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Begonnen hatte es 1972, als der ehemalige Algerienkämpfer mit einem dubiosen Millionenerbe den FN als Sammelbewegung der unzufriedenen französischen Rechten gründete: eine Mischung aus alten Anhängern des Vichy-Regimes, katholischen Fundamentalisten aus dem Dunstkreis des abtrünnigen Bischofs Lefébvre, der neofaschistischen Bauern- und Kleinhändlerbewegung des Pierre Poujade und unzähligen Gruppen und Individuen, die sich in der 5. Republik nicht mehr repräsentiert sahen. Der blonde Bretone mit seiner geschliffenen Rhetorik, seinen provokatorischen Wortspielen war seitdem der Kontrapunkt zu den Repräsentanten der etablierten Parteien. Seit dem Niedergang der einst so mächtigen Kommunistischen Partei Frankreichs präsentiert sich der Front National als einzige große Protestpartei, mit deren Wahl man den Mächtigen seine Unzufriedenheit bekunden kann. Ein Höhepunkt dieser Wut- und Resignationsbewegung war die Präsidentschaftswahl 2002, als Le Pen mehr Stimmen als der Kandidat der Sozialisten erhielt und als Herausforderer von Jacques Chirac in die Stichwahl einziehen konnte. Der Front National erlebte manche tiefe Einbrüche, behielt aber seine Stammwähler, die ihm vor allem wegen der charismatischen Figur Le Pen treu blieben. Wie in allen französischen Parteien kam es zu Abspaltungen und Diadochenkämpfen, doch letztlich behielt immer der Patriarch die Zügel in der Hand, nicht zuletzt dank seinem nicht unbeträchtlichen Vermögen. Marine Le Pen (42), die jüngste seiner drei Töchter, steht für eine strategische Erneuerung, die vor allem darauf abzielt, junge Wähler zu gewinnen. Sie vermeidet sorgsam provokative Ausfälle à la Papa und will von der großen Enttäuschung profitieren, die Nicolas Sarkozy bei der bürgerlichen Rechten ausgelöst hat. Sie fährt eine Charme-Offensive, zeigt Medienpräsenz und läßt keine Talk-show aus. In ihrer Hochburg Nord-Pas-de-Calais gewann sie bei der Regionalwahl 22,2 Prozent der Stimmen. Wesentlich schwieriger war dagegen der Aufbau einer innerparteilichen Hausmacht. Dafür hat sie eine Art Parteischule ins Leben gerufen, die neue Talente finden und ausbilden soll. Der gelegentliche Antisemitismus früherer Jahre ist verstummt. Wie viele europäische Parteien vom rechten Rand hat der FN seinen Frieden mit Israel gemacht und sieht die erfolgreichen israelischen Rechtsparteien als Speerspitze gegen den Vormarsch des Islam und arabische Zuwanderung. Marine Le Pen vergleicht das öffentliche Beten von Muslimen in Frankreich mit der deutschen Okkupation der 1940er Jahre. »Ouverture« ist das Zauberwort. Mit der Forderung nach dem sofortigen Abzug der französischen Truppen aus Afghanistan oder der Ablehnung von Euro und europäischer Bürokratie können sich viele Franzosen identifizieren. Mit dem Zusammenbruch der EU und damit auch der traditionellen politischen Parteien würde sich ein Traum der Rechtsextremen erfüllen. Eine Erosion der sozialdemokratischen und nun auch der konservativen Parteien ist unübersehbar. Vielen Franzosen erscheinen die Regierungsparteien als Erfüllungsgehilfen der Reichen, als Verräter der Interessen der kleinen Leute und namentlich des Mittelstands. Nicht die zerstrittene französische Linke, sondern Sarkozys Union für die Mehrheit des Präsidenten (UMP) ist Hauptgegner des Front National. In einem Interview kritisierte Marine Le Pen den Ultra-Liberalismus Sarkozys und die Ideologie des Freihandels, der die französische Wirtschaft zerstöre. Sie setzt darauf, Sarkozys Strategie aus dem Präsidentschaftswahlkampf 2007 umkehren zu können. Damals hatte es der heutige Präsident geschafft, die traditionellen Themen des FN für sich zu reklamieren und so den rechten Rand leer zu fischen. Sollte es tatsächlich gelingen, 2012 einen Großteil enttäuschter Sarkozy-Wähler auf die Seite der »wahrhaft nationalen Rechten« zu ziehen, könnte die Rechnung aufgehen. Alles hängt von der weiteren Entwicklung der wirtschaftlichen Lage und vor allem der katastrophalen Jugendarbeitslosigkeit ab. Gegenwärtig steht die Partei in Umfragen stabil bei 14 Prozent. Um darüber hinaus zu gelangen, versucht Marine Le Pens, das Ansehen des Front National zu verbessern. Zu diesem Zweck stellt sie die Partei gern als Opfer massiver Verleumdungen dar. In ihrer Antrittsrede am 16. Januar betonte sie den Laizismus der Republik, nicht zur Freude der Fundamentalkatholiken. Überhaupt scheint die Partei mit der neuen Vorsitzenden in der Republik anzukommen: Während der Vater auch in seiner Abschiedsrede nur Frankreich und die Nationale Front hochleben ließ, endete die Tochter mit dem Ruf »Vive la République«. Programmatisch knüpfte sie auch an traditionell linke und grüne Positionen an. Sie forderte einen starken Staat, der die Wirtschaft kontrolliert und Energie- und Transportunternehmen verstaatlicht, wenn nötig auch die Banken. Die neue Vorsitzende wetterte gegen Globalisierung und amerikanische Hegemonie, gegen die Allmacht des Geldes und forderte eine verbrauchernahe Produktion. Und dann noch dies: Der Front National verkörpere den Geist der Résistance. Damit war freilich der Widerstand gegen »selbsternannte Eliten« gemeint. Und es erscholl die Parole »Wir sind das Volk!«. Wo sie die nur gefunden hat?
Erschienen in Ossietzky 2/2011 |
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