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Januar: Der deutsche Sozialstaat ist in Sachen Gerechtigkeit international nur Mittelmaß. Das stellt ausgerechnet eine Studie der Bertelsmann-Stiftung fest, einer neoliberalen Denkfabrik, die eifrig am Abbau des Sozialstaates mitwirkt. »Deutschland hat in Sachen sozialer Gerechtigkeit noch einigen Nachholbedarf«, heißt es nun in der Studie. So habe die Einkommensarmut seit 1990 »deutlich zugenommen«. Diese Entwicklung gefährde den gesellschaftlichen Zusammenhalt, warnen die Bertelsmänner sogar. Inzwischen müsse jedes neunte deutsche Kind in Armut aufwachsen. »Daher mangelt es vielerorts bereits an den elementaren Grundvoraussetzungen sozialer Gerechtigkeit, denn unter den Bedingungen von Armut sind soziale Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben kaum möglich.« Das zeige sich unter anderem im Bildungswesen: »Der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen hängt stark mit ihrem jeweiligen sozioökonomischen Hintergrund zusammen. Die Wahrscheinlichkeit, daß Kinder aus einem sozial schwachen Umfeld durch Bildung befähigt werden, am gesellschaftlichen Wohlstand teilzuhaben, ist in Deutschland geringer als in vielen anderen OECD-Staaten.« Bei der Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit liege die Bundesrepublik OECD-weit auf dem vorletzten Platz. 4. Januar: Im Jahre 2009 gingen in der Bundesrepublik 41,2 Prozent der Männer drei Jahre und knapp die Hälfte der Frauen fast vier Jahre vor dem Erreichen des 65. Lebensjahres in Rente. Durch »Frühverrentung« verlieren die Männer durchschnittlich bis zu ihrem Lebensende jeden Monat 127,44 Euro von ihrer Rente, Frauen 105,35 Euro, wie die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) errechnet hat. Sehr unterschiedlich fallen laut DRV die Rentenabschläge zwischen Ost und West aus: Im Westen beantragten 39,1 Prozent, im Osten 53,2 Prozent der Männer die Frühverrentung; bei den ostdeutschen Frauen liegt die Quote sogar bei 77,7 Prozent. 11. Januar: Seit der »Hartz IV«-Reform 2005 erreicht die Klagewelle Jahr für Jahr neue Rekordmarken, teilt die Präsidentin des Berliner Sozialgerichtes, Sabine Schudoma, mit. Kurz nach Jahresbeginn sei die 117.000. »Hartz IV«-Klage bei dem Gericht eingegangen. »Im Durchschnitt kommen jeden Monat 2700 Verfahren hinzu.« Die Hälfte der »Hartz IV«-Klagen sei zumindest teilweise berechtigt. Schudoma kritisiert die Pläne aus der Regierungskoalition, wegen der hohen Zahl der »Hartz IV«-Verfahren Gerichtsgebühren einzuführen, die von den Klägern zu zahlen wären, als »völlig unverständlich«. Deutlich werde dagegen: »Der freie Zugang zur Justiz ist wichtiger denn je.« Die Wiedereinführung einer von den beklagten Job-Centern zu zahlenden Gerichtsgebühr würde demgegenüber nach Ansicht der Gerichtspräsidentin einen »wirkungsvollen Anreiz« zur außergerichtlichen Streitbeilegung schaffen. Sie erinnert daran, daß noch bis zum Juli 2006 die Jobcenter für jedes Sozialgerichtsverfahren, an dem sie beteiligt waren, eine pauschale Gerichtsgebühr von 150 Euro entrichten mußten. »Es verwundert, daß sich gerade die Behörde mit den höchsten Klagezahlen nicht mehr an den Kosten beteiligen muß«, so die Gerichtspräsidentin. 12. Januar: Menschen mit einer Behinderung, die noch bei ihren Eltern leben, sollen nach den neuen »Hartz IV«-Sätzen 291 Euro und damit nur 80 Prozent des vollen Regelbedarfs von 364 Euro erhalten. Das sei eine Ungleichbehandlung behinderter Menschen, kritisiert der Bundesvorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Robert Antretter. Der geplante Abschlag sei nicht mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vereinbar. Behinderte Menschen seien zumeist nicht in der Lage, aus eigener Kraft etwas an ihrer Einkommenssituation zu ändern. 13. Januar: Nach Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes auf Grundlage der von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Daten müßte der »Hartz IV«-Regelsatz um mindestens 35 Euro statt der geplanten fünf Euro erhöht werden. Der Verband kritisiert die willkürliche Änderung der Berechnungsgrundlage durch das Bundesarbeitsministerium. 14. Januar: Das Vermögen ist laut DGB in der Bundesrepublik sehr ungleich verteilt: »Zwei Drittel der Erwachsenen verfügen über kein oder sehr geringes Vermögen, wohingegen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung über 60 Prozent, die reichsten ein Prozent sogar rund ein Viertel des Gesamtvermögens besitzen.« Die steuerpolitische Umverteilung von unten nach oben sorge maßgeblich für die Vermögenskonzentration bei Wenigen. »Dabei führte gerade diese ungleiche Entwicklung zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise«, warnt der DGB. In Sachsen-Anhalt hat sich die Zahl der Klagen vor dem Sozialgericht in den fünf Jahren seit Einführung der »Hartz IV«-Gesetze mehr als verfünffacht. Die 880 Tafeln in Deutschland mit über 2000 Ausgabestellen sind aus Sicht des Soziologen Stefan Selke so erfolgreich, weil die »Hartz IV«-Regelsätze den Bedarf der Menschen nicht decken. Würde das Grundsicherungsniveau bedarfsdeckend angehoben, müßte niemand die Hilfe der Tafeln in Anspruch nehmen, so Selke laut einem Bericht der Frankenpost. Etwa eine Million Menschen nutze die Lebensmitteltafeln, aber neun bis zehn Millionen Menschen hätten Anspruch darauf. Die Tafelbewegung und die Sozialpolitik in einem der reichsten Länder der Erde dürften nicht getrennt gesehen werden.
Erschienen in Ossietzky 2/2011 |
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