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Mit vielen Seen, mehr als einer Million Milchkühen und verrostenden Resten von Schwerindustrie konnte der Staat nur dann Schlagzeilen machen, wenn seine Football-Mannschaft zum allgemeinen Erstaunen im Superbowl siegte. Doch plötzlich, Anfang 2011, dem eisigen Februarwetter zum Trotz, wurde »Wisconsin« überall in den USA zum Schlachtruf, als erstaunliche Menschenmengen in Madison die Straßen und Plätze eroberten, kurzzeitig sogar das Staatshaus. Ertönte da das Signal zu einer Wende? Verantwortlich für die Unruhen war Scott Walker – aber ganz gegen seine Absichten. Im November 2010 mit starker Unterstützung durch die Tea-Party-Rechten gewählt und im Januar 2011 vereidigt, begann der ehrgeizige neue Gouverneur schnell zu handeln – und zwar so, wie es die meisten Medien von ihm erwarteten. Monatelang hatten sie behauptet, die Angestellten des Bundes, der fünfzig Staaten und der Kommunen verdienten zu viel. Sie pochten darauf, daß ein in Schulden erstickendes Budget Opfer verlange – in Wisconsin wie auch anderswo. Walker machte nach seinem Amtsantritt sofort klar, wer im Staat Wisconsin nicht zur Kasse gebeten wird: Den Konzernen verschaffte er neue Steuervorteile, und einige Parteifreunde erhielten hübsche Gehaltserhöhungen. Der Gouverneur suchte sich andere Sparopfer. Im Parlament – seine Republikaner hielten in beiden Kammern die Mehrheit – ließ er Gesetze entwerfen, wonach die Angestellten im öffentlichen Dienst mehr für die Altersrente und die Krankenversicherung zahlen müssen; ihr verfügbares Einkommen verringert sich dadurch um etwa acht Prozent. Die verängstigten Gewerkschaften, durch Drohungen mit Entlassungen eingeschüchtert, hatten zähneknirschend zugestimmt. Doch nun enthielt der Gesetzentwurf einen Passus, der ihre Rechte einschränkt, indem er ihnen verbietet, über irgendetwas anderes als die Gehälter zu verhandeln, und auch das stark eingeschränkt, nämlich nicht über die verteuerte Versicherung, nicht über Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Beschwerden, Entlassungen. Und jährlich sollten sie auf eigene Kosten abstimmen lassen, ob sie ihre Mitglieder noch vertreten dürfen, wozu 51 Prozent Ja-Stimmen nötig wären. Damit allein hätten sie dann alle Hände voll zu tun und müßten ihr Geld hauptsächlich für Mitgliederwerbung ausgeben; kurz: Sie könnten einpacken. Diese unzweideutige Kriegserklärung würde Wisconsin, den Bundesstaat, der einst Vorkämpfer für die Rechte der Beschäftigten im öffentlichen Dienst war, um 50 Jahre zurückversetzen. Die Opfer wären LehrerInnen, Krankenhauspersonal, Polizisten, Feuerwehrleute, Forstbeamte, Straßenbauarbeiter, technisches Personal an der Universität – insgesamt etwa 170.000 Menschen. Walker rechnete mit Schadenfreude der Arbeiter in der Privatwirtschaft, nicht mit ihrer Solidarität. Doch er irrte. Am Montag, dem 14. Februar, lehnten es die LehrerInnen ab, unter diesem Damoklesschwert zu unterrichten. Zwei Tage später demonstrierten 10.000, darunter viele StudentInnen. Am Donnerstag und Freitag waren es 25.000, am Samstag etwa 70.000. Diejenigen, die Walker als Gegendemonstranten mit Bussen heranholen ließ, gingen in der Menge unter. Walker blieb stur. Also zogen die Menschen in das Kapitol und besetzten die Publikumsränge. Sie ließen sich in die offene Rednerliste eintragen, die es in Wisconsin gibt, und äußerten ihre Sorgen. Wenn ein Senator für das Gesetz warb, buhten und pfiffen sie, riefen ihre Parolen und winkten mit Fahnen und Spruchbändern. »Im Wahlkampf haben Sie nie von einem solchen Gesetz geredet«, hielten sie ihm vor. Als das Gebäude gesperrt wurde, kletterten die Demonstranten durch die Fenster, brachten Schlafsäcke und Verpflegung mit und kampierten in den Marmorkorridoren. Trotz ihrer Wut blieben sie friedlich und freundlich: Studenten und Rentner, Angestellte im öffentliche Dienst und in Privatunternehmen, Schwarze und Weiße. Und obwohl Walker Polizei und Feuerwehrleute nun von den geplanten gesetzlichen Maßnahmen ausnahm, solidarisierte sich die Polizei. »Wir wissen, was Recht ist und was Unrecht«, rief ein Polizeibeamter mit Megaphon in den Saal. »Wir werfen hier niemanden hinaus. Wir werden mit Euch hier drin über Nacht bleiben!« Draußen marschierten derweil die sonst eher dem rechten Lager zugeneigten Feuerwehrmänner mit Trommel, Querpfeife und Dudelsack an der Spitze der Demonstrationszüge. Menschen aus allen Berufen kamen – nicht nur aus Großstädten wie Milwaukee, sondern aus den entlegensten Winkeln, darunter Farmer mit ihren Traktoren. »Auch wir leiden, wenn die Gewerkschaften kaputtgehen, auch wir unterstützen die LehrerInnen, die Krankenschwestern und die Männer, die unsere Straßen reparieren.« Walker braucht im Senat von Wisconsin die Anwesenheit von zwei Dritteln aller Mitglieder, damit die Kammer beschlußfähig ist. Doch die 14 Demokraten, beeindruckt von der erstaunlichen Reaktion der Bürger, blieben zu Hause. Als Walker drohte, sie zwangsweise zu holen, zogen alle 14 in ein Hotel im freundlichen Nachbarstaat Illinois, in dem die Tea-Party-Leute in der Minderheit geblieben waren und Walker nichts zu bestellen hatte. Nach dreieinhalb Wochen schaffte es Walker, sein Gesetz durchzutricksen, ohne die Demokraten. Die 14 Senatoren kehrten zurück. Statt zu verzagen, versammelten sich mehr als 100.000 Menschen, um ihnen für ihren Mut zu danken – und um weiterzukämpfen. Aus Michael Moores Rede in MadisonVierhundert obszön reiche Leute, von denen die meisten irgendwie von den Bankensanierung des Jahres 2008 profitierten, besitzen jetzt so viel wie 155 Millionen Amerikaner, die überhaupt etwas besitzen, zusammengenommen. (…) Es gibt eine Menge Geld für alle. Doch die Herrschenden haben dieses Vermögen in einen tiefen Brunnen auf ihren festgeschützen Landgütern geleitet. Sie wissen, daß sie dafür eine Menge Verbrechen begangen haben, und sie wissen, daß Ihr eines Tages etwas von dem Geld sehen möchtet, das einmal euch gehörte. Also haben sie Hunderte von Politikern im Lande gekauft und bezahlt, damit es nach ihrem Willen geht. Für den Fall aber, daß das mal nicht gelingt, haben sie ihre eingezäunten Gemeinden, sowie vollgetankte, startbereite Luxusflugzeuge für den Tag, der, wie sie hoffen, nie kommen wird. Sie besitzen die meisten Medien (…) und überzeugen viele Amerikaner geschickt mit geringem Aufwand, ihre Version des amerikanischen Traums zu kaufen, daß auch du eines Tages reich sein könntest (…) Die Botschaft ist klar: Halte den Kopf niedrig, arbeite fleißig, laßt dich nicht in Dummheiten ein und stimme ganz klar für die Partei, die den reichen Mann schützt, der du vielleicht eines Tages sein wirst. Eine Woche zuvor hatten die Demonstranten einen prominenten Gast. Michael Moore, der in New York an einem neuen Film arbeitet, konnte nicht mehr schlafen. Um 3 Uhr früh stand er auf, schrieb eine Rede, flog 1300 Kilometer nach Wisconsin und sprach vor den Zehntausenden, die ihn jubelnd begrüßten und ihm laut dankten. In seiner Rede äußerte er, was viele ahnten, doch selten aussprachen: Der Angriff auf ihre Rechte sei nicht allein von Walker geplant, sondern Teil einer gefährlichen Verschwörung, eines Großangriffs der Reichen gegen das Volk, das sein Land nun zurückerkämpfen müsse. Moore wies darauf hin, daß ähnliche Gesetzentwürfe wie in Wisconsin auch in Iowa, Indiana, Tennessee, Idaho, Alaska, Michigan eingebracht wurden, überall, wo Tea-Party-Kandidaten gesiegt hatten. Zwei der wichtigsten Angreifer, die sich hinter einer Reihe von Organisationen, Stiftungen und Komitees mit unschuldigen Namen verstecken, sind die Gebrüder Charles und David Koch, die zu den reichsten Männern Amerikas gehören. Seit Jahrzehnten bekämpfen sie jeglichen Fortschritt, vor allem die Gewerkschaften und die Umweltschützer. Ein Journalist rief Scott Walker an und gab sich als David Koch aus. Eine gute halbe Stunde lang plauderten sie über Pläne, die Gewerkschaften kleinzukriegen. »Es sind viele von uns neuen Gouverneuren, die gewählt wurden, um etwas Großes zu leisten … Jawohl, es ist unser Augenblick!« sagte Walker, der dem vermeintlichen Geldgeber für seine Hilfe dankte, auch für die Wahlkampfunterstützung und für die Einladung zu einem »schönen Besuch« in Kalifornien nach dem Sieg. Ein entlarvendes Gespräch: Man will restlos zerstören, was einst in den 1930er Jahren neue, meist linke Gewerkschaften errungen haben: Arbeitslosenversicherung, Altersrente, Vierzigstundenwoche, Arbeitsschutz. Nach 1945, als fast alle Linken ausgeschlossenen wurden, gerieten die Gewerkschaften in die Defensive. Seit Ronald Reagans tiefen Einschnitten in die Rechte der Lohnabhängigen sind die Gewerkschaften auf dem Rückzug, wenn nicht auf der Flucht. Kaum zwölf Prozent der arbeitenden Amerikaner sind heute noch Gewerkschaftsmitglieder, in der Privatwirtschaft klägliche sieben Prozent. Nur in einigen Dienstleistungsbereichen sowie im öffentlichen Dienst, wo die Gewerkschaften bisher noch gesetzlich geschützt waren, blieben sie etwas stärker. Wenn auch viele Gewerkschaften zahm sind und manche vermutlich korrupt, bilden die insgesamt doch noch mehr als 14 Millionen Mitglieder eine Barriere gegen die ärgsten Attacken der Rechten. 2010 trugen sie zu Obamas Wahlsieg bei. Vor allem Verbände der staatlichen und kommunalen Angestellten tendieren eher nach links und sind eine potentielle Kraft nicht nur gegen Republikaner, sondern auch gegen reaktionäre Tendenzen in der Demokratischen Partei, unter deren Einfluß Obama steht. Solche Herren des Großen Geldes wie die Koch-Brüder wissen: Wenn es ihnen gelänge, die Gewerkschaften auszuschalten, würden die wesentlichen oppositionellen Kräfte politisch wie finanziell austrocknen. Sie kämpfen mit harten Bandagen. Und sie rechnen auch damit, daß die Protestierenden früher oder später müde werden. Damit das möglichst bald geschieht, lassen ihre Medien über das ganze Thema schweigen und davon ablenken. Die Tea-Party-Gouverneure konnten ihre brutalen Gesetze inzwischen außer in Wisconsin auch in Ohio, Indiana und weiteren Staaten durchsetzen. Geht es mit den Solidaritätsdemonstrationen zu Ende? Siegen doch die Walkers und Kochs? War das Aufbäumen in Madison kein Anfang einer neuen Welle, sondern ein letztes Aufbäumen? War der Beschluß des Gouverneurs von Maine, ein großes Wandbild, das an Arbeiterkämpfe erinnerte, aus dem Staatshaus zu entfernen, ein trauriges Symbol? Nein, wie es scheint, ist es nicht vorbei. Eine mutige Richterin in Wisconsin entschied jetzt zum zweiten Mal, daß Walkers Tricksen ungültig war; die Entscheidung geht in die nächste Instanz. Das Gewerkschaftskomitee von Wisconsin sammelt auch Unterschriften zur Abberufung von acht Senatoren und auch von Walker. In Ohio und Michigan werden ebenfalls Unterschriften gesammelt, um die komplizierte Maschinerie zur Abberufung der Gouverneure und zu Volksbefragungen über die Gesetze anzukurbeln. Noch ist nichts endgültig entschieden. Obama äußerte kaum ein Wort zu Madison. Er besetzt weiterhin wichtige öffentliche Ämter mit reichen Männern, wie dem Chef von General Electric. Sein Wahlversprechen, gewerkschaftliche Rechte gesetzlich zu garantieren, hat er mittlerweile vergessen. Um so mehr kommt es darauf an, daß möglichst viele Menschen die Kämpfe weiterführen. Es könnte weit über Wisconsin, weit auch über die USA hinauswirken.
Erschienen in Ossietzky 9/2011 |
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