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Zunächst »säuberten« es die Nazis: Die alten Häuser wurden abgetragen, neue Häuser in einem verkitscht altniederdeutschen Fachwerkstil rechts und links einer Lindenallee errichtet – was geschah wohl mit denen, die nicht einverstanden waren? Dazu eine Kampagne: Der Führer schenkt dem Volk ein Dorf. Auf jedes Haus kam dann die Aufschrift, in welchem nach Hitlers Machtergreifung es gebaut wurde. Und das liest man noch heute dort. In altdeutscher Schrift steht über den Hauseingängen im Jahre 2010: »Haus Thüringen – im Jahre 3«, »Haus Sachsen – im Jahre 4«, »Haus Westfalen – im Jahre 5«, dazu neckische Blumenkästen, Holzstapel, das Fachgewerk ohne einen einzigen Makel, schwarz und hell lackierte Eichenbohlen, die Fächer rot verklinkert, die Fugen weiß – strahlend. Welch ein Dorf! Was tausend Jahre bestehen soll, hat sich zunächst 77 Jahre bestens erhalten. Wenn man durch verarmte Gegenden, durch graue Straßendörfer, in denen viele Häuser einen aus leeren Fensterhöhlen anstarren, hergefahren kam, macht das Dorf einen bunt-prosperierenden Eindruck. In den Gärten stehen schicke Autos. Ein Verein bemüht sich seit Jahren um Aufarbeitung der Nazi-Hinterlassenschaft. Das geschieht in einem Haus, das nicht als ehemaliges Gutshaus zu erkennen ist. DDR-Verputzung, dunkle Fenster, unbewohnt wirkend, außen Abstützgerüste, kaputte Treppe, verwilderter Garten; auf einer verblichenen Tafel ist zu lesen: »Ausstellung«. Mich empfängt eine Frau in leeren Räumen, Linoleumböden, hellgrau, schmucklos, Decken in Siebziger-Jahre-Manier abgehängt mit Industrieleuchten. Sie freut sich, daß mal jemand kommt. Die Ausstellung richte der Verein aus, das Haus wolle man später renovieren, man sammele gerade Geld. Der Verein lade auch zu Tagungen. Er bemüht sich, so scheint es, Informationen über den historischen Standort zusammenzutragen, dessen Bedeutung niemals in Vergessenheit geraten soll. Die Ausstellung ist gut und lehrreich, Besucher bleiben aus. Mein Gefühl sagt mir und die Frau bestätigt das: Die Ausstellung ist im Dorf nicht gerade beliebt. Von einem Hügel mit Blick auf den blaugläsern schimmernden See schaue ich auf ein riesig dimensioniertes Tagungshaus, schräg hinter der zusammenfallenden Villa. Dem Baustil des Hauses ist nicht anzusehen, ob es alt oder neu ist, perfekt renoviert, ebenfalls im Stil der Fachwerkhäuser, ihn durch Größe und Monstrosität übertreffend, einem niederdeutschen Gemeinschaftshaus germanischer Größe ähnlich, ragt es, mit riesigen Glasfenstern an allen Seiten, aber durch Schrägdächer doch in die Hügel eingepaßt, über den tiefer gelegenen See hinaus. Später erfahre ich: Ein Neubau, angeblich Wirtschaftsgebäude. Leer, ohne Bilder, fast ohne Mobiliar, spartanisch. Was ist dies? Neu-Gemanische Gemeinschaftsstätte? So mutet es mich an. Beim Dorfspaziergang wird klar: Das Volk dankt es seinem Führer. Daß er ihm ein Dorf geschenkt hat. Wie mächtig die Balken, wie dick das Mauerwerk, das üppige Rohrdach, wie stabil das Fundament – das Dorf ist für die Ewigkeit gebaut, und die Menschen, die darin wohnen, müssen einfach dankbar sein. Niedlich umzäunt, mit Blumenkästen geschmückt, sorgfältig der Vorgarten gepflegt – so strahlen die schmucken Musterhäuser urdeutsche Gemütlichkeit aus. Dabei sind alle gleich, bei dieser Massenschenkung ging es gerecht zu. Alle Häuser sind bäuerlich, man soll es als typisch deutsch empfinden, es wirkt gekünstelt, die »Bauern« hier waren keine Bauern, sie arbeiteten der »Führerschule« zu, dafür war das Musterdorf auf dem Reißbrett konstruiert worden. Einige Dorfbewohner haben den Aufarbeitungsverein gegründet und bemühen sich um die störrische Geschichte, andere wollen gerade davon nichts wissen. Im Internet findet sich kein Hinweis auf die braune Vergangenheit, stattdessen: Lindenblütenfest, das besondere Dorf, Fußballturnier, Preisschießen, Basteln mit Kindern, Bauplätze seien noch frei. Auf Plakaten im Dorf wirbt »Mirkos Blaskapelle«. Daß Martin Bormann lange Zeit immer wieder die obere Etage des Gutshauses bewohnte, erfahre ich auf einem Spaziergang von einen Dorfbewohner, der im Unterhemd, an einem Trecker lehnt. Er selber, sagt er, habe da bis vor einiger Zeit gewohnt, bis ihn die »Juden« da rausgeworfen hätten, womit er den Aufarbeitungsverein zu meinen scheint. Den Park der »Führerschule« hat kürzlich eine »Lebensgemeinschaft« gekauft, die zweite kritische Ausstellung ist auf dem dortigen Gelände untergebracht. Löblich, doch leider auch nur auf Nachfrage, also fast gar nicht zugänglich. Leider, so beschweren sich manche Dorfbewohner, lassen die neuen Mitbewohner das gute Gut so verkommen, machten nichts an den Häusern, ja, sie liefen sogar in zerrissenen Hosen herum, ließen ihre Kinder ebenso herumlaufen. Manche der Dorfbewohner gehen nicht mehr gern in den Park, seit da die Lebensgemeinschaft wohnt. Aber auch die Lebensgemeinschaft, eine Gruppe von 30 Menschen, die dort Biowirtschaft betreibt, will offenbar nicht viel mit der braunen Dorfvergangenheit zu tun haben. Im dorfeigenen Prospekt findet sich kein Wort dazu. Die Gemeinschaft wirkt zwar lebendig, frei und freundlich, man weiß aber nicht genau, Sekte, Glaubensgemeinschaft, Utopia? Immerhin, ein alternativer Lebensentwurf an diesem Ort. »Wir messen der Zeit des Nationalsozialismus nicht so viel Bedeutung bei«, sagt eine freundliche Frau im langen Gewand, in der Hand ein Kräutersträußchen. Dieser Ort sei eine alte keltische Kultstätte, deshalb hätten ja auch die Nazis hier gesiedelt, der Ort habe »viel positive Energie«, er gebe Kraft, nun wohnten auch schon viele Kinder im Dorf, man wolle neu aufbauen. Mir wird mulmig. Ein altes Gästebuch. »Wer da nicht alles was für schöne Worte hineingeschrieben hat: Himmler, Bormann, lauter Prominente, sogar Japaner waren dabei. Der Enkel hat es ihm überlassen. Dazu Fotos: das Dorf im Sommer, das Dorf mit Männern in Turnanzügen, die Sport treiben, die wehende Nazifahne auf dem Appellplatz. Auf einem Dachboden sei eine Film gefunden worden, erfahre ich. Er zeige in 17 Minuten das Lagerleben unverfälscht, echt und unkommentiert. Ich sehe fröhliche Mannen in Sporthemden, wie sie sich in lockerer Jugendherbergsatmosphäre überaus lustig vergnügen. Sie boxen gegeneinander. Zum Ende hin wird es sogar frivol: Man sieht einen Mann in eine etwas üppigere Männerbrust greifen, diese kneten und kneifen. Allgemeines Gelächter. Körperkult, mehr Negatives ist in diesem Film nicht zu finden. Nur daß es dieser Kult möglich machte, daß Gas in Luken geworfen wurde mit dem Ziel, Menschen industriell zu töten, millionenfach, und daß Mengele freundlich lächelte, wenn er mit seinen Handbewegungen an der Rampe den Tod befahl. Das Café an der »Wache« hat tausendjährige Hakenkreuze im Mauerwerk, dort gibt es eine überaus schmackhafte Gemüsesuppe aus dem Garten der Lebenspark-Gemeinschaft. Mich stört, daß die Nazisymbolik hier so offen gezeigt wird. Bin ich die Einzige? Was wäre die Alternative? Abreißen, übermauern, übermalen? Totschweigen? Gras drüber? Gar nichts machen? Das kann nur schief gehen. Insofern ist die Planung einer Gedenkstätte sicher ein guter Anfang. Meiner Meinung nach aber gehört in diesem Dorf an jede Straßenecke eine Mahntafel mit Bildern der Opfer, auch wenn das vielleicht den dort Wohnenden unangenehm wäre. Hier muß die Idylle durch Gegenentwürfe gebrochen werden. Ich selbst, wenn ich hier wohnen würde, würde das auch wollen. Ich könnte ohne Opfergeschichte gar nicht leben in einem solchen Haus mit der weißlackierten Aufschrift, der stolzen Jahreszahl nach Hitler, wo schon das Nichtmähen der Rasenflächen im Lebenspark und die zerrissenen Hosen dort für manche Dorfbewohner Grund genug sind, sich von den Zugezogenen abzuwenden. Wo man von »Juden« spricht, wenn man den Erinnerungsverein zur Aufarbeitung der Tätergeschichten meint. Wo zumindest einer sich freut, über »Bormanns Haus« und »Adolf« zu sprechen. Der Schoß ist fruchtbar noch. Im Park liegt ein Stein, auf dem steht: »Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung.« Erinnerung an wen? Das muß klar sein.
Erschienen in Ossietzky 25/2010 |
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