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Auch Sven-Eric schwieg, so daß Françoise sich schließlich genötigt sah, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, um die allmählich peinlich werdende Schweigsamkeit zu beenden. »Ich hatte dich in Freiburg vermutet«, sagte sie. »Haben nicht die Vorlesungen schon wieder angefangen?« »Schon seit einer Woche«, gab ihr Sohn zur Antwort. »Ich muß mir ein paar Bücher holen, die ich fürs Studium brauche.« Ein Vorwand, dachte Mahler. Er muß doch gewußt haben, daß ich da bin. Warum kommt er dann? Aus Sorge um seine Mutter? Oder aus Neugier? Womöglich übernachtet er auch hier, noch dazu an unserem letzten Tag. Er empfand den unangemeldeten Besuch als einen Übergriff. Dennoch überwand er sich und fragte: »Sie studieren vergleichende Literaturwissenschaft?« Sven-Eric nickte und ging darauf ein: »Komparatistik. In diesem Semester beschäftigen wir uns mit Schriftstellern aus dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, in deren Werken das amerikanische Leitmotiv vom neuen Jerusalem im Sinne von Geld und Glauben eine Rolle spielt.« Mahler horchte auf. »Wie ist das mit dem Geld und dem Glauben gemeint? Bezieht sich das auf die Wahlverwandtschaft zwischen Kapitalismus und Puritanismus, diese ökonomische Prädestinationslehre, die nach der Unabhängigkeit in der Literatur der USA thematisiert wurde, zum Teil recht kritisch?« »Genau darum geht es. Um Literatur, die sich kritisch mit der These vom Reichtum als Gabe der Vorsehung auseinandersetzt, also auch mit dem Wahn, alles sei machbar, und wenn Gott uns liebt, lässt er uns reich werden.« »Spannend«, fand Mahler. »Ich schreibe an einem neuen Roman, der allerdings in Deutschland spielt. Da beschäftige ich mich unter anderem mit solchen Fragen: mit der Gier nach Geld als Mittel, Materie anzuhäufen und Macht zu erlangen, sozusagen aus Furcht vor der Verdammnis, wie der Soziologe Max Weber die religiöse Antriebskraft für den Kapitalismus gedeutet hat.« Sven-Eric hatte seine Befangenheit völlig abgelegt. Er wirkte jetzt angenehm selbstbewußt und aufgeschlossen. »Damit hat sich bereits in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts James Fenimore Cooper in seinen Romanen auseinandergesetzt«, erzählte er. »Cooper beschreibt, wie die sogenannten Pioniere die Natur verwüsteten, wie sie mit Kanonen auf die Taubenschwärme feuerten, Seen trockenlegten, um sämtliche Fische auf einmal zu fangen, und wie sie auf alles schossen, was sich in der Prärie und im Wald bewegte. Die puritanischen Yankees nannte er Heuschrecken des Westens, und später schrieb er, daß diese Heuschrecken ihre Schiffe in alle Welt schicken, um für ihre Ziele Krieg zu führen.« Françoise zog die Stirn in Falten. »Das finde ich polemisch und ziemlich dreist«, warf sie ein. »Wir können doch froh sein, wenn die Amerikaner für uns die Ordnungsmacht spielen.« Ihr Sohn stand abrupt vom Tisch auf und ging hinaus, obwohl sein Teller noch halb gefüllt war. »Was ist denn?«, rief sie irritiert. »Ich wollte dich doch nicht beleidigen!« Bestürzt blickte sie ihm nach und wollte sich gerade erheben, da kam er schon mit zwei Büchern zurück, schlug eins auf und zitierte: »Es wird nicht mehr lange dauern, so zieht eine verfluchte Bande von Holzschlägern und Baumfällern auf dem Fuße nach und verheert die schöne Wildnis, welche sich so breit und reich am westlichen Ufer des Mississippi hinstreckt. Alsdann wird das Land eine bevölkerte Wüstenei sein vom Meeresgestade bis zu den Rocky Mountains – bevölkert, sage ich, vom Abschaum und der Hefe der Menschheit, und beraubt von allen Naturgaben und Lieblichkeiten …« »Die Vision hat sich erfüllt«, stimmte Mahler zu, »und Coopers Aussage ist leider nach wie vor aktuell. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten als das Land der grenzenlosen Begierden. Max Weber sprach von Fachmenschen ohne Geist und von Genußmenschen ohne Herz, die sich einbildeten, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschseins erstiegen zu haben, und er bezeichnete diese Spezies als ein Nichts.« »Ich weiß nicht, was ihr mit dieser USA-Schelte bezweckt«, wandte Françoise ein, wobei wieder Unmut in ihrer Stimme mitschwang. »Mir ist das alles zu negativ, es trifft meines Erachtens überhaupt nicht auf die heutigen USA zu. Ich bin des Öfteren drüben und schätze die Tüchtigkeit und den Realitätssinn der Amerikaner. Daran könnten wir uns hier in Europa ein Beispiel nehmen.« Ohne auf sie einzugehen, zitierte Sven-Eric weiter: »Er betrat die Peterskirche in Albany mit demselben indifferenten und zynischen Gehabe, mit dem er, seit er sich in der York-Kolonie aufhielt, alles außer Geld zu betrachten schien. Er verfehlte niemals, dem Gelde seine Achtung zu bezeugen, in welcher Gestalt es ihm auch begegnen mochte. Geld war ihm die einzige Quelle menschlicher Auszeichnung und Vornehmheit, die er ganz klar begreifen konnte …« »Was stört dich an dieser Analyse einer völlig vom Geld besessenen Gesellschaft?«, wandte sich Mahler amüsiert an Françoise, ihren Unwillen, der ihr vom Gesicht abzulesen war, ignorierend. »Cooper war mit seinem Roman ›Die Ansiedler‹ immerhin der erste Bestsellerautor der USA. Sogar unser Dichterfürst Goethe las und schätzte ihn.« »Allerdings wurden seine Werke wenig später in seiner Heimatstadt Cooperstown öffentlich verbrannt«, ergänzte Sven-Eric. »Er war seinen Landsleuten durch seine Gesellschaftskritik so verhaßt geworden, daß ihn einige am liebsten umgebracht hätten.« Noch bevor seine Mutter zu einer Erwiderung kam, hatte er das zweite Buch aufgeschlagen und las: »Den Angelsachsen mangelt es an Güte, / Die Liebe andrer Völker zu gewinnen. / Bei den Entrechteten sind sie verhaßt, / Indianern, Indern – Ost und West. / Piraten sind’s, der Erdball ihre Beute, / Grau und verlogen, Mammons Leute, / Im Namen Christi, treu dem Geld / (Bewehrt ist ihre eherne Stirn) – / So schänden sie den letzten Hain der Welt.« »Plumper, primitiver Antiamerikanismus!«, schalt ihn Françoise, aber ihr Sohn lachte und hielt ihr das Buch entgegen: »Herman Melville, Autor des berühmten Romans ›Moby Dick‹. Das hättest du wohl nicht gedacht.« »Übrigens auch so ein zu Lebezeiten umstrittener Schriftsteller aus gutem Hause«, unterstützte ihn Mahler. »Er mußte später als Zollinspektor im New Yorker Hafen seinen Lebensunterhalt verdienen, als niemand mehr seine Bücher kaufen wollte. Du siehst, meine Liebe«, wandte er sich erneut Françoise zu, »wie schwierig und gefahrvoll es ist, nicht nur als Schriftsteller, sondern überhaupt als kritischer Geist zu überleben.« »Ach ihr!«, rief sie mit gespielter Empörung. »Ihr habt euch gegen mich verschworen.« Dies ist ein Auszug aus Wolfgang Bittners im März im Verlag André Thiele in Mainz erscheinendem Roman »Schattenriß oder Die Kur in Bad Schönenborn«
Erschienen in Ossietzky 4/2011 |
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