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Mai) und in der Kunsthalle »Unscharf – nach Gerhard Richter« (bis zum 22. Mai). Uwe M. Schneede, der Kurator der »Bilder einer Epoche« spricht von »Verwischung«. Unscharf und Verwischung, beide Begriffe schillern. In der Kunsthalle zeigen 24 deutsche und internationale Künstler ihre Auffassung von Unschärfe neben Gemälden von Richter. Hubertus Gaßner, Direktor der Hauses, macht im Katalog Richters biografische Erfahrungen in der DDR für dessen »Desillusionierung« verantwortlich. Richter war 1961 aus Dresden in den Westen gegangen. Alle Bilder, die er bis dahin gemalt hatte, verbrannte er 1962. Die danach, in den frühen Sechziger Jahren, entstandenen Gemälde, oft nach Zeitungsanzeigen, privaten Fotografien, auch von der eigenen Familie (als Vorbilder dienten Werke amerikanischer Pop-Künstler) – sie sind im Bucerius Kunst Forum ausgestellt. Dazu noch der Baader-Meinhof-Zyklus aus dem Jahre 1988. Richter schrieb, er wolle in seinen Bildern keinen »Anschauungsunterricht in deutscher Geschichte« geben und überhaupt keine Anschauung vermitteln. Er verweigert Informationen zu Bildern. So verhält sich leider auch der Katalog der Kunsthalle. Da sind sechs Schwarz-Weiß-Fotografien auf RC-Papier von Richter abgebildet mit dem Titel: »2.5.89–7.5.89« (1991). Was zeigen sie in ihrer Unschärfe? 2. Mai 1989 – meint er den Tag der Grenzöffnung im heute autoritär-antisemitischen Ungarn? Sind es Fotos von Folteropfern? Oder aus Lagern? Der Besucher der Ausstellung ist ratlos. In dem »Atlas«-Band von Richter, der sein Werk dokumentiert, auch die Vorlagen, fand ich nichts. Dagegen ist ein Bild ohne Titel, nur ein Pinselstrich in grau (1968), eindeutig ein Strich. Auch ein verwischter Tulpenstrauß (1995) hat nichts Geheimnisvolles. Ein abstraktes Gemälde Richters, mysteriös »Eule« genannt (1982): groß und sehr bunt, für ein Nachttier alles viel zu hell und knallig. Die Serie der kleinen Gemälde, die Richters dritte Frau mit Baby zeigen (1995), werden manchen Besuchern gefallen: zartblau, innig, auch mal rosa, zärtlich unscharf, fast impressionistisch verwischt. Dies hier in der Kunsthalle sei, sagt Gaßner, die erste Ausstellung (»wie ein locker gestreuter Essay«), die sich den vielfältigen Erscheinungsweisen der Unschärfe in Malerei und künstlerischer Fotografie der letzten 20 Jahre widmet. Auch die neue Technik der elektronischen Bildbearbeitung spielt hier eine Rolle. Diese Unschärfe wird als ein »Symbol der Postmoderne« verstanden, wie es Wolfgang Ullrich in seiner »Geschichte der Unschärfe« sieht. Unscharf? Nein, fast unsichtbar ist die Landschaft in Zartgrau, die der chinesische Maler Qiu Shihua in seinen beiden Gemälden (2002) darstellt. Wie das Verschwinden im Nichts. Merkwürdigerweise verschwinden auch die Demonstranten auf dem ungewöhnlich lange belichteten Foto; »1. Mai Demonstration, Potsdamer Straße, Berlin (10.03–10.08 Uhr)« vom 1.5.2008 von Michael Wesely. Zu sehen sind nur Häuser, Ampeln, Polizeiautos und zwei bewachende Polizisten. Die Straße, verwischt, die Menschen, sich bewegend, werden unsichtbar. Auf diese Weise lassen sich Demonstranten beseitigen. Das, was die politisch engagierte Fotografie wollte: »ikonische Eindeutigkeit als Mittel im Klassenkampf« (Bernd Hüppauf im Katalog), soll nicht mehr ungebrochen gelten. Unschärfe wird als Irritationsmittel eingesetzt. Beispiele in der Ausstellung von Ernst Volland. So jenes Foto, das selbst in der verwischten Form wiederzuerkennen ist: der erschossene Student Benno Ohnesorg und die Opernbesucherin, die sich über ihn beugt, ihm helfen will, hilflos sich umblickend. Ein Bild, das sich wie eine Ikone ins Gedächtnis eingebrannt hat und keine Einzelheiten zeigen muß, um verstanden zu werden. Dieses Foto ist nicht – wie oft bei Richters Bildern – »von Inhalten entleert« (Hüppauf). Als Loredana Nemes Ausländer (die längst Deutsche geworden sein können) in Neuköllner Teehäusern fotografieren wollte, wurde sie gefragt, ob sie »als Türken oder als Menschen« abgebildet würden. Die Silbergelatineabzüge lassen die Männer wie hinter einer Milchglasscheibe oder hinter zarten Gardinen erscheinen. So undeutlich wie unser Wissen über sie und über ihr Leben neben uns. Ganz anders Gemälde einer Richter-Schülerin, Karin Kneffel. Das 200 mal 240 Zentimeter große Bild ohne Titel (2005) zeigt ganz vorn einen kleinen struppigen Hund auf einem roten Teppich mit präzise gezeichnetem Muster. Dahinter unscharf der gebohnerte Boden, auf dem sich Möbelstücke spiegeln. Als Bild interessant – es würde auch Meister Richter gefallen –, aber das Muster tut weh. Oder das kleinere Gemälde (2009), wie ein Schwarz-Weiß-Foto: ein bürgerliches Wohnzimmer mit geblümtem Sofa und Sesseln. Die Künstlerin hat es mit kräftigen roten Pinselstrichen durchgestrichen. Das braucht keinen Titel, versteht sich von selbst. Das unscharfe Darstellen kann Bedeutungsunschärfe, Ambivalenz bedeuten, ein Nicht-Stellungbeziehen-Wollen. Oder alles ist möglich. Was aber hat sich Marc Lüders bei seiner Serie von Übermalungen gedacht, die nur Räume zeigen, auch ein vergittertes Fenster? Schmutzig gelblich-grün die Wände. Verwischt, weggewischt das, was zu sehen war. Nicht unscharf: ausgelöscht. Der Titel »AG 02 2010« sagt dem unwissenden Betrachter gar nichts. »Öl auf Endura Metallic Print auf Alubibond«, die technischen Angaben. Im Katalog: nichts. Nur auf der Pressekonferenz beim Rundgang erfuhr ich, daß es sich um die Folterbilder von Abu Ghraib handele. Die Menschen – weggestrichen. Wer es nicht weiß, geht vorbei. Wollte Lüders das? Seine Kritik am Umgang mit diesen Bildern, das Vergessen, Verschweigen? Nur der Künstler weiß es. Unschärfe? Bucerius Kunst Forum Hamburg: »Gerhard Richter. Bilder einer Epoche«. Katalog 216 Seiten, 24,80 €; Kunsthalle Hamburg: »Unscharf - nach Gerhard Richter«. Katalog 180 Seiten, 29 €
Erschienen in Ossietzky 6/2011 |
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