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Basta. Daß er aus der SED ausgeschlossen wurde, schmerzte den kämpferischen Sozialisten Bahro damals mehr als die gerichtliche Verurteilung wegen Geheimnisverrats und anderer Straftaten zu acht Jahren Haft in Bautzen. Alsbald formierte sich in der Bundesrepublik Deutschland ein Komitee zur Befreiung Bahros, tonangebende westdeutsche Politiker taten so, als stimmten sie mit seinen Auffassungen überein. Als er nach zweieinhalb Jahren überraschend aufgrund einer Amnestie mit Frau und drei Kindern in die Bundesrepublik ausreisen durfte, blieb er zunächst ein gefeierter Mann, obwohl er niemals den Kapitalismus als Alternative zum Sozialismus befürwortete. Weniger verblüffend als folgerichtig war, daß Bahro, der erst recht nach dem Mauerfall 1989 eine gründlich reformierte DDR für die notwendige Alternative zum Kapitalismus ansah, sich auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS im Dezember 1989 zu Wort meldete. Das war dann auch das Ende seiner Wertschätzung als »Dissident«. Man brauchte ihn allerdings auch nicht mehr … Das Wiedersehen mit den Genossen war nicht ungetrübt. Viele wollten immer noch und gerade jetzt nach dem Fall der Mauer von den Fehlleistungen der Partei nichts mehr hören. Und ausgerechnet jetzt trat dieser Westheimkehrer uneingeschränkt für den Sozialismus als nötige Alternative ein und warnte vor der Menschheitskatastrophe, die der ausschließlich auf Profit orientierte Kapitalismus anrichtet! Buhrufe begleiteten seine Rede. Bahro hatte sich seinen Empfang anders vorgestellt … Am 17. Dezember 1989 stand Rudolf Bahro in meinem Arbeitszimmer in der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. Die ihn anmeldende Mitarbeiterin hatte noch die Türklinke in der Hand, als Bahro mich bereits wie einen alten Freund herzlich begrüßte: Er habe das dringende Bedürfnis, mich kennenzulernen. Die Delegierten des Sonderparteitages hätten vor lauter nur zu verständlichen Tagesordnungsproblemen noch kein Ohr dafür gehabt, daß der »alternative Sozialismus« durchgekämpft werden müsse. Die Logik der Rettung gelte nicht der DDR, wie sie war, aber die »Elemente einer neuen Politik« seien doch in vielen Köpfen längst vorgedacht. Weil Zeitverlust unverantwortbar sei, komme er jetzt zur Universität. Auf meine verblüffte Frage, warum er dann zu den Theologen komme, wies er lachend auf die Bilder und die Schleiermacher-Büste in meinem Büro: Schleiermacher hat gemeinsam mit humanistischen Rebellen und Sozialreformern die Universität einst gegründet, Bonhoeffer war ein konsequenter Widersacher des Faschismus auch an dieser Fakultät, und Martin Buber hat den Dialog mit Deutschen nach dem Holocaust nicht abgebrochen. Wie inspirieren sie uns heute? In einem Brief an mich beantwortete er seine Frage selbst: »Von innen ist meine Logik der Rettung eine politische Theologie …« Bahro war davon überzeugt, daß die Humboldt-Universität sich nicht einfach an den Westen anpassen dürfe. Er jedenfalls traue der schöpferischen Kritikfähigkeit der Lehrenden und Studierenden zu, daß sie aus den vierzig DDR-Jahren wichtige Erfahrungen gerade für die jetzt nötig zu erstellenden Grundlagen internationaler Solidarität in Friedens- und Umweltfragen einzubringen hätten. Darüber hinaus sollten sich Lehrende und Lernende der Humboldt-Universität mit all den Kräften in der Bundesrepublik, aber auch weltweit verbünden, die nicht länger der »Selbstmordlogik« westlicher kapitalistischer Denkungsart folgen wollen. Bahro traute den Universitäten und Hochschulen, vor allem der Akademie der Wissenschaften der DDR, immer noch zu, daß sie sich in Lehre und Forschung bewußt den zivilisatorischen Prozessen »gegen Krieg und Zerstörung der natürlichen Umwelt« anschließen würden. Damals hoffte ich noch, Bahro könne recht behalten. Er schlug Seminare neuen Typs als interdisziplinäre »scientific community« vor; ein interdisziplinärer Konsens sei entscheidend. Man müsse aus der Todesspirale Wissenschaft und Rüstung wegkommen. Als Vertreter der Theologischen Fakultät war ich Mitglied des Akademischen Senats, in dem ich mit dem Prorektor Dieter Klein über Bahros Besuch sprach. Er wollte sich dafür einsetzen, daß Bahro an die Universität käme. Schon am 11. Mai 1990, sieben Tage nach meiner Wahl zum Rektor, schrieb mir Bahro: » … heute unterschreibe ich einen irgendwie noch provisorischen Einstellungsvertrag … In der Zeitung der Universität gab’s die Koinzidenz Ihrer Kandidatur und meiner Intention mit so einem › Zentrum für Sozialökologie‹ … Inzwischen sind Sie der Rektor, und ich begrüße die Magnifizenz! Jedenfalls sehe ich’s im Ernst als gutes Omen.« Bahros Vorlesungen und Seminare gehörten zum Studium generale. Nicht nur Studenten, sondern auch Bürger aus West- und Ost-Berlin fanden im Auditorium Maximum oft nur Stehplätze. Bahro lud prominente Kollegen ein und moderierte oft die stundenlangen Diskussionen selbst – mit Kurt Biedenkopf, Carl Amery, Dorothee Sölle und vielen mehr. Dieser ungewöhnliche Zulauf an Hörern wurde auch kritisch beäugt: »Ökologischer Spinner«, »idealistischer Reformer von unten«, »Dissident«, »Mystiker«, »Esoteriker«. Mit Wirkung vom 15. September 1990 wurde Bahro vom DDR-Minister für das Hoch- und Fachschulwesen, Hans Joachim Meyer (CDU), zum außerordentlichen Professor für Sozialökologie berufen. Als am 3. Oktober 1990 die Einheit des alten Deutschland besiegelt war, wurden bald auch Bahros gerade gegründetes Institut für Sozialökologie und seine außerordentliche Professur evaluiert. Das Verfahren zog sich hin. Der Brief, den Bahro am 2. November 1993 von der Humboldt-Universität erhielt – ich war inzwischen als Rektor und Hochschullehrer »abgewickelt – traf ihn ebenso wie das Evaluierungsgutachten. Bahro gab mir die Unterlagen seiner Evaluierung mit der ausdrücklichen Bitte, sie als »Lehrtext« der Abwicklung eines zu DDR-Zeiten berufenen Professors zu verwenden. Da heißt es: »Die Entscheidung über Ihre Professur ist in mehrfacher Hinsicht von hoher symbolischer Bedeutung. Sie sind nach der Wende als einer der bekanntesten Dissidenten, der für seine Überzeugung jahrelang in DDR-Gefängnissen saß, in einem Akt der Wiedergutmachung an die Humboldt-Universität geholt worden. … Bezüglich Ihrer wissenschaftlichen Qualifikation bzw. Arbeitsweise bestanden in der Kommission – das wird Sie gewiß nicht überraschen – erhebliche, durch zwei auswärtige Gutachten gestützte Bedenken.« Dem gelobten DDR-Dissidenten wurde in dem Brief bescheinigt, daß er für eine Universität im vereinigten Deutschland keineswegs leicht zu ertragen sei. Schließlich habe er schon 1980 dazu ermutigt, für die Bundesrepublik »Elemente einer neuen Politik zu suchen«. Aber die Universität werde es mit Bahro wagen. »Die bisherigen Erfolge der von Universität und Senatsverwaltung betriebenen Berufungspolitik haben der Humboldt-Universität ein Selbstbewußtsein verliehen, das es erlaubt, mit den Lasten der Vergangenheit auch einen ausgesprochenen Außenseiter zu ertragen.« Ich fand den Text unerträglich. Im Gutachten wird zugestanden, daß es sich aber »bei dem von Herrn Bahro beanspruchten Forschungsgebiet um ein Desiderat erster Dringlichkeit« handelt. »Das Programm Bahros leitet sich aus einer Annahme ab, daß sich der Zustand der Welt als ›Realapokalypse‹ darstellt, in der ›das irdische Gleichgewicht‹ durch eine ›ökologische Krise‹ radikal zerstört sei … Das Programm Bahros ist auch nach Urteil der externen Gutachter weniger ein Wissenschafts- als ein Bekehrungsprogramm, Bahro selber weniger Forscher als Missionar. Was er behauptet, hat den Charakter von Botschaften, die weniger zur Prüfung als zur Nachfolge einladen. Verpflichtet man Universitäten auf Rationalitätsmaßstäbe, die die theoretischen Anschlußfähigkeiten der Fragestellungen, die Methodik der Beweisführung, die Systematik des Argumentierens und die Revidierbarkeit der eigenen Aussagen vorsehen, erfüllen Forschung und Lehre von Herrn Bahro diese Bedingung nicht …« Sein Institut wurde, weil Bahros Denkansätze für sozialökologische Wissenschaft nicht nachvollziehbar seien, Mitte der 90er Jahre geschlossen. Der Dissident hatte schließlich seine Schuldigkeit längst getan … Bahro starb am 5. Dezember 1997. In einem Nachruf hieß es treffend, daß er unter Widersprüchlichkeiten der Zeit mehr gelitten habe als unter seiner schweren Krankheit. Das kann ich bestätigen. Vor seinem Tod hat er wiederholt öffentlich seinem Anwalt Gregor Gysi volles Vertrauen ausgedrückt, weil die Verleumder kaum zu bremsen waren. Sein Projekt »Die Idee des homo integralis« oder »Ob wir eine neue politeia stiften können« ist nur dann zum Fragment verurteilt, wenn sich niemand finden sollte, der mit Mut, Verstand und Hoffnung aufs Überleben der Menschheit die Ideen aufnimmt und gemeinsam mit anderen weiterdenkt. Ohne Zeitverlust.
Erschienen in Ossietzky 3/2011 |
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