken machen, sondern über Gaddafi, dann bleiben sie schön in ihrem Gehege. Und das grüne Milieu wird nicht irritiert durch die Frage, ob Atomgeschäfte, Weltmachtinteressen und Militärpolitik denn doch zusammenhängen, nicht »irgendwie«, sondern ganz konkret. Arno Klönne Mehr Eisen, mehr Blut»Das sitzt«, triumphierte Spiegel-online. Gemeint war ein meinungsmachendes Geschoß, das ein außenpolitischer Experte dem Hamburger Sturmgeschütz zugereicht hatte. Christian Hacke, emeritierter Politikprofessor der Bonner Universität, war auf die Idee gekommen, Guido Westerwelle als »den borniertesten deutschen Außenminister seit Ribbentrop« abzuurteilen, weil sich der jetzige Amtsinhaber bei der Entscheidung des UN-Sicherheitsrates für die Militärschläge in Libyen »feige weggeduckt« habe. Seit langem schon fordert Hacke von der deutschen Außen- und Militärpolitik mehr »Mut«, mehr »strategische Initiative«, an der Seite der USA selbstverständlich, aber mit eigenem weltpolitischen Ehrgeiz, um (wie er im Hinblick auf den Krieg in Libyen sagt) »deutsche Interessen angemessen zu vertreten«, »deutsches Ansehen zu mehren«. Hackes Postulat: »Mehr Bismarck, bitte!« Aber was ist mit Ribbentrop, was mit Bismarck? Da gibt uns der Experte keine nähere Auskunft, also müssen wir selbst in die Geschichte zurückschauen: Der eine, ein ungeschickter Nazi, hat überheblich daran mitgewirkt, deutsche Ansprüche auf Weltmacht zu vermasseln. Der andere fing es klüger an, nicht feige. Er nahm sich Dänemark, Österreich und Frankreich vor, und dann gab es die Sedan-Feiern. A. K. StreupropagandaDie Außenministerin der USA verschweigt nicht, daß die NATO bei ihren kriegerischen Aktivitäten in Libyen ein klares Ziel hat: Gaddafi soll gestürzt werden. Warum? Dazu hat Hillary Clinton jetzt noch einmal eine schlagkräftige Begründung in alle Welt gesetzt, und die Medien in der Bundesrepublik verbreiteten diese eilfertig: Der libysche Despot schrecke nicht einmal davor zurück, Streubomben einzusetzen. Ein extremer Fall von »Unmenschlichkeit« sei das, sagt die US-Außenministerin. Was sie und die ihr beipflichtenden deutschen Öffentlichkeitsarbeiter verschweigen: Die USA selbst setzen ständig Streubomben ein, sie taten es in Jugoslawien und im Irak und tun es jetzt in Afghanistan und Pakistan. Streubomben sind auch beim israelischen und beim russischen Militär im Gebrauch. Einem internationalen Vertrag, der den Einsatz dieser Waffe untersagt, sind die genannten Staaten (und andere) nicht beigetreten. Die Bundesrepublik hat das Streubombenverbot unterzeichnet, in den Vertrag jedoch eine Klausel hineingebracht, wonach die Beteiligung an Militäraktionen nicht vertragswidrig ist, wenn Verbündete streubomben. Peter Söhren Joystick-Krieg»US-Drohnen gegen Gaddafis Soldaten«, melden die Agenturen. »Predator« heißt die unbemannte Flugwaffe, die da eingesetzt wird, das klingt nach Arnold Schwarzenegger in seinen Glanzzeiten, nach Action-Science-Fiction. Von dem Einsatz der Drohne erhofft sich die NATO eine militärische Wende im Libyen-Krieg. Zudem hat »Predator« den Vorteil, daß die Resolution des Sicherheitsrates, derzufolge »Besatzungstruppen« in Libyen nicht eingesetzt werden dürfen, »umflogen« wird. Ein weiterer Effekt: Man vermeidet, daß in den USA über den Tod eigener Soldaten getrauert werden muß. In dieser Hinsicht wird die Kampfdrohne als »kostenfrei« gepriesen. Die Militärexperten sagen ihr eine große Zukunft voraus: Bombardierung per Joystick, ohne das Risiko auf Seiten der Angreifer, eigene Leute zu verlieren. So wird der Krieg für die militärtechnisch Überlegenen ein »sauberer Krieg«. Unter der Präsidentschaft eines Friedensnobelpreisträgers setzt die US-Air-force auf den systematischen Ausbau dieses Waffensystems in den kommenden Jahren. Enorme Mittel sind dafür eingeplant, zur Freude der Rüstungskonzerne. Auch bei kleineren Kriegsherren wird Begehrlichkeit nach Kampfdrohnen aufkommen und das Geschäft beleben; aber der Joystick-Krieg ist ein kostspieliges mörderisches Vergnügen, nur reiche Staaten können sich die Anschaffung dieser Waffe leisten. Ärmere Kontrahenten sind auf den Einsatz von Selbstmordattentätern mit traditionellem Explosivstoff angewiesen – eine Vorgehensweise, die terroristisch genannt wird. So bleiben auch im globalen Tötungsbetrieb die Klassenunterschiede gewahrt.
Arno Klönne
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Erschienen in Ossietzky 9/2011
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