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Es wäre nicht nur für den öffentlich diskriminierten jüdischen Wissenschaftler eine angemessene Würdigung gewesen, sondern zugleich für alle wegen ihrer Sexualität im Faschismus verfolgten und ermordeten Frauen und Männer. Hirschfelds persönliche Verfügung, daß das unabhängige Institutsvermögen zur Errichtung eines unabhängigen Sexuallehrstuhls verwendet werden sollte, wurde schon am 6. Mai 1933 annulliert, als Studenten des »Instituts für Leibeserziehung« auf Trompetensignal hin in Hirschfelds Institut einbrachen, es verwüsteten und die umfangreiche Bibliothek auf den bereitstehenden Lastwagen warfen. Der NS-Studentenführer stud. jur. Gutjahr erklärte das Institut für »endgültig geschlossen«. Sie konfiszierten auch die Büste des streitbaren Wissenschaftlers, um sie am 10. Mai in borniertem Triumph zusammen mit seinen Büchern – auch der »Sittengeschichte des Weltkrieges« – in Asche zu verwandeln. Der Feuerspruch lautete: »Gegen seelenzerfressende Überschätzung des Trieblebens – verschlinge die Flamme auch die Schriften von Magnus Hirschfeld und Sigmund Freud.« Die Studenten, die diesen Scheiterhaufen entzündeten, der lodernden Volkszorn symbolisieren sollte, hatten alle ihr Abitur in der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik, gemacht. Professoren – einige sogar im akademischen Ornat – und Goebbels höchst persönlich bewiesen mit ihrer Anwesenheit, daß diese erste Vernichtungsaktion ein politischer Auftakt und kein makaberer Studentenulk war. In der 1987 von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft in West-Berlin herausgegebenen Gedenkschrift las ich: »Wir haben zwar erreichen können, daß das frühere Berliner Institut für Sexualwissenschaften mittlerweile der Vergessenheit entrissen wurde, aber mit unserem Anliegen, ein solches Institut in Berlin wiederzuerrichten, sind wir bisher nur auf unverbindliches Wohlwollen gestoßen.« Voller Bedauern habe der Berliner Senat wegen fehlender Gelder immer wieder abgelehnt. Hirschfelds Leitsatz »Durch Wissenschaft für Gerechtigkeit« habe nicht nur Freunde gehabt. Als der Psychologe Günter Grau, der in der Humboldt-Universität im Institut der Geschichte der Medizin arbeitete, mir sein Anliegen vortrug, ein Institut für Geschlechter- und Sexualforschung in den sich neu gründenden Sozialwissenschaften der HU zu schaffen, fand ich damit das Anliegen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft aufgenommen und schlug spontan vor, mit dem Namen den historischen Zusammenhang wiederherzustellen. In der allmonatlichen Beratung der Berliner Universitätspräsidenten und -rektoren brachte ich die Idee umgehend zur Sprache. Die Reaktion der Kollegen war: »Das hätten Sie doch schon zu DDR-Zeiten machen können.« Der Präsident der Freien Universität, Dieter Heckelmann, später Innensenator, ironisierte meine Argumente, die heftig diskutiert wurden, mit der Bemerkung: »Sexualität soll erforschen, wer damit Probleme hat. Wir im Westen haben sie nicht … Außerdem haben Sie an Humboldt sowieso kein Geld. Sie leben von unserem.« Daß es darum ging, wenn auch sehr verspätet, auf einen barbarischen Akt der Universitätsgeschichte zu reagieren, wurde gar nicht wahrgenommen. Trotz dieser Absage entschieden wir uns im Kontext der Neuordnung der Humboldt-Universität, das im Osten wie im Westen verweigerte Erbe Magnus Hirschfelds endlich anzutreten. Mit einem Memorandum legte ein Vorbereitungskreis, den ich offiziell berufen hatte, dem akademischen Senat der Humboldt-Universität den bis ins Detail formulierten Antrag vor, im Bereich Sozialwissenschaften ein »Institut für Geschlechter- und Sexualforschung« zu gründen. In der Präambel heißt es: »Die Geschichte der Sexualwissenschaft vor 1933 ist eng mit Berlin verbunden. Hier legte Iwan Bloch 1907 das erste Programm des sich neu formierenden Faches Sexualwissenschaft vor. Hier arbeiteten die Sexualforscher Albert Eulenberg (1814–1917), Albert Moll (1862–1938) und Max Marcuse (1877–1936), die Frauenrechtlerin Helene Stöcker (1869–1943), Adele Schreiber-Krieger (1872–1957) und die Psychoanalytikerin Karen Horney (1885–1952). Helene Stöcker begründete mit Max Marcuse 1905 die Zeitschrift Mutterschutz, die sie ab 1908 unter dem Titel Die neue Generation allein weiterführte. Im gleichen Jahr gab Hirschfeld die erste Zeitschrift für Sexualwissenschaften heraus, fünf Jahre später wurden hier die ersten Fachgesellschaften gegründet. 1919 eröffnete Magnus Hirschfeld das erste Institut für Sexualwissenschaften. Seit 1924, getragen von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung, war das Institut für seine Zeit ebenso einmalig wie beispielgebend. Es unterhielt unter anderem medizinische, psychologische, ethnologische Abteilungen, eine Ehe- und Sexualberatungsstelle und beherbergte mit dem wissenschaftlich-humanitären Komitee eine Institution, die sich beispielhaft für die Rechte homosexueller Frauen und Männer einsetzte. Weitere Schwerpunkte der Arbeit waren die Gleichberechtigung von Frauen, die Familienplanung und die Sexualerziehung.« Daß Hirschfeld seine Forschung mit einem klaren Antikriegsbekenntnis untersetzt hatte, war schwer als vorbildliche Haltung eines Wissenschaftlers einzubringen. Eine Vorlesungsreihe mit prominenten Sexualwissenschaftlern aus dem In- und Ausland auf dem Gelände der Charité – unter anderem mit Rüdiger Lautmann (Bremen) über »Konstruktion der Sexualität in der Moderne«, Eberhard Schorsch (Hamburg) über »Sexualität und Aggression«, Irene Dölling (Berlin) über die »Kulturelle Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit« und Claudia Honegger (Bern) über »Die Ordnung der Geschlechter in der Moderne« – wurde in der Universität und in der Stadt interessiert wahrgenommen. Eine turbulente Anhörung unter dem Dach des akademischen Senats brachte den Prozeß der Institutsgründung in der Universität schlagartig an die Öffentlichkeit. Alsbald titelte die taz: »Sexualogie im Ost-West-Krampf«. Andere Medien weissagten: »Ein Institut in der Nachfolge des Berliner Sexualforschers Magnus Hirschfeld an der HU bleibt voraussichtlich nur ein Wunsch.« Die anhaltend heftigen konzeptionellen und ideologischen Bedenken einiger namhafter HU-Professoren gegen ein Institut für Geschlechter- und Sexualforschung führten dazu, daß die Mehrzahl der Befürworter sich irritiert zurückzog. Täglich forderten neue Entscheidungen und Konflikte persönliches Engagement. Letztlich konnte ich mich in der Sache, die mir am Herzen lag, nicht mehr einsetzen, da durch Gerichtsurteil meine Wahl zum Rektor annulliert worden war. Magnus Hirschfeld zu rehabilitieren, bleibt also zukünftigen Universitätsgenerationen als Aufgabe. Aber ich will hier nicht ohne einen Lesetip schließen: In Magnus Hirschfelds »Sittengeschichte des Weltkrieges«, zwei Bände, brillant geschrieben und mit internationalen zeitgenössischen Karikaturen durchgehend bebildert, steht der knappe denkwürdige Satz: »Krieg heißt Diebstahl, Notzucht, Mord!« Die ersten Teile der Erinnerungen des ehemaligen Rektors Heinrich Fink an die Berliner Humboldt-Universität in der Wendezeit erschienen in den Heften 2/11 (»Wer denkt noch an die Studenten?«), 3/11 (»Die Abwicklung des Rudolf Bahro«), 4/11 (»Erwin Chargaffs Mahnungen«) und 6/11 (»Von der Brauchbarkeit der Stasi-Akten«). Fortsetzung folgt.
Erschienen in Ossietzky 7/2011 |
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