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Auch verstehen sie ihren Vorstoß für »Tarifeinheit« nicht als »verfassungswidrigen Eingriff in Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie«, wie dies empörte Gewerkschaftsmitglieder, Verfassungs- und Arbeitsrechtler wie Wolfgang Däubler tun. Nein, so die Oberfunktionäre von Kapital und Arbeit, ihnen gehe es vielmehr um die »Ausgestaltung« und »Ertüchtigung« dieser Grundfreiheiten. Werde ihnen die Gefolgschaft verweigert – wie dies immer mehr Gliederungen der IG Metall, der Eisenbahnergewerkschaft EVG und inzwischen mehrere ver.di-Landesbezirkskongresse fordern, zum Teil einstimmig –, dann drohe Unheil für den Standort Deutschland. »Englische Verhältnisse« mit ausufernden Arbeitskämpfen befürchtet Dieter Hundt (BDA); »Krisen und Chaos« an der »Tariffront« malt Michael Sommer (DGB) an die Wand; den Verlust des »Friedensnobelpreises«, den sich die deutschen Arbeitnehmer wegen ihrer vorbildlichen Arbeitskampfabstinenz längst verdient hätten, sieht die SPD voraus. Sie ist per Bundesratsinitiative für Tarif-einheit durch Streikverbot mit im Boot, aus dem die zeitweise verwirrt an Bord gegangene Linke glücklich ausgestiegen ist. Und was macht die Regierung? Sie ist im Grundsatz sehr dafür. Doch Schwarz-Gelb zagt und zögert noch. Da mag Frank-Walter Steinmeier (SPD) lautstark schimpfen: Angela Merkel hat in der Woche nach dem 1. April die Gesetzesänderung erneut von der Tagesordnung gestrichen, und die FDP hat nicht gemault. Noch Ende November 2010 hatte Merkel schnelles Handeln versprochen: Innerhalb von zwei Monaten werde es in der Frage der »Tarifeinheit« eine Entscheidung geben. Eine Arbeitsgruppe berate »Handlungsoptionen« bis hin zur Verfassungsänderung. Doch das »Gesetz, das ein Irrsinn wäre«, wie der frühere Verfassungsrichter und ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Thomas Dieterich, kopfschüttelnd formuliert, steht weiter aus. Darüber sollten die Gewerkschaften froh sein, meint Dieterich. Er – und nicht nur er allein – begrüßt, daß das BAG das von ihm »frei erfundene« Prinzip (O-Ton Dieterich), wonach in einem Betrieb keine voneinander abweichenden Tarifverträge gelten dürften, endlich hat fallen lassen, als 2010 eine Überprüfung dieser Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht drohte. Ein Klinikarzt hatte geklagt, weil er Leistungen nicht nach dem Tarifvertrag seiner Gewerkschaft, des Marburger Bundes, sondern nach dem für ihn schlechteren Tarifvertrag von ver.di erhalten hatte – im Widerspruch zur Koalitionsfreiheit und zum Tarifvertragsgesetz, das seit Jahr und Tag die Geltung des jeweiligen Tarifvertrages an die Gewerkschaftszugehörigkeit der Betroffenen knüpft. Bis Mitte 2010 ließ das BAG bei konkurrierenden Tarifverträgen nur den jeweils spezielleren gelten. Dieses »Spezialitätsprinzip« hatte in manchen Fällen unerträgliche Folgen. So kam etwa der Flächentarif der IG Metall nicht in solchen Firmen zur Anwendung, wo der jeweilige Unternehmer einen »spezielleren« Billig-Tarif etwa einer »christlichen« Gewerkschaft dankbar unterschrieben hatte, obwohl diese in dem Betrieb deutlich weniger Mitglieder als die IG Metall hatte. Diese Unterbietungkonkurrenz läuft nun ins Leere, da das BAG »den Traum einer staatlich verordneten Tarifeinheit begraben hat« (Dieterich). Warum also wollen die Gewerkschaftsführer zurück zur Tarifeinheit? Und warum erhört die Regierung nicht sofort das ihr doch sympathische Betteln um Streikverbote? Weil Spartengewerkschaften am Tag vor der Kabinettssitzung einen Metallkäfig aufgebaut hatten? Weil sich darin Piloten, Lokomotivführer, Ärzte und andere in Ketten gelegt hatten, um den »Tarifknast« einer neuen Tarifeinheit ins Bild zu setzen? Weil, wie der als Gewerkschaftslobbyist unverdächtige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle seine ob des Streiks der Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer schäumenden Kabinettskollegen und Verkehrsminister Peter Ramsauer gemahnt hatte, daß Regierungen Gewerkschaften »nicht bedrohen sollen« nach dem Motto: »Wenn ihr jetzt streikt, dann kriegt ihr ein Gesetz«? Das Zaudern des Kabinetts verwundert um so mehr, als das Kapital den Regierenden schon lange einen glasklaren Auftrag erteilt hat, den Merkel bis heute nicht abgearbeitet hat: Streiks seien »Relikte einer vergangenen Epoche unter besonderen historischen, heute nicht mehr existierenden wirtschaftlichen Bedingungen«, urteilte das Präsidium der BDA in einem Grundsatzbeschluß vom 15. September 2003. Das »bisher nicht geregelte, allein von der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte gestaltete Streikrecht« bedürfe »gesetzlicher Modifizierungen«, fordert die BDA. So dürfe es etwa während laufender Tarifverhandlungen keine Warnstreiks mehr geben. »Wellenstreiks« müßten mindestens drei Tage vorher angekündigt werden. Der Grundsatz, daß Tarifverträge durch Verabredungen von Betriebsräten mit den Unternehmensleitungen nicht verschlechtert, sondern nur zugunsten der Beschäftigten verbessert werden dürften, müsse im Rahmen betrieblicher »Bündnisse für Arbeit« gekippt werden. Obligatorische Schlichtungsverfahren sollten den »Mißbrauch des Streikrechts« begrenzen. Arbeitsniederlegungen in Bereichen der »Daseinsvorsorge«, also im Gesundheitswesen, in der Wasser-, Strom- und Abfallwirtschaft sowie im Verkehrswesen, sollten, so gestand die BDA großzügig zu, »nicht total« ausgeschlossen werden. Solche Arbeitskämpfe aber wie die der Lokomotivführer, Piloten oder Fluglotsen sollten ganz und gar verboten werden: »Streiks dürfen nicht von einer kleinen Minderheit geführt oder angedroht werden.« Dieser Aufruf zur Generalattacke auf Koalitionsfreiheit, Streikrecht und ungehorsame Gewerkschaften fand in Union und FDP ein zustimmendes Echo. Auch die Gewerkschaften zeigen sich beeindruckt. Öffentlich empören sie sich und verlautbaren seitdem immer wieder, sie würden »das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen jeden verteidigen, der es einschränken will« (O-Ton Sommer). Mit allen Mitteln? Tatsächlich ist den Ober-Funktionären wohl der Verstand in die Hose gerutscht. »Das Motto kann nur heißen: Hände weg vom Streikrecht!«, donnerte im Jahr 2007 der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, und andere führende Gewerkschafter wie Frank Bsirske (ver.di) oder Berthold Huber (IG Metall) donnern verbal immer mal wieder mit ihm. Doch jetzt ist es die Gewerkschaftslinke, die innergewerkschaftlich unter diesem Motto mobil macht. Sie ist empört darüber, daß Sommer am 4. Juni 2010 nach klandestinen Beratungen im kleinsten Kreis der Gewerkschaftsoberen vor die Presse trat, um das Kapital mit Tarifeinheit zu herzen: Wenn es in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften gibt, die unterschiedliche Tarifverträge mit dem Arbeitgeber abgeschlossen haben, soll sich immer nur der Tarifvertrag durchsetzen, an den die meisten Arbeitnehmer im Betrieb gebunden sind. Das Spezialitätsprinzip wird durch das Mehrheitsprinzip ersetzt; doch gleichzeitig soll während der Laufzeit des Tarifvertrages für alle Beschäftigten im Betrieb ein Arbeitskampfverbot gelten. Das bedeutet eine Friedenspflicht nicht nur – wie bisher – für die vertragsschließende Gewerkschaft, sondern auch für die Minderheitsgewerkschaft(en) und deren Mitglieder. Auch sie haben dann Streikverbot, obwohl sie womöglich für ganze andere Ziele streiten. Dieser DGB&BDA-Plan sei eine »Halbierung« des unteilbaren Grundrechtes auf Koalitions- und Streikfreiheit, warnt der frühere Vorsitzende der in ver.di aufgegangenen IG Medien, Detlef Hensche. Der Selbstangriff auf gewerkschaftliche Freiheiten werde auch die DGB-Gewerkschaften treffen, wenngleich viele irrtümlich glaubten, damit nur die lästige Überbietungskonkurrenz durch Spartengewerkschaften entmannen zu können. »Politische Dummheit gedeiht, wenn Demokratie fehlt und Gewerkschaftsvorstände abgehoben agieren«, urteilt die Gewerkschaftslinke. Sie will beim Kampf um Tarife und Streikrecht »auf die eigene Kraft vertrauen«, wie Loni Mahlein, einst Vorsitzender der IG Druck und Papier, die Handlungsmaxime autonomer Gewerkschaften formuliert hat. Doch DGB-Chef Sommer meint, wie bei der Abwrackprämie für Alt-Autos habe sich »Sozialpartnerschaft bewährt«. Gemeinsam mit der BDA wolle der DGB ein »Stabilitätsanker« sein. »Was die Bürger jetzt brauchen, sind Signale, daß nicht alles aus den Fugen gerät«, schwadroniert er, als drohe dem Land ein sozialer Tsunami, nur weil gerade das BAG sein Tarifeinheitsdogma in die Tonne getreten hat. Derweil plädiert FDP-Vize Brüderle bei der möglichen Regulierung von Koalitionsfreiheit und Arbeitskämpfen vielsagend für Geduld und »mehr Tiefe«.
Erschienen in Ossietzky 8/2011 |
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