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Vorher aber wollen wir uns mit Libyen befassen, mit den Gewalttätigkeiten dort, die von NATO-Politikern als Herausforderung zur militärischen Intervention ausgelegt werden könnten. Wollen die USA, die gegen Irak Krieg geführt haben und den Iran mit Krieg bedrohen, die Gelegenheit nutzen, in einem dritten Öl-Land des Nahen Ostens die Vorherrschaft zu übernehmen, vielleicht eine Monarchie wiederherzustellen, eine Staatsform, die sie für orientalische Staaten immer besonders passend befunden haben? Wir fürchteten schon, eine in erprobter Weise als »humanitär« deklarierte Intervention würde kurzfristig beginnen und die Bundeswehr würde sich sogleich daran beteiligen. Eine Nebenwirkung wäre gewesen, daß der deutsche »Verteidigungsminister« als Inhaber der Kommandogewalt fortan als unangreifbar gegolten hätte. Die Bild-Zeitung, deren Redakteure wie alle Journalisten des Springer-Konzerns arbeitsvertraglich auf das transatlantische Bündnis mit den USA verpflichtet sind, hielt und hält noch immer zu Guttenberg, der mit ihrem Chefredakteur Diekmann nicht nur die Frisur gemein hat. Wie eh und je wird die Blöd-Zeitung auch Guttenbergs Nachfolger de Maizière, alle Politiker und alle Leser bedrängen, sich in neuen imperialistischen Kriegen keineswegs abseits zu halten. Mit dieser realen Gefahr müssen wir uns vorrangig und kontinuierlich auseinandersetzen. Red. »Gaddafi kann nicht bleiben«, sagt der deutsche Außenminister. Eine eigenartige Formulierung für den Willen der westlichen Wertegemeinschaft, in den libyschen Turbulenzen die eigenen Interessen durchzusetzen. Möglicherweise schwingt darin leises Bedauern mit, daß sich die Lage dort dermaßen dramatisiert hat. Immerhin hatte sich das Gaddafi-Regime ja lernwillig gezeigt, Gerhard Schröder und Karl-Theodor zu Guttenberg hatten Besuche gemacht, BND-Experten libysches »Sicherheitspersonal« ausgebildet, Firmenkontakte hatten sich profitabel entwickelt, das Rüstungsgeschäft lief. Jetzt aber ist Härte geboten, militärisch gestützte Sanktionen werden vorbereitet, unter Umständen müssen NATO- und EU-Truppen »humanitär intervenieren«, man kennt das ja, auf dem Balkan wurde es mit Erfolg vorexerziert. Die Bundeswehr und das britische Militär haben mit der Heimholung von Zivilisten aus Libyen schon Vorübungen gemacht. Kriegsschiffe der USA sind vor die Küste Libyens beordert. Ein Militäreinsatz in Libyen hätte auch einen demonstrativen Warneffekt: Die Revoltierenden in den anderen Staaten des Maghreb und am Golf wüßten dann, wo letzten Endes die Autorität liegt. Reformen sind, wenn das Volk auf der Straße so vehement aufbegehrt, nicht zu vermeiden, aber sie müssen in die richtige Richtung gehen. Auskunft darüber erteilen die Weltbank und der Internationale Währungsfond, die sich ihrerseits der Sachkenntnis des Weißen Hauses bedienen. Der deutsche Wirtschaftsminister hat es angesichts der Unruhe in Tunesien und Ägypten auf eine allgemeinverständliche Formel gebracht: Demokratie müsse das Ideal sein, aber die Praxis der »Marktwirtschaft« gehöre untrennbar dazu. Die EU-Staaten haben, was ihren nordafrikanischen Hinterhof angeht, noch ein spezifisches Interesse: Dort muß dafür gesorgt werden, daß die »demographische Bombe« dieser Länder nicht nach Norden hin explodiert. Im Fach »Marktwirtschaft« hatten die Maghreb-Staaten schon unter den Potentaten, die jetzt in die Bredouille geraten sind, von der westlichen Wertegemeinschaft bestätigte Lernfortschritte gemacht. Arabisch-nationalistische oder linke Versuchungen waren unterdrückt, islamische Quertreibereien in den Untergrund verwiesen, dem US-amerikanischen und europäischen Kapital seine Freiheiten zugestanden worden: für den Zugriff auf Banken, Industriebetriebe, Immobilien und vor allem auf das Ölgeschäft. Damit die Reformer nicht verunsichert würden, bekamen sie reichlich Waffen, was sich besonders für die Lieferanten lohnte. Nun ist diese schöne Entwicklung durcheinandergebracht worden: Arabische Massen fordern Selbstbestimmung ein, obwohl sie doch, folgt man der Sarrazin-Theorie, zu solchen Intelligenzleistungen eigentlich gar nicht imstande sein dürften; die Weltgeschichte hält offenbar immer noch Überraschungen bereit. Was tun? Wiederum hat der deutsche Wirtschaftsminister das einleuchtende Stichwort geliefert: Die »Transformationspartnerschaft« müsse neu justiert werden. Erst einmal gilt es, so das Weiße Haus, Gaddafi »zur Rechenschaft zu ziehen, weil er gegen Regeln des Anstands verstoßen hat«. Anstandsregeln sind sodann den anderen Staaten und Völkern in Nordafrika und am Golf eindrücklich zu vermitteln, all den Menschen dort, die nicht nur politische, sondern auch soziale Rechte einfordern, um aus ihrem Elend herauszukommen. Von einer »Transformation«, das müssen sie lernen, darf man nicht Wohlstand für alle verlangen, »Partnerschaft« darf nicht als Gleichberechtigung mißverstanden werden. Der Unsicherheitsfaktor bei alledem: Es gibt keine Gewähr, daß Menschen, die etwas in Bewegung gebracht haben, dies nicht noch einmal versuchen. Unanständigerweise.
Erschienen in Ossietzky 5/2011 |
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