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Die SPD, so ihr Vorsitzender, habe sich zum Militäreinsatz am Hindukusch stets »bekannt und sich vor der Verantwortung nicht gedrückt«. Eine altbekannte propagandistische Formel: Kriegsgegner als »Drückeberger«. Minister Karl-Theodor zu Guttenberg machte sich über die Anstrengungen der Parteien, Abzugstermine in Aussicht zu stellen, in einem Interview lustig: Ihm sei es »völlig wurscht«, welches Jahr dort genannt werde, denn in dem Beschluß werde doch als Bedingung für den Abzug und dessen Terminplan genannt: »... soweit die Lage dies erlaubt«. Die militärische Lage, wie könnte es anders sein, klärt und beurteilt der zuständige Minister. Freiherrlich. P. S. Die Opfer der WaffenexporteSeit Jahrzehnten beliefert die Heckler & Koch GmbH (H&K) in Oberndorf am Neckar, Europameister in Herstellung und Export von Gewehren und Pistolen, menschenrechtsverletzende Regime und kriegführende Staaten. Opfer des Unternehmens sind mehr als eineinhalb Millionen getötete Menschen und noch mehr verstümmelte. Bis heute ungeklärt ist die Frage, wie G36-Sturmgewehre im Sommer 2008 in die Hände georgischer Spezialeinheiten gelangten. Georgien befand sich zu diesem Zeitpunkt im Krieg mit Rußland. H&K bestreitet, selbst geliefert zu haben, obwohl die Waffen nachweislich aus der Oberndorfer Produktion stammen. Die Bundesregierung hat den illegalen Exportskandal bis heute nicht aufgeklärt. Nun endlich kommt Bewegung in eine ähnlich gelagerte Sache, nachdem schon im April 2010 Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK), Strafanzeige gegen Heckler & Koch wegen illegaler G36-Gewehrlieferungen in mexikanische Unruheprovinzen gestellt hatte. »Noch im Herbst 2008 trainierten H&K-Mitarbeiter mit mexikanischen Polizisten in der Unruheprovinz Jalisco das Schießen mit G36-Gewehren«, so Grässlin. Acht Monate nach Eingang der Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft ist nun der H&K-Rüstungsexportbeauftragte Peter Beyerle zurückgetreten. Unabhängig von weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen startet ein Bündnis verschiedener Friedensgruppen in diesem Frühjahr die Kampagne »Aktion Aufschrei«. Opfer oder deren Angehörige aus Ländern, in denen deutsche Waffen zum Einsatz kommen (Türkei, Sudan, Somalia, Mexiko und anderen), berichten, was der Waffeneinsatz für jeden einzelnen der Millionen verletzten und behinderten Menschen konkret bedeutet, für seine Angehörigen und für die Hinterbliebenen der Erschossenen. Die Lizenzvergabe zum Bau des neuen G36-Gewehrs an Spanien und Saudi-Arabien erhöht die Dringlichkeit der Forderung nach einem Stopp weiterer Waffenexporte und Lizenzvergaben. Lebensnahe Berichte aus Krisen- und Kriegsgebieten führen das eindringlich vor Augen. So wichtig es ist, den Opfern eine Stimme zu geben, muß immer auch sofort nach den Tätern gefragt werden – seien es Aufsichtsräte, Rüstungsmanager oder politisch Verantwortliche. Die Kampagne wird sie beim Namen nennen und sie im Bild zeigen. Geplant sind Aktionen vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin, vor dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn, Werken von Heckler & Koch, Daimler/EADS, Krauss-Maffei und weiteren Rüstungsprofiteuren. Die Zielperspektive ist klar: Verbot von Rüstungsexporten und Rückzug aus weltweiten Kriegseinsätzen. Wigbert Benz Weitere Informationen: www.dfg-vk.de FrontkämpferAngeführt vom Vorsitzenden der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) hat eine Delegation rechtspopulistischer Parteien aus europäischen Ländern Besuch in Israel gemacht, dort mit Politikern Gespräche geführt und eine Siedlung im Westjordanland besichtigt. Aus Deutschland nahmen Patrik Brinkmann von Pro NRW und René Stadtkewitz von »Die Freiheit« teil. Eine »Jerusalemer Erklärung« kam dabei heraus, in der ein Schulterschluß mit dem Staat Israel gegen »islamischen Terror« beschworen und behauptet wird, FPÖ und Co. stünden »an vorderster Front des Kampfes für die westlich-demokratische Werteordnung«. Wer die ideologische Tätigkeit der österreichischen »Freiheitlichen« kennt, kann keinen Zweifel haben, aus welchen Motiven sie sich auf diese Reise nach Jerusalem begeben haben: Wien, so agitieren sie, sei wieder einmal von »Überfremdung« bedroht. Diesmal nicht von jüdischer, sondern islamischer; die »Judenfrage« ist großdeutsch gelöst. Da macht es sich gut, proisraelisch aufzutreten und darauf zu setzen, daß eine militante Politik Israels den Nahostkonflikt noch stärker zuspitzen wird. Im »Weltkampf« mit dem Islam ist dann Frontgeist willkommen, auch rassistischer. Peter Söhren ReligionsfreiheitPolitiker und Repräsentanten der christlichen Kirchen in den europäischen Ländern klagen derzeit darüber, daß in anderen Erdteilen Christen wegen ihrer Glaubenszugehörigkeit verfolgt oder an der öffentlichen Ausübung ihres Glaubens gehindert werden. Dabei haben sie vor allem Länder im Blick, die mehrheitlich vom Islam geprägt sind. Die Klage wird zu Recht erhoben, überzeugen kann sie jedoch nur, wenn historische und aktuelle Zusammenhänge nicht verschwiegen werden: In der Geschichte des Okzidents wie des Orients war Religionsfreiheit keineswegs ein Leitwert der organisierten, auf Macht und Herrschaft bedachten großen Konfessionen, weder in christlichen noch in muslimischen Territorien. Andersgläubige oder Abtrünnige wurden unter der Maxime »Gott mit uns« gnadenlos unterdrückt, vertrieben oder ausgerottet. Über einige Jahrhunderte hin ging es in dieser Hinsicht im Islam allerdings gnädiger zu als im Christentum. Religionsfreiheit als Idee und als Praxis konnte nur im Konflikt mit den konfessionellen Machteliten auf den Weg gebracht werden, mühsam und unter großen Verlusten auf Seiten der Aufklärer. Die Arbeiterbewegung erst brachte hier in vielen europäischen Ländern den Durchbruch. Sie bezog Position. In einer Formulierung Rosa Luxemburgs: »Barbarei ist es..., jemanden wegen seines Glaubens oder wegen fehlenden religiösen Glaubens zu verfolgen.« Wenn gegenwärtig in einer Reihe arabischer Länder Christen bedrängt oder zur Emigration getrieben werden, so hat das Antriebe in der Politik von Staaten, die sich auf ihre christliche Tradition berufen. Rudolph Chimelli macht in einem Leitartikel der Süddeutschen Zeitung auf Fakten aufmerksam, die von christlichen Anmahnern der Religionsfreiheit gern verdrängt werden: »Nirgends ging es den christlichen Konfessionen besser als im laizistischen Irak vor dem amerikanischen Einmarsch. Und nirgendwo sind sie heute stärker verfolgt ... Als Amerikas Präsident Bush bei der Ausrufung seines Krieges gegen den Terror von ›Kreuzzug‹ sprach, legte er eine Saat, deren bittere Früchte die Christen des Orients jetzt ernten.« Christlicher, sogenannter evangelikaler »Fundamentalismus« in den USA hat einer ganz und gar anders als religiös motivierten Kriegspolitik Schützenhilfe gegeben. Das Kalkül der Strategen war geopolitisch, imperial. Die Nutzung dumpfer, wahnhafter und aggressiver Gefühle, die sich selbst als religiös verstehen, ist eine altbewährte Methode skrupelloser Machtpolitik. Und stets wurden dabei Bedrohungsszenarien eingesetzt. Auch in dieser Sache ist festzustellen: Kein Ende der Geschichte. A. K. SpekulationsgeschichteKrisenerzeugende Raubzüge im Finanzmarkt haben eine lange Tradition. Eine erste Beschreibung ihrer Methodik erschien 1857 in Frankreich unter dem Titel »Manuel du spéculateur à la Bourse«; das Buch wurde rasch ins Deutsche übersetzt und kam auf zahlreiche Auflagen. Verfasser war Pierre-Joseph Proudhon, Theoretiker der frühen syndikalistischen Bewegung und ihrer Genossenschaften. Marx hat ihn heftig kritisiert, fand die Auseinandersetzung mit seinen Ideen aber anregend, was später viele Marxisten übersehen haben. Die Analyse finanzkapitalistischer Praktiken hat in den Studien von Proudhon einen frühen Fundus, der jetzt durch eine Neuausgabe wieder verfügbar gemacht ist, herausgegeben von Gerhard Senft, einem Ökonomen, der an Konzepte von Silvio Gesell anknüpft. Deren Probleme verschweigt er übrigens nicht, ebenso wenig antisemitische Risiken dieser Kritik des Finanzkapitalismus. Proudhon ihretwegen nicht zur Kenntnis zu nehmen, wäre töricht. A. K. Pierre-Joseph Proudhon: »Handbuch des Börsenspekulanten«, hg. von Gerhard Senft, LIT Verlag, 314 Seiten, 24,90 € Das vertrackte GeldLucas Zeise machte sich nützlich schon, als er noch für die Börsen-Zeitung arbeitete. Gegenwärtig erwirbt sich er sich große Verdienste für die Linke, seit er für größere Projekte Zeit hat. Nach dem Buch »Ende der Party« unternimmt er nun auf 200 Seiten einen »Versuch über die politische Ökonomie des Finanzsektors«. Das Buch zerfällt grob in zwei Teile. In den ersten vier Kapiteln befaßt er sich grundsätzlich mit dem Phänomen »Geld« und in den nächsten sechs vor allem mit den aktuellen Entwicklungen im Finanzsektor, der sich mehr und mehr – so das Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Köhler – zu einem »Monster« entwickelt. Dieser zweite Teil ist fakten- und kenntnisreich, wie wir es von Zeise gewohnt sind. Wer auf gut 100 Seiten einen grundsätzlichen Abriß über das Finanzkapital unserer Tage lesen möchte, ist hier bestens bedient. Gelobt und ausführlich zustimmend zitiert werden von ihm die von der Linkspartei im Mai 2010 entwickelten Vorschläge zur Vergesellschaftung des Finanzsektors, die dazu führen sollen, daß die privaten Großbanken über kontrollierte Insolvenzverfahren aufgelöst werden und die Finanzwirtschaft sich auf die kommunalen Sparkassen und die Genossenschaftsbanken stützen könnte. Herausragend ist aber das Kapitel vier: »Ein marxistischer Geldbegriff«. Nach seinen tastenden Anmerkungen, daß zu Marx’ Lebzeiten Geld überwiegend in Metall daherkam und er auch Papiergeld in die Kategorie »fiktives Kapital« abgelegt hätte, plädiert Zeise dafür, daß »möglicherweise eine Korrektur der Marx’schen Kategorisierung notwendig« sei und wirft Marx dann in der weiteren Entwicklung eine Gleichsetzung von Geld mit der Geldware vor – ein »Kategorienfehler«, wie er darlegt. Marx, so Zeise, erkläre nämlich den Begriff des Geldes anhand der zu seiner Zeit für diesen Zweck benutzen Gold- und anderer Münzen, so daß er auf das heute übliche Buchgeld auf Girokonten nicht paßt. Der ohne Zweifel legitime Versuch, 150 Jahre nach dem »Kapital« die seitdem in der Welt der Finanzprodukte erfolgten Veränderungen auch begrifflich zu fassen, ruft geradezu nach einer Tagung marxistischer Kräfte, die in diesem Kapitel eine großartige Diskussionsbasis hätte. Allerdings scheint es mir zuweilen so, daß Zeise sowohl in diesem als auch in den Folgekapiteln dem Finanzsektor eine zu hohe Eigenständigkeit gegenüber den anderen Sektoren kapitalistischer Ausbeutung zuweist und aufgrund dieser analytischen Schwäche auch zu falschen praktischen Schlußfolgerungen kommt. Sein Schlußkapitel (»Bändigung«) läuft dann im Kern auf die Empfehlung eines Bündnisses von Industrie- und Handelskapital mit der Arbeiterklasse gegen das Finanzkapital hinaus – also ein erweitertes Konzept der antimonopolistischen Demokratie. Im engagierten Plädoyer dafür, daß das möglich sei, rutscht er ins Psychologisieren ab – für sozialwissenschaftliche Analysen meist kein gutes Zeichen. Es liegt für Marxisten auf der Hand, daß das Finanzkapital nur dann politisch isoliert werden kann, wenn es nicht tief in den modernen Ausbeutungsprozeß in der materiellen Produktion und den kapitalistisch organisierten Dienstleistungen hineingewoben, sondern wirklich reines Finanzkapital ist. Die Hoffnung, daß das Industriekapital doch eigentlich Front machen müßte gegen das seine Profite schmälernde Handeln der Großbanken, erfüllt sich bisher noch nicht einmal ansatzweise. Das deutet darauf hin, daß ökonomisch die Scheidung zwischen diesen Kapitalfraktionen nicht so leicht ist, wie sich das hier stellenweise liest. Aber darüber wird Lucas Zeise ja vielleicht das nächste Mal schreiben – das zu lesen würde auf jeden Fall wieder ebenso lohnen wie die Lektüre dieses Buches. Manfred Sohn Lucas Zeise: »Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus. Versuch über die politische Ökonomie des Finanzsektors«, PapyRossa, 192 Seiten, 12,90 € Die FAZ führt einen BeweisSeit Wochen ist Deutschlands gutbürgerlichste Zeitung darum bemüht, die Studie von Eckart Conze, Norbert Frei und anderen über das Auswärtige Amt und seine Art der »Vergangenheitsbewältigung« abzuwerten: Sie »verletze wissenschaftliche Standards« und pflege »Vorurteile«. Jetzt hat Rainer Blasius in der FAZ vom 13. Januar zum endgültigen Verriß angesetzt, und das geht so: Conze hat im internen Außenministeriumsblatt erläutert, die Vorwürfe, die »insbesondere die DDR« gegen diplomatisches Spitzenpersonal der Bundesrepublik erhob, seien »in der Regel völlig zutreffend« gewesen; diese Urheberschaft habe aber seinerzeit den kritisierten Beamten »eher geholfen«, als daß ihnen bei ihren westdeutschen Oberen Schaden daraus erwachsen sei. Blasius schreibt zu dieser Erwähnung eines historischen Sachverhaltes: »Damit wird bestätigt, daß sich die Studie ›Das Amt‹ an DDR-Pamphleten orientierte.« Da hätte er doch gleich die Hypothese wagen könne, bei der Studie der so lästigen Historikerkommission handele es sich um eine verspätet erstellte Auftragsarbeit für die DDR-»Staatssicherheit«, ein »Schläfer«-Werk sozusagen. P. S. Verfassungsschutz-SchutzDie Hinterlassenschaften der Organe, mit denen die DDR »Staatssicherheit« herstellen wollte, stehen seit Jahren eifrigen Auswertern zur Verfügung, die zumeist Geschichtspolitik damit betreiben, parteilich schon wegen der Quellenlage, denn das Archivmaterial der westdeutschen Gegenseite, also des Bundesnachrichtendienstes, der Verfassungsschutzämter und der politischen Abteilungen des Bundeskriminalamtes blieb durchweg verschlossen. Die Vorgänge aus dem Kalten Krieg wurden und werden so betrachtet und dargestellt, als wäre nur eine Seite daran beteiligt gewesen. Hinsichtlich der westdeutschen »Sicherheits«-Operationen könnte sehr aufschlußreich sein, in welcher Weise hier Profis und Experten aus der hitlerdeutschen Zeit, aus Gestapo, SS, SD und den »Abwehr«-Organisationen der Wehrmacht weiter tätig waren, gedeckt auch von US-amerikanischen geheimen Diensten. Ein Lichtblick war immerhin Dieter Schenks Buch über die Geschichte und Vorgeschichte des Bundeskriminalamts. Gibt es jetzt einen weiteren Lichtblick? Das Bundesministerium des Innern hat ein dreijähriges Forschungsprojekt ausgeschrieben: »Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950–1975, unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase«. Doch schon die Formulierung stimmt bedenklich: »Organisationsgeschichte«? Soll die Operationsgeschichte nicht untersucht werden? Das Bundesinnenministerium hat sich offenbar intensive Gedanken darüber gemacht, wie die Wissenschaftler, denen es das Projekt anvertrauen will, beschaffen sein und wie sie von Amts wegen betreut werden sollen. Der junge Bielefelder Historiker Daniel Siemens hat darauf aufmerksam gemacht: Zunächst ist für die potentiellen Projektbearbeiter eine »erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen« fällig. Ist die Studie angelaufen, müssen regelmäßig »Workshops« mit Amtsvertretern stattfinden und deren Ergebnisse »in den Projektverlauf einfließen«. Eventuell sollen Fragestellungen »aufgrund von gesetzlichen Vorgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht weiter verfolgt werden«. Bis zum Abschluß des Projektes müssen die Wissenschaftler über dessen Ergebnisse stillschweigen, dann folgt eine behördlich gesteuerte Prozedur der Veröffentlichung. Ob sich Historiker finden, die unter diesen Bedingungen, eingedenk der verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit der Forschung, den Projektauftrag übernehmen? Die Ausschreibung wurde verlängert, bis zum 1. Februar. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wird sich sicher sein: Auf den Verdacht, bei dieser Behörde könne es sich um eine kriminelle Organisation handeln, werden die Forscher gar nicht erst kommen. Marja Winken Politische JustizDaß Menschen über Jahre im Zuchthaus stecken, nicht wegen Gewalttaten oder Großbetrügereien, sondern weil sie für ihre politische Gesinnung wirkten – »bei uns in der alten Bundesrepublik gab es das nicht«? Doch, das gab es, massenhaft. Über einen solchen Fall berichtet autobiografisch ein Kommunist, der allerdings der Haft spektakulär entspringen konnte. Eine lesenswerte Geschichte aus der Zeit des Kalten Krieges. M.W. Hannes Stütz (Hg.): »Jupp Angenfort. Sprung in die Freiheit«, PapyRossa Verlag, 232 Seiten, 17 € VerlegerbücherDie meisten Bücherliebhaber dürften die Arbeit eines Verlegers für einen Traumberuf halten: Selbst entscheiden können, was gedruckt wird, Autoren entdecken und fördern ... Die Arbeit eines DDR-Verlegers dagegen erschien aus der Perspektive der »Freien Welt« vor allem bemitleidenswert, hatte der doch Planziffern zu erfüllen, der Zensur zu gehorchen und war ein Staatsangestellter. Nachdem bereits Leonhard Kossuth und dann Siegfried Lokatis und Simone Barck in zwei Büchern über den Verlag Volk und Welt einem so einschichtigen Urteil widersprochen haben, gibt es nun zwei neue Bücher von Verlegern, die faktenreich und kompetent über ihre frühere Arbeit schreiben. Eberhard Günther, langjähriger Verlagsleiter des Mitteldeutschen Verlags Halle erinnert sich, wie er als Umsiedlerkind zum Studium kam und später in seinem Traumberuf arbeitete. Natürlich mit den Tücken von Planziffern und Zensoren, manchem Ärger, aber doch auch Spaß und Stolz auf das, was in die Buchhandlungen kam und von Lesermassen verschlungen wurde. Vieles im Buch liest sich wie eine Rechtfertigung gegenüber so manchem Autor, der nach der Wende die Unterstützung durch seinen Verleger vergessen hatte. Elmar Faber war erst Lektor und Cheflektor in verschiedenen Leipziger Verlagen, bis er von 1982 bis 1992 den Berliner Aufbau-Verlag leitete, den »Suhrkamp des Ostens«. 1990 gründete er gemeinsam mit seinem Sohn einen eigenen Verlag in Leipzig: Faber & Faber. Eine sehr gute Adresse für jeden, der schöne und interessante Bücher zu schätzen weiß. Und trotz bestimmt aufwendiger Arbeit als Verleger schreibt er auch selbst. 2009 erschienen Erzählungen im Verlag Das Neue Berlin, jetzt im eigenen Verlag ein weiterer Band mit Essays, in denen sich Faber vor allem mit Fehlurteilen und Verunglimpfungen des DDR-Verlagswesens und überhaupt des »Leselandes DDR« auseinandersetzt. Faber gibt es seinen Kontrahenten! Mit geschliffener Feder und Sachkenntnis erzählt er von den Leistungen der DDR-Verlage, berichtet interessante Interna und beweist, daß auch ein staatlich angestellter Verleger kreativ und listenreich, vor allem aber musisch und sensibel sein mußte und sich ebenbürtig neben die Unselds, Hansers, Pipers stellen kann – Verleger, wie es sie aufgrund der Verlagskonzentration heute auch im Westen kaum noch gibt. Christel Berger Eberhard Günther: »Verleger – mehr als ein Beruf. Erinnerungen«, Projekte-Verlag, 315 Seiten, 14,60 €; Elmar Faber: »Die Mysterien der Vergeßlichkeit. Betrachtungen zu Literatur und Politik«, Faber & Faber, 117 Seiten, 15 €John Lennon im Buch und im Film»Mother, you had me. But I never had you. Father, you left me, but I never left you, Mama don’t go, Daddy come home!« >Mit diesem Hit von John Lennon aus dem Jahre 1970 endet der britisch-kanadische Film »Nowhere Boy«, der kürzlich aus Anlaß des 30. Todestages und des 70. Geburtstages des Musikers in Deutschland in die Kinos kam. Und genau darum dreht sich der Streifen: die Suche des fast volljährigen Lennon (Aaron Johnson) nach seinen Eltern. Denn seit er fünf ist, lebt er in Liverpool bei seiner Tante Mimi (Kristin Scott Thomas). Die liebt ihn zwar irgendwie, ist aber oft hart und pingelig. Als sein Onkel stirbt – John ist gerade 15 – steht beim Begräbnis etwas abseits eine mysteriöse rothaarige Frau: Johns Mutter Julia Lennon (Anne-Marie Duff). Er findet heraus, wo sie wohnt, und besucht sie. Eine neue Welt tut sich ihm auf: Die lustige, überschwengliche Julia ist ganz für ihn da. Sie amüsieren sich auf einem Jahrmarkt in Blackpool, tanzen Rock ’n’ Roll, sehen im Kino eine imposante Wochenschau über Elvis Presley. Und sie mögen sich abgöttisch. John will aber auch wissen, wer sein Vater ist. Auf dem Höhepunkt des Films erfährt er dann, daß dieser Seemann war und Julia, als er auf dem Ozean schipperte, mit einem Soldaten eine neue Beziehung einging. Deswegen will der Vater wenigstens den kleinen John mit nach Neuseeland nehmen. Doch der resoluten Tante gelingt es, John zu sich zu holen. In Rückblenden wird der Schmerz des darüber verzweifelten fünf-jährigen John gezeigt. Dazu kommt der des 17jährigen, dessen Mutter plötzlich bei einem Verkehrsunfall stirbt. Das Drehbuch zum Spielfilmdebüt der britischen Regisseurin Sam Taylor-Wood basiert auf einer Biographie von Lennons Halbschwester Julia Baird. Lennon, in der Schule eher ein Versager, findet seinen Weg in der Musik, die er liebt. Er gründet eine Skiffle-Gruppe, später eine Rock ’n’ Roll-Band, die bald »The Beatles« heißt. Der Film endet, als die Gruppe nach Hamburg reist, um dort aufzutreten. Anläßlich der beiden Gedenktage des Musikers ist im Verlag Römerhof Nicola Bardolas exzellentes Buch »John Lennon – Wendepunkte« erschienen (320 Seiten, 29.70 Euro). Der Schweizer Autor, der seit 30 Jahren in München lebt, hat sich der Person des Musikers liebevoll genähert: musikalisch, literarisch, poetisch, politisch. Bardola greift auf viele aktuelle Quellen zurück, zitiert aus Interviews mit Lennon und hat selbst mit dessen erster Ehefrau Cynthia und mit dessen engem Freund Klaus Voormann gesprochen. Auch Bardola erzählt, wie Lennon wegen seiner Tante und angesichts des Todes seiner Mutter eine Aggressivität entwickelt, vor der seine Partner – Paul McCartney wie auch die beiden Ehefrauen – auf der Hut sein müssen. Doch er arbeitet hart an sich – mit Erfolg. Denn ihm dämmert – so sagt er später –, daß Liebe die Antwort sei. Und so schreibt er Liebeslieder, die ihm aufs glücklichste gelingen. Mit den Beatles, so Bardola, erreicht er alles, was man sich wünschen kann: eine nette Familie, Freunde, Geld, Weltruhm und Ehre. Und ist trotzdem unzufrieden, wie er in Songs wie »Help!« oder »Yer Blues« ausdrückt. Mit Hilfe der kreativen Yoko Ono schafft er es dann, sich von den Beatles zu lösen. Zwischen 1969 und 1972 veröffentlicht Lennon wichtige politische Songs, Lieder wie »Give Peace A Chance«, »Imagine«, »Power To The People« oder »Gimme Some Truth«. Begleitet werden diese, so Bardola in seinem Buch, von erstaunlichen Aktionen für den Frieden wie den berühmten »Bed Ins« in Amsterdam und Toronto. Die Regierung der USA, wo das Paar seit 1971 lebt, sieht ihn bald als Staatsfeind und will den Vorbestraften – Lennon war 1968 in England wegen geringfügigen Drogenbesitzes verurteilt worden – abschieben. Warum schrieb Lennon nach 1972 keine politischen Songs mehr, will ich von Nicola Bardola wissen, als dieser im Berliner John-Lennon-Gymnasium einen Vortrag über den Ex-Beatle hält? Offenbar war der Druck der US-Behörden zu stark, meint er. Auf Anraten eines Anwalts wollen Lennon und Yoko Ono die US-Regierung durch »anständiges Verhalten« milde stimmen. 1976 bekommt Lennon die ersehnte Green Card. Aber im Land seiner Träume explodiert oft die Gewalt. 1980 wird er in New York von einem geistig Verwirrten erschossen. Thomas Grossman Press-KohlSieht man vom Oberhaupt der katholischen Kirche ab, so begegnen einem auch in Berlin Päpste in vielerlei Gestalt. »Berlin überlebt jede Regierung«, hat der große Philosoph und Historiker Thilo Sarrazin unlängst der Berliner Morgenpost verraten. Hoffentlich übersteht Berlin auch den geplanten Besuch des Papstes aus Rom, der sich hier umtun will, was Geld kostet (also unseres, denn der Vatikan leidet schon lange an Schrumpfung der Spesenkasse). Gelegentlich stoßen noch der Literaturpapst Reich-Ranicki und der Brühwürfelpapst Biolek in ihre bewährten Hörner. Nun aber sagte der durch die Erfindung des vergrößerten »Vatermörder«-Stehkragens berühmte Modepapst Karl Lagerfeld der Welt am Sonntag, was vor etwa 75 oder 90 Jahren passiert sein soll. In seinem modebewußten Schnörkelstil liest sich das so: »Pädophiles ist mir als Kind öfter über den Weg gelaufen.« Der greise Modepapst erinnert sich und uns heute: »... dann rannte ich zu meiner Mutter.« Die Frau Mama sprach zu dem kleinen Karl Otto: »Du bist doch selbst schuld. Guck doch in den Spiegel, wie du aussiehst.« Der kleine Karl guckte und weiß jetzt: »Die Mutter hatte recht. Ich war exzessiv ... ein potentielles Opfer für Pädophile – Damen und Herren übrigens.« Nach dem riesigen Super-Stehkragen gestaltete der Modist, das in ihm befindliche exzessive Element tapfer unterdrückend, statt der Riesenkragen ganz kleine Aluminium-Fläschchen, von denen jedes 0,2 Liter Coca-Cola faßt. In den natürlich auch vom Großmeister entworfenen Trage- und Kühltäschchen hat genau eine Cola-Miniatur-Flasche Platz (limitierte Edition; Stückpreis 40 Euro). Da der Modepast laut eigener Aussage seinen langen dürren Hals täglich mit »bis zu drei Litern Coca-Cola« zu befeuchten pflegt, müßte er bei seinen Spaziergängen oder Jogging-Märschen stets zwanzig Cola-Täschchen mit sich führen (am besten in einem gebrauchten Kinderwagen). Dann würde man ihn zu Recht als den Pülleken-Papst rühmen. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 2/2011 |
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