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Abertausende protestierten gegen den »Castor«-Transport nach Gorleben, gegen die immer größeren Mengen hochradioaktiver Abfälle, die dort »zwischengelagert« werden, und überhaupt gegen die unverantwortliche Atompolitik der Bundesregierung. Die Drohne trug fernbediente Kameras, die alles filmten, was ihnen vor die Linse kam. Die gestochen scharfen Bilder vom Protestgeschehen wurden zur Aufzeichnung per Funk an die Bodenstation der Polizei gesendet, wo sie ausgewertet werden konnten. Verantwortlich für diesen ersten nachgewiesenen polizeilichen Einsatz einer Überwachungsdrohne zur heimlichen Ausspähung von Atomkraftgegnern war der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU), der deswegen dieser Tage mit dem BigBrotherAward 2011 ausgezeichnet wurde. Ein seltene Ehre: Ich durfte schon zum zweiten Mal die Laudatio auf Schünemann halten. Bereits 2003 war er mit diesem Negativpreis abgestraft worden, unter anderem für die präventive Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) im niedersächsischen Polizeigesetz. Er ist also ein Wiederholungstäter. Schünemanns »fliegendes Auge« sollte den Massenprotest im Wendland heimlich ausspähen. Ein solcher Drohnen-Einsatz ist rechtlich hoch umstritten – nicht nur im Hinblick auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch wegen der möglichen einschüchternden und abschreckenden Wirkung auf die Versammlungsteilnehmer. Mit seinem Mini-Big-Brother der Lüfte fügte der Minister den zahlreichen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit hinterrücks eine weitere hinzu. Und zu Recht wies die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg darauf hin, daß diese Überwachungsaktion neben dem Persönlichkeitsrecht der betroffenen Demonstranten auch den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt habe. Der Drohnen-Einsatz im Wendland war offenbar so geheim, daß die rechtzeitige datenschutzrechtliche Überprüfung durch den Landesdatenschutzbeauftragten unterblieben und selbst der zuständige Polizei-Einsatzleiter nicht rechtzeitig informiert worden war. Nachher sprach Schünemann zunächst von harmlosen Übersichtsaufnahmen über das Protestgeschehen. Doch diese Behauptung widersprach der Polizeiaussage, die Aufnahmen hätten auch der Beweissicherung und nachträglichen Aufklärung von Straftaten gedient. Zu diesem Zweck mußte die Polizei – was technisch ohne Weiteres möglich ist – Bildausschnitte aus den Videoaufzeichnungen vergrößern, um einzelne Demonstranten identifizieren zu können. Solche Observationsmaßnahmen greifen zweifellos in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen ein. Für den Einsatz von Polizeidrohnen gibt es bislang keine speziellen gesetzlichen Regelungen. Die Videoüberwachung von Versammlungen ist zwar längst gängige Polizeipraxis. Doch hat das Bundesverfassungsgericht es inzwischen prinzipiell als unzulässigen Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gewertet, wenn ohne Anlaß das gesamten Versammlungsgeschehen aufgezeichnet wird. Und das Verwaltungsgericht Berlin hat 2010 die Videoüberwachung einer Demonstration auch im konkreten Fall für rechtswidrig erklärt. Selbst bloße Übersichtsaufnahmen für die Einsatzplanung, auch wenn diese nicht aufgezeichnet werden, so das Gericht, seien unzulässig, weil ein gezieltes Heranzoomen einzelner Personen jederzeit möglich sei. Die Videoüberwachung könne insgesamt dazu führen, daß die Teilnehmer »durch das Gefühl des Beobachtetseins eingeschüchtert« oder von der Teilnahme abgehalten werden. »Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl.« Ebenso urteilte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in einem ähnlich gelagerten Fall. Diese Rechtsprechung muß selbstverständlich auch für die Videoüberwachung von Versammlungen durch Polizeidrohnen gelten – doch im Wendland ist sie mißachtet worden. Die dort eingesetzte Drohne ist ein Fluggerät vom Typ MD4-200 der Kreuztaler Firma Microdrones. Das niedersächsische Innenministerium hatte das etwa 50.000 Euro teure Gerät Ende 2008 angeschafft. Der nur knapp über 600 Gramm wiegende, 90 Zentimeter lange Senkrechtstarter mit vier geräuscharmen elektrogetriebenen Rotoren, auch Quadrokopter oder Drehflügler genannt, kann bis zu 200 Gramm schwere Tageslicht-, Dämmerungs- oder Wärmebildkameras mit sich führen. Er kann ferngesteuert werden, aber auch vorprogrammiert oder per Peilsystem autonom fliegen. Unbemannte Luftfahrzeuge haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung zugenommen, seit die 2007 eingerichtete Bund-Länder-Projektgruppe »Drohnen« ihre Arbeit aufgenommen hat. Auch die Bundespolizei und die Länderpolizeien in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen verwenden Drohnen in immer mehr Fällen – so bei Fußballspielen zur Identifizierung von Hooligangruppen und Gewalttätern. Bei den Demonstrationen und Blockaden gegen Neonazi-Aufmärsche in Dresden vor wenigen Wochen wurde mindestens eine Polizeidrohne gesichtet. Innenminister Schünemann und die bundesdeutsche Polizei insgesamt sehen vielfältige Einsatzmöglichkeiten für Minidrohnen: bei Großdemonstrationen, zur Verkehrskontrolle, bei Entführungen und Geiselnahmen, zur Verfolgung von Räubern, Suche nach Vermißten, Beweissicherung und Einsatzführung, Umwelt- und Drogenfahndung, Überwachung von Bahnanlagen und Grenzen, bei Katastrophen et cetera. Denkbar ist künftig auch die Ausrüstung der Flugobjekte mit Nebelgranaten, Pfefferspray, Tränengas oder Elektroschockern; vorstellbar sind auch ganze Drohnengeschwader, um Versammlungen oder bestimmte Stadtteile permanent und mit sogenannter intelligenter Software zu kontrollieren und einzelnen verdächtigen Gruppen und Personen nachzuspüren. An solchen Projekten wird intensiv gearbeitet. Folgt man etwa dem EU-Überwachungs- und Forschungsprojekt INDECT, so sollen Polizisten künftig mit handlichen Drohnen auf Streife gehen, um damit Verdächtige ausfindig zu machen und sie zu verfolgen: Die mit hochauflösenden Spezialkameras ausgerüsteten Drohnen sollen die Verdächtigen unter anderem mit Hilfe von Gesichtserkennungsprogrammen automatisch observieren und den Polizeibeamten am Boden sämtliche Informationen für einen Zugriff oder eine Festnahme liefern; zugleich sollen Beweise für ein späteres Gerichtsverfahren gesichert werden. Solche mobilen Observationssysteme werden auch für die Bekämpfung künftiger Aufstände im urbanen Raum entwickelt. Während der Fußball-Europameisterschaft, die 2012 in Polen und der Ukraine ausgetragen wird, sollen einzelne Indect-Systeme bereits unter Alltagsbedingungen zur Überwachung von Sportstätten getestet werden. Man will Hooligans identifizieren und auffälliges Verhalten frühzeitig erkennen – etwa indem man Fan-Gesänge aufzeichnet und bedrohliche Stimmlagen analysiert. In einem Forschungsprojekt der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX werden Drohnen speziell zur Kontrolle der Außengrenzen sowie zur »Terrorismusbekämpfung« entwickelt. Innenminister Schünemann hat sich weder den BigBrotherAward 2003 noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 2005 die präventive Telekommunikationsüberwachung für verfassungswidrig erklärte (Az. 1 BvR 668/04), zur Warnung dienen lassen, sondern stattdessen weitere Bürgerrechtsverstöße und Datenfreveleien begangen. So fährt der »sicherheitspolitische Überzeugungstäter«, wie ihn der frühere Niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte Burckhard Nedden nannte, einen erbarmungslosen Abschiebekurs, betreibt die Ausweitung der Videoüberwachung, fordert elektronische Fußfesseln für »gefährliche Ausländer« und »gewaltbereite Islamisten« ohne richterlichen Beschluß und hält es auch für richtig, Wohnungen heimlich zu durchsuchen. Dieser uneinsichtige Innenminister hat es wahrlich verdient, in diesem Jahr abermals mit dem BigBrotherAward der Kategorie »Politik« ausgezeichnet zu werden. Der Negativ-Preis wird jedes Jahr gemeinschaftlich von Bürgerrechts- und Datenschutzverbänden verliehen, darunter der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, dem ChaosComputerClub, der Humanistischen Union und der Internationalen Liga für Menschenrechte. Dieses Jahr erwischte es außer Schünemann unter anderen die Daimler AG für die Praxis, flächendeckend Bluttests von ihren Produktionsmitarbeitern zu fordern, die Zensuskommission für den »Zensus 2011« und die Erstellung sensibler Persönlichkeitsprofile von über 80 Millionen Menschen. Rolf Gössner ist für die Internationale Liga für Menschenrechte Mitglied der Jury zur Verleihung des BigBrotherAwards.
Erschienen in Ossietzky 7/2011 |
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