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Der Freiheitskampf im Jemen und das Schweigen des Westens

von Utz Anhalt (sopos)

In Ägypten trennten sich die Regierungen des Westens zaghaft von ihrem Freund, dem Diktator Mubarak, nachdem Millionen Demonstranten seinen Thron kippten. Nach Jahrzehnten Willkürherrschaft forderten seine westlichen Freunde ihn auf, keine Gewalt gegen Demonstranten einzusetzen. Wohlwollend ließe sich interpretieren, dass Angela Merkel, Guido Westerwelle und co von der Revolution in Ägypten überrollt wurden, sich jetzt aber ehrlich hinter die Demokraten auf dem Tahrirplatz stellten. Es sieht aber so aus, als ob sie lediglich auf einen Zug aufsprangen, der nicht mehr aufzuhalten war. Die Regierungen der EU und der USA überschlagen sich geradezu mit Sympathiekundgebungen für den Umbruch in Ägypten. Wenn sie diese Unterstützung der Demokraten in Arabien ernst nehmen würden, dann würden sie jetzt auf die Situation im Jemen reagieren. Ihre Partner Ben Ali und Mubarak ließen sie fallen, als klar war, dass das Volk siegt. Kein Wort jedoch gegen ihren alten Freund, den Terrorherrscher Saleh, dem Angela Merkel vor nicht allzu langer Zeit die Hände schüttelte. Dabei ist der Tahrirplatz des Jemens derzeit die Universität in Sanaa-Stadt.

In Sanaa, der Metropole im Norden des Jemens umstellen derzeit Panzerwagen des Diktators Saleh zehntausende von Demonstranten, die dort seit Wochen den Rücktritt des Tyrannen fordern. Die Oppositionellen klagen elementare Grund- und Freiheitsrechte ein. Noch sind sie dabei friedlich, zumindest in Sanaa. Offensichtlich bereitet sich das Regime darauf vor, die Demokratiebewegung mit Gewalt zu zerschlagen. Mehrere Journalisten aus den USA und England, die kritisch berichteten, ließ Saleh abschieben. Für Reporter ist es derzeit fast unmöglich, ein Visum zu bekommen. Salehs Regime ist dem von Mubarak und Ben Ali ähnlich, eine Diktatur mit Pseudoparlament und Pseudoparteien. In Mubaraks und Ben Alis Sturz hatte der Tyrann Saleh sein eigenes Schicksal vor Augen und versprach dem Parlament mehr Freiheiten. Auch Mubarak postulierte einen solchen demokratischen Anstrich seiner Despotie, um der Freiheitsbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wie auf dem Tahrirplatz lassen sich die Demokraten in Sanaa und Aden jedoch nicht beirren. Sie kennen ihren Unterdrücker seit langem. Sie wissen, wie er Wahlen manipuliert, Oppositionelle in den Folterkellern verschwinden lässt, wie er, vom Geld des Westens finanziert, mit den Al Qaida Terroristen zusammen arbeitet. Sie kennen ihn nur zu gut, um sich über den Tisch ziehen zu lassen. Wie die Mutigen auf dem Tahrirplatz ausharrten, bis Mubarak die Bühne verließ, so wollen auch die Demokraten im Jemen bleiben, bis Saleh stürzt.

Wo liegt der Unterschied zu Ägypten? Ägypten ist im Westen sehr bekannt, zum einen, weil unzählige Touristen aus Europa die Pyramiden und das rote Meer besuchen, zum anderen, weil Mubarak der engste arabische Partner in der Politik mit Israel war. Was in Ägypten passierte, erfuhr die Welt. Der Jemen aber ist ein Land, das die Welt vergessen hat. Militärs und Geheimdienste aus den USA und Europa rüsteten das Regime mit allem aus, was eine Diktatur zum Leben braucht, von Überwachungskameras bis zu Panzern. Der Öffentlichkeit in Europa ist kaum ein Vorwurf zu machen, denn der normale Zeitungsleser weiß nichts vom Jemen, Touristen kommen kaum in das von der Militärdiktatur verwüstete Land. Die politisch Verantwortlichen wissen aber, dass Saleh die Demokraten ermorden lässt, dass er mit den Dschihadisten zusammen arbeitet, dass die Korruption den Jemeniten das Mark aus den Knochen saugt. Sie wissen es, denn seit Jahren klärt die Opposition des Jemens im europäischen Exil die Regierungen Europas über die Menschenrechtsverletzungen im Jemen auf. Die Regierungen Europas und der USA haben Saleh seit 32 Jahren an der Macht gehalten. Sie sehen ihn und nicht etwa die demokratische Opposition als Garanten für die Stabilität des Landes. Wie in Ägypten unter Mubarak nahmen und nehmen sie dafür schwerste Menschenrechtsverletzungen in Kauf: Folter und Massenmord.

In Schweigen lässt sich viel hinein interpretieren. Vorsicht ist geboten, aus dem Schweigen des Westens vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Doch die westlichen Regierungen schweigen nicht nur zur Gewalt Salehs gegen Oppositionelle. Sie schweigen darüber, dass die reaktionären Öldynastien am Golf tausende von Soldaten nach Bahrain geschickt haben, um mit der dortigen Monarchie die demokratische Bewegung zu zerstören. So viel Schweigen ist verräterisch.

Dabei wären klare Worte der westlichen Regierungen gegen das fundamentalistische Regime in Saudi-Arabien und gegen Saleh eine wichtige Hilfe für die um ihre Freiheit kämpfenden Menschen im Jemen. Denn der Militärdiktator ist eine Marionette Saudi-Arabiens und des Westens, sein Regime auf die Unterstützung des Westens existenziell angewiesen. Niemand wird erwarten, dass Angela Merkel oder Obama Barack zum Sturz ihres Freundes Saleh aufrufen. Im Gegensatz zu Gaddhafi hat der jemenitische Diktator immer in ihrem Sinne funktioniert.

Es wäre aber bereits eine Lebensversicherung für die Freiheitsbewegung im Jemen, wenn seine Freunde in den westlichen Regierungen Saleh auffordern würden, keine Gewalt gegen Demonstranten einzusetzen und westliche Journalisten ihre Arbeit tun zu lassen. Der Despot ist nämlich vom Westen in viel höherem Ausmaß abhängig als Mubarak oder Ben Ali. Und er würde voraussichtlich keinen Krieg bis zum letzten Blutstropfen starten wie Gaddhafi. Dazu ist Saleh zu berechnend, dafür ist er zu opportunistisch. Er hat eigentlich keine Ideologie außer seiner persönlichen Bereicherung. Der Diktator wird wohl alles versuchen, um seinen Kopf zu retten, sich damit zufrieden geben, wenn ihm Saudi-Arabien oder die USA ein Luxusasyl in ihrem Land versichern.

Solidarität mit dem Jemen bedeutet in Europa, das Schweigen der Regierungen des Westens gegenüber seiner Gewaltherrschaft scharf zu kritisieren, öffentlich zu machen und Druck auszuüben auf Salehs Verbündete in Brüssel. In Europa und den USA leben viele Demokraten aus dem Jemen, die über die Situation im Land aufklären können und dies seit Jahren tun. Menschenrechtler und Demokraten sollten eine Lehre aus der Revolution in Ägypten ziehen: Die Lehre, den Freiheitskampf der Araber ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören. Die Menschen in Sanaa, die unter Lebensgefahr das Ende von Salehs Militärdiktatur fordern, brauchen keinen Unterricht in "demokratischen Werten". Sie brauchen heute das, was sie in den Jahrzehnten von Salehs Terror immer brauchten: Freunde im Westen, die hier Druck auf Salehs Freunde in den Regierungen des Westens ausüben, Menschenrechtler, die in Deutschland und den USA vor der Botschaft des Jemens demonstrieren und Saleh zeigen, dass seine Verbrechen bekannt sind. Das Fehlen dieser Öffentlichkeit war 32 Jahre lang der Schlüssel zur Macht des Präsidenten, die Aufklärung über seine Verbrechen und tausende von Menschen, die im Westen gegen sein Regime demonstrieren und Salehs Unterstützer in Zugzwang bringen, sind der Nagel auf seinem Sarg. Und diese Solidarität ist für Menschenrechtler geradezu eine Pflicht. Die westlichen Regierungen schweigen, die Freunde der arabischen Freiheitsbewegung dürfen es nicht tun. Die Demokraten im Jemen haben die Freiheit so verdient.

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sopos 3/2011