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Tourismus statt Terrorismus.

In Ägypten, in Tunesien und morgen im Jemen?

von Utz Anhalt (sopos)

Die sozialen Verhältnisse und die politische Unfreiheit unter Mubarak waren nicht unbedingt im Horizont der Touristen, die die Pyramiden besuchten oder im Roten Meer tauchten. Verantwortungsvolles Reisen ist überall in der Welt wichtig. Die Frage stellt sich immer wieder von neuem, ob es richtig ist, Länder zu bereisen, in denen die Regime schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen und durch diese Reise womöglich die Tyrannen zu stärken. Oft kommt es dabei auf das Wie des Reisens an. Wer zum Beispiel in Burma auf den lokalen Märkten einkauft und privat übernachtet, unterstützt die Menschen vor Ort. Die Militärdiktatur stützt er in jedem Fall auch, durch die Devisen, die in das Land kommen… Wer zudem aber zuhause über seine Erfahrungen mit der Menschenrechtssituation unter dem Regime berichtet, sorgt mit dafür, dass die Opfer der Diktatur nicht vergessen sind.

In Ägypten stellen heute viele selbstkritisch fest, dass sie nicht genau hinsahen in das Elend außerhalb der Hotelanlagen, die unbequemen Fragen nicht stellten, die ihnen ihr Stadtführer vielleicht beantwortet hätte. Jetzt entpuppt sich der Taxifahrer als Freiheitskämpfer, die Falafelverkäuferin organisiert eine Volksküche auf dem Tahrirplatz. Oder umgekehrt: Der sympathische Hotelmanager outet sich als Anhänger des alten Polizeistaates, bangt um seine Privilegien. Selbstkritik ist angebracht. Aus Scham nicht wieder in das Urlaubsland zu fahren, nicht. Der Tourismus ist die wichtigste Branche Ägyptens. Sie kam nicht nur Mubarak und seiner Clique zugute – ganz im Gegensatz zu den großzügigen Waffenlieferungen aus Europa und den USA. Nicht nur die großen Hotelketten, sondern unzählige Führer, Taxifahrer, Ladenbesitzer, Angestellte und auch Arbeiter im Baugewerbe profitierten davon. Und es ist wichtig, dass sie unter freieren Verhältnissen weiter davon profitieren. Für Tunesien gilt das gleiche.

Tourismus bahnt sich als Möglichkeit für den Jemen an, dessen Bevölkerung unter einer Militärdiktatur leidet. Der positivste Fall: Die Menschen im Jemen jagen den Blutsäufer, Präsident Saleh, zum Teufel, und er kommt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht. Statt im Bürgerkrieg zu verbluten, arbeiten die Jemeniten eine föderale und demokratische Verfassung aus. Dann bliebe das Problem des materiellen Elends in diesem Armenhaus Arabiens. Und hier würde sich durch den Tourismus eine große Chance eröffnen. Kaum jemand bereist heute den Jemen - aus verständlichen Gründen. Al Qaida Terroristen unter Obhut des Militärdiktators, Entführungen deutscher Staatsbürger durch Stämme, die mit diesen Terroristen unter einer Decke stecken, Bombardierungen der Dörfer in den Bergen im Norden durch Saudis und Amerikaner sind nicht gerade ein Urlaubsparadies. Was aber, wenn der Westen aufhören würde, den Diktator des Jemens zu unterstützen, wenn die religiösen Fundamentalisten aus Saudi-Arabien Hausverbot in einem jemenitischen Parlament hätten? Was, wenn im Jemen eine friedliche und demokratische Entwicklung einsetzt?

Dann böte der Jemen, was "entwickelte" Länder Arabiens nicht bieten können. Die Stämme im Jemen inszenieren traditionelles Leben nicht für Touristen, sie leben es. Kulturgeschichte aus Jahrtausenden, von der Felsenstadt Petra bis zum "Weihrauchland" präsentiert sich als Freilichtmuseum. Das Harz des Weihrauchbaumes und die Myrrhe haben hier ihren Ursprung. Die Weihrauchstraße durch das Hochland des heutigen Nordjemen war eine der ältesten bekannten Handelsstrassen. Schiiten im Norden, Sunniten im Süden, urchristliche Gemeinden: Die Gebirge des Jemens waren wegen ihrer Unzugänglichkeit ein Rückzugsgebiet religiöser Splittergruppen und kulturell Verfolgter. Äthiopier und Perser, Araber und Inder, Briten, Holländer und Franzosen hinterließen ihre Fußabdrücke. Mokka, ein Begriff für orientalischen Kaffee, ist nach einer Stadt im Jemen benannt, denn im 18. Jahrhundert kam der Kaffee ausschließlich aus dem Jemen.

Die Altstadt von Sanaa könnte als Kulisse für die Märchen von tausendundeiner Nacht dienen. Aden im Süden war der Schlüssel zum Handel zwischen Indien und Arabien, und die Spuren dieser Weltgeschichte begleiten den Besucher auf Schritt und Tritt. Dieses ärmste aller arabischen Länder hat Reisenden mehr an Kultur und "Authentizität" zu bieten als alle reichen Ölemirate zusammen. Die Lehmarchitektur Sanaas, die große Moschee, die Stadtburg steht Marrakesch in nichts nach. Zu Recht wurde Sanaa 2004 zur Kulturhauptstadt Arabiens gewählt. In Marib liegt die alte Hauptstadt des Königreichs von Saba, Ruinen aus antiker Zeit. Der Golf von Aden lockt mit unberührten Stränden und Tauchmöglichkeiten wie das Rote Meer. Vom subtropischen Süden in die Wüsten und Berge des Nordens zu reisen wäre eine Tour, die unvergessen bleibt.

Statt zu Al Qaida zu gehen oder als Söldner für die Fundamentalisten in Saudi-Arabien in den Krieg zu ziehen, könnten die jungen Männer aus den Stämmen in den Bergen Touristen durch das Land führen. Denn es ist die Armut und die Perspektivlosigkeit, die den Dschihadismus so verlockend erscheinen lässt, nicht die fanatische Hingabe zum "Islam". Wie viele ehemalige Wilderer arbeiten heute in afrikanischen Nationalparks als Wildhüter?

Für die Al Qaida Terroristen sind die Stämme in den Bergen des Jemens heute ein Rückzugsgebiet. Die Stammesmitglieder kennen dort jede Höhle, jeden Baum, jeden Felsen. Sie sind also prädestiniert dafür, Touristengruppen unvergessliche Naturerlebnisse zu bereiten. Auf dem Kamel durch die Wüste zu reiten, auf dem Lagerfeuer Fladenbrot zubereiten, wenn die Sonne zwischen den Sanddünen versinkt – dafür reisen Tausende in die Wüste Thar im indischen Rajasthan. Im Jemen gäbe es das alles auch, und zwar ohne tourismuserprobte Halsabschneider, betrügerische Rikschafahrer, raffgierige Händler und aus allen Nähten platzende Smogmetropolen.

Derzeit rät das Auswärtige Amt vor Reisen in den Jemen dringend ab, zu Recht. Nicht nur Leib und Leben der Demokraten im Jemen, sondern auch das europäischer Reisender ist durch das Militärregime Saleh, die kriminellen Banden unter Obhut des Staatsoberhauptes, die dschihadistischen Terroristen und die einfallenden Saudi-Soldaten massiv gefährdet. Wenn, ja, wenn es den Jemeniten gelingt, den Tyrannen zu stürzen und damit die Al Qaida Terroristen gleich mit aus dem Land zu jagen, bietet sich dem aufgeschlossenen Reisenden eines der faszinierendsten Länder Arabiens. Und den Armen, die Waffen tragen, böte sich eine zivile Chance, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Der Tourismus könnte damit gleichzeitig die demokratische Entwicklung stützen. Denn ein Scheich, ein Stammesoberhaupt, dessen Stamm vom Tourismus profitiert, wird es sich zehn Mal überlegen, Dschihad-Terroristen in sein Gebiet zu lassen, die Anschläge auf diese Touristen verüben. Bei einer halbwegs friedlichen Entwicklung könnte das derzeit von Staatsterror und Al Qaida heimgesuchte Land zu einem Magneten für Bildungsreisen werden.

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sopos 3/2011