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April steigt in London die nicht nur von vielen Britinnen und Briten sehnsüchtig erwartete Hochzeit von Prinz William und Kate – sorry, Catherine Middleton. Daß die Regierung dafür einen Sonderfeiertag angeordnet hat, ist zwar für die produzierende Wirtschaft nicht unbedingt eine gute Nachricht, wohl aber für das Gastgewerbe und die Andenkenverkäufer. Ganz zu schweigen von den Massenmedien, die seit Wochen die von Camerons rigoroser Sparpolitik gebeutelten Unter- und Mittelschichtsangehörigen von den wahren Problemen abzulenken suchen. Die Offenlegung und Bekämpfung der kriminellen Machenschaften der Finanzindustrie ist zweifellos viel mühseliger als die Verabreichung hoher Dosen monarchistischen Opiums fürs Volk. Nun will es der Zufall, daß ich in England eine Gegend in der Grafschaft Berkshire so gut wie keine andere kenne, weil dort ein lieber Freund von mir lebt, der mir seit Jahrzehnten in seinem Cottage auch längere Aufenthalte gewährt. Das ehemalige Landarbeiterhaus steht an der schmalen Durchgangsstraße von Bucklebury Village – gegenüber der im 11. Jahrhundert errichteten Kirche St Mary The Virgin, deren Glocken von freiwilligen »bell-ringers« zuweilen übungshalber auch nachmittags zum Klingen gebracht werden. Bucklebury zählt rund 2000 Einwohner und teilt sich in zwei Dorfhälften. Die kleinere, das ursprüngliche, bereits im »Domesday Book« von 1086 erwähnte Bucklebury Village, liegt verträumt in der landwirtschaftlich geprägten Niederung am Fluß Pang, den Kraftfahrzeuge durch eine Furt queren können. Der größere Ortsteil, Upper Bucklebury, erstreckt sich auf einem Höhenzug an einer alleenartigen Landstraße entlang. Hier residieren in vom dichten Laub der Bäume verborgenen Anwesen zahlreiche Familien, die sich zur »upper class« zählen und nicht auf den Penny schauen müssen. Der nächste Anschluß zur Autobahn M4, die ostwärts in gut einer Stunde nach London führt – vorbei am Flughafen Heathrow, am Internat Eaton und an Windsor Castle – liegt nur einige Kilometer entfernt. Er garantiert sozusagen das gesellschaftliche und berufliche Fortkommen. Wenn ich früher erzählte, ich würde mal wieder eine Auszeit in Bucklebury nehmen, mußte ich erläutern, selbst in England wisse kaum ein Mensch, wo das liegt. Nicht weit von Newbury und nur eine halbe Stunde von Oxford entfernt, fügte ich dann hinzu, und damit war alles gesagt. Wenn ich demnächst gefragt werde, werde ich wohl nur vom »Middleton-Land« sprechen müssen und könnte mir den Hinweis auf Oxford sparen. In Bucklebury leben nämlich – das weiß ich freilich auch erst seit Weihnachten – Carole und Michael Middleton, die durch den Verkauf von Kinderparty-Artikeln zu Millionären wurden. Ihre drei Kinder wuchsen in Upper Bucklebury auf und konnten gut beleumdete Privatschulen besuchen. Ihre 1982 geborene Tochter Kate, die sich dieser Tage auf ihre Trauung mit einem sogenannten Thronfolger vorbereitet, besuchte als kleines Mädchen die St Andrew’s School in Pangbourne, die als »Diamant« unter den Privatschulen gerühmt wird und sich das gut bezahlen läßt – mit Gebühren von mindestens 8000 Pfund im Jahr. Auch das typisch viktorianisch anmutende Mädcheninternat »Downe House School« im nicht weit entfernt liegenden Dorf Cold Ash und zumal das in einer alten Burg angesiedelte »Marlborough College« in Wiltshire, wo Kate vor dem Studium den standesgemäßen Schliff erhielt, sind nicht gerade billig. Für das College werden im Jahr »fees« von gut 30.000 Pfund (34.000 Euro) fällig – ohne Taschengeld, versteht sich. Das christlich geprägte Internat mit seiner »tight-knit (eng miteinander verbundenen) community« appelliert übrigens an den Enthusiasmus der Zöglinge für Kunst, Theater, Musik und Sport und wünscht nur junge Menschen in seinen Mauern, die die angebotenen Bildungsofferten ernsthaft und zu ihrem Besten nutzen. Auch Samantha Cameron, die Frau des derzeitigen Premiers, kann davon ein Lied singen. Zurück nach Bucklebury und den umliegenden Dörfern, deren zum Teil urige Pubs ich mit meinem Freund so gern aufsuche. Dort, wo normalerweise bestenfalls »Cowboys« mit ihren Pick-up-Autos negativ auffallen – reisende Männer, die sich als Handwerker ausgeben und den Leuten überteuerte und mangelhafte Reparaturen andrehen –, fahren heute veritable Reisebusse über die heckengesäumten Teerstraßen, auf denen zumeist nur ein Fahrzeug Platz hat. Sie sind mehrheitlich besetzt mit Fotografen und Journalisten aus aller Welt, die das »Kate-Middleton-Land« nach allen Regeln des Boulevards ausschlachten wollen. Halt machen sie zum Beispiel in dem beschaulichen Weiler Stanford Dingley, dessen zwei Pubs ich als verlockendes Ziel abendlicher Besuche schätzen gelernt habe. Unvergessen ist meinem Freund und mir der Moment, als wir nach meiner Anreise am späteren Abend in das weiß getünchte, schiefergedeckte Pub »The Old Boot Inn« einkehrten und froh gestimmt zwei Pints Real Ale bestellten. Der damalige Wirt nahm ein Glas in die Hand, hielt es unter den an einer Handpumpe sitzenden Zapfhahn und schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht«, sagte er, »das Faß ist leer, und ein neues kann ich heute nicht mehr anstechen.« »Sie haben kein Bier für uns?« fragte mein Freund hörbar schockiert. »Trinken Sie doch was Reelles!« kam die barsche Antwort. »Wie wäre es mit einem schottischen Whisky?« Wir winkten ab und zogen ein paar Häuser weiter zum »Bull«, wo es noch Real Ale im Ausschank gab. Ein Pub übrigens, wo ich einmal längst nach der berühmten »last order, please« noch einige Bierchen trinken konnte, weil der Wirt, dem gerade seine Frau samt Tageskasse entlaufen war, kurzerhand die Tür verschlossen und eine »Privatfeier« anberaumt hatte. Während das von dicken und niedrigen Deckenbalken geprägte Pub »Bull« zur Zeit geschlossen ist, erhält das inzwischen mit einer guten Küche aufwartende »The Old Boot Inn« aus dem 15. Jahrhundert ungewöhnlich starken Zulauf. Was wunder, es ist eines der Lieblingspubs der Middletons, und Kate und ihr Prinz genossen hier manchen Abend vor dem heimelig knisternden Log-Feuer. Eben deshalb hat der stolze Wirt des Inns eine der begehrten goldgeprägten Einladungen erhalten, die ihn auf »Order« der Königin zur Trauung in die Westminster Abbey bittet. Nach der Rückkehr will er abends mit den Stammgästen eine Riesenparty feiern. Mein Freund hat mir abgeraten, wie üblich zu Ostern in Bucklebury vorbeizuschauen. Natürlich nicht aus Mangel an Gastfreundschaft. Der Einfall von peinlich neugierigen Pressevertretern mit einer großen Schar sonst nie gesehener Touristen im Schlepptau schlägt ihm offenbar aufs Gemüt. Mit der von ihm so geschätzten ruhigen Unaufgeregtheit des Lebens im Herzen des »Home County« Berkshire ist es dieser Tage jedenfalls vorbei. Wir haben uns nun telefonisch auf ein Treffen im Juni verständigt und wollen dann einen unserer geschätzten Spaziergänge entlang dem Flüßchen Pang nach Stanford Dingley machen. Vielleicht erhalten wir im »Old Boot Inn« sogar problemlos einige Pints Real Ale der West Berkshire Brewery, und das frei von neugierig prüfenden Blicken royal verengter Medienvertreter. Unterwegs macht es übrigens großen Spaß, die in dieser Gegend auf elektrozaungesicherten Wiesen frei laufend gehaltenen Schweine zu beobachten. Wenn sie uns dann wissend anblinzeln und dabei schmatzend auf kleinen Feldsteinen kauen, wenn sie sich quiekend paaren oder in den flachen Nissenhütten ein Nickerchen machen, fällt es mir bestimmt leicht, ein Fazit zu ziehen: »Ich glaub’, mein Schwein pfeift.«
Erschienen in Ossietzky 6/2011 |
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