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Ossietzky 16/10), setzt sich nun fort: die von Fiat-Chefmanager Sergio Marchionne betriebene Aushöhlung der einst im Nachkriegsitalien in langwierigen Kämpfen mühsam errungenen Arbeitsgesetzgebung im Sinne des Artikels 1 der italienischen Verfassung von 1946: »Italien ist eine demokratische Republik, auf Arbeit gegründet.« Es gehe um Leben oder Sterben der italienischen Auto-Produktion, bekam die Öffentlichkeit zu hören. Marchionne hatte schon im Oktober 2010 in einem Fernseh-Interview gesagt, Fiat würde seine Autos besser nicht mehr in Italien bauen, da die Produktionsbedingungen anderswo günstiger seien. Medien, Regierung und die Mehrheit der Opposition übernahmen den Standpunkt des Fiat-Managements. Alle beriefen sich auf »Sachzwänge der Globalisierung«. Im Klartext: Es geht um die Profitinteressen des transnational gewordenen, mit Chrysler vereinigten Konzerns. Früher wurde er immer wieder durch Subventionen der italienischen Steuerzahler saniert, das ist seit Jahren vorbei, aber inzwischen hat er sich in anderen Ländern Subventionen gesichert, zum Beispiel in Serbien, wo er das Zastava-Werk billig übernommen hat, oder in den USA. Der größte Teil der Gewerkschaften hatte nolens volens am 23. Dezember 2010 das Knebelangebot angenommen: Für Absichtserklärungen des Managements, von 2012 an im Mirafiori-Werk nach langer Zeit wieder zu investieren und die Arbeitsplätze zu erhalten, gaben sie ihre Zustimmung zu verschärften Arbeitsbedingungen, die das Management künftig nicht mehr aushandeln, sondern aus eigener Machtvollkommenheit anordnen will (zum Beispiel Verlängerung der Schichten auf zehn Stunden, Verkürzung der Pausen, Verpflichtung der Beschäftigten zu mehr Überstunden). Hinzukommen soll die Ausgrenzung der FIOM-Metallgewerkschaft aus dem Betrieb. Sie weigert sich, den Neuregelungen zuzustimmen. Das sogenannte Referendum vom 13. und 14. Januar wurde den Turiner Fiat-Werkern vom der Konzernleitung auferlegt. Jeder einzelne Arbeiter wurde genötigt, Ja zu sagen. Für Dissens soll kein Raum mehr bleiben. Indirekt halste das Management damit der Belegschaft eine Verantwortung auf, die weit über den Betrieb hinausreicht: Für den Fall eines Sieges der Nein-Sager hatte Marchionne die Schließung des Turiner Werks angekündigt, wovon dann auch etwa 170.000 Arbeiter der Zulieferbetriebe in der Region betroffen wären. Aus Berlin ließ Regierungschef Berlusconi am Vortag der Abstimmung gar verlauten, in einem solchen Fall »täten auch andere Firmen gut daran, ins Ausland auszuweichen«. Nicht nur Berlusconi, »auch Marchionne beleidigt tagtäglich das Land«, kommentierte die neue Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes CGIL, Susanna Camusso. Der Manager replizierte schlicht: »Wir versuchen, Italien zu verändern.« Wie wahr. Einige Fakten zum besseren Verständnis: Schon im vergangenen Jahrzehnt sind im Fiat-Konzern 20.000 Arbeitsplätze wegrationalisiert worden. Von ehemals 74.000 blieben 54.000 und davon nur noch knapp 22.000 in den italienischen Werken, in denen 2009 gerade noch 650.000 Autos produziert wurden, zwei Drittel weniger als 1990. Der größte Teil der Produktion wurde ins Ausland verlagert. Die Löhne der Fiat-Arbeiter in Italien gehören zu den niedrigsten ihrer Branche, auch die Qualifikation der Arbeiter und die Produktivität sind niedriger als anderswo, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß das Management Investitionen vernachlässigte, so daß die Technik veraltete. Dennoch erzielten die Aktionäre jüngst eine Kapitalrendite von 33 Prozent fürs Jahr, und Sergio Marchionne erhielt dafür eine Belohnung von gut 4,5 Millionen Euro als Grundgehalt, etwa 250mal so viel wie einer seiner Arbeiter, der im Durchschnitt nur etwa halb so viel wie ein VW-Werker verdient (23.000 gegenüber 42.000 Euro). Um sich den Rahmenbedingungen des nationalen Metall-Tarifvertrages zu entziehen, gründet das Fiat-Management einfach eine »new company« außerhalb des Unternehmerverbands Confindustria. Die Arbeiter sehen sich zu Befehlsempfängern – ohne eigene Rechte und Würde – erniedrigt, wie schon zu Zeiten faschistischer Herrschaft. Die Gewerkschaft und ihre intellektuellen Mitstreiter mahnen, Lohn- und Rechte-Dumping dürfe nicht als einziger Ausweg aus der Krise gelten. Man verweist hier auf die bei Volkswagen gefundene Lösung: Da würden durch Mitbestimmung und Kurzarbeit Arbeitsplätze langfristig gesichert, technische Neuerungen ermöglicht und Marktanteile gewonnen. In keinem anderen Land Europas sind die Gewerkschaften so heftigen Angriffen der krisengeschüttelten Autoindustrie ausgesetzt wie in Italien, wo die Asymmetrie des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit schon immer viel deutlicher zutage trat als in der Bundesrepublik. Eine weitere Zuspitzung der sozialen Konflikte ist vorprogrammiert. Die Abstimmung am 13. und 14. Januar fiel denn auch sehr knapp aus: Bei 96 Prozent Wahlbeteiligung lauteten 54 Prozent der Stimmen auf Ja, 46 Prozent auf Nein, wobei die 440 mitabstimmenden Angestellten mit 90 Prozent Ja-Stimmen den Ausschlag gaben. Nun wird man Marchionne daran messen, wie er seine Investitionsversprechen halten wird; über zukunftsweisende Konzepte des Fiat-Konzerns erfuhr die Öffentlichkeit bisher nichts. Die Regierung hält sich zurück. Letztlich besorgt Marchionne auch ihr Geschäft, nämlich das einer fortschreitenden Deregulierung ohne Rücksicht auf Verluste. Ein harter Kampf also, in dem sich zuguterletzt auch Kulturschaffende und Wissenschaftler aus den unter Mittelkürzungen leidenden Universitäten auf seiten der Nein-Sager der Metallgewerkschaft FIOM engagierten. Sie wiesen darauf hin, daß dieser Kampf nicht nur um Arbeitsplätze geführt werde, sondern auch um die in den Artikeln 39 und 40 der Verfassung garantierten Gewerkschafts- und Streikrechte. Die Demokratie selbst stehe hier auf dem Spiel. Für den 28. Januar hat die FIOM/CGIL einen Streik in der gesamten Metallbranche ausgerufen.
Erschienen in Ossietzky 2/2011 |
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