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Viele von ihnen waren im Ribbentrop-Ministerium – einer »verbrecherischen Organisation«, wie es der Leiter der Kommission, der Historiker Eckart Conze, nannte – aktiv an der faschistischen Eroberungspolitik und an der »Endlösung der Judenfrage« beteiligt. Entsetzen und Empörung waren groß, vor allem aber die Überraschung. Zahlreiche Medien, darunter ARD und ZDF, fragten, wie es gelungen sei, diese schreckliche Tatsache so lange unter der Decke zu halten. Andere, so auch die Berliner Zeitung, freuten sich, daß sie »nun endlich aufgedeckt« wurde. Die gleiche Freude empfand auch der Faschismus-Erklärer und Fernseh-Chefhistoriker Guido Knopp, so daß er erleichtert ausrief: »Jetzt endlich, 65 Jahre nach Kriegsende, ist die Zeit gekommen für eine ehrliche Bilanz.« Der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dagegen nannte es »unglaublich«, daß bis zu einer systematischen Aufarbeitung fast 60 Jahre vergangen seien. Dem jetzigen Chef des Auswärtigen Amtes, Guido Westerwelle (FDP), erging es nicht anders. Er sprach von »schockierenden Erkenntnissen«, nahm aber zugleich seine liberalen Amtsvorgänger Walter Scheel (1969 bis 1974), Hans-Dietrich Genscher (1974 bis 1992) – beide einst NSDAP-Mitglieder – und Klaus Kinkel (1992 bis 1998) in Schutz. Woher hätten die fünf Minister auch von der tiefbraunen Vergangenheit des faschistischen und des nachfolgenden bundesdeutschen Außenministeriums wissen sollen? Das in der DDR 1965 erschienene »Braunbuch: Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin-West« hatte zwar ein weltweites Echo gefunden, aber in der Bonner Republik war es als »kommunistische Hetzpropaganda« sowie »Propagandamachwerk« bezeichnet und auf den Index gesetzt worden. Immerhin war darin behauptet worden: »Entgegen der einmütigen Forderung der Völker und der Urteile von Nürnberg wurden die Nazi- und Kriegsverbrecher, zu denen die Diplomaten der Wilhelmstraße gehörten, in Westdeutschland nicht zur Verantwortung gezogen. Mehr noch wurden die ehemaligen Nazi-Diplomaten wieder im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik verwendet. Sie übernahmen nach und nach die entscheidenden außenpolitischen Funktionen.« Und schlimmer noch: Was jetzt als »schockierende Neuigkeit« aufgenommen wurde, war in einem gesonderten Kapitel des »Braunbuchs« unter der Überschrift »An der ›Endlösung der Judenfrage‹ mitgewirkt« detailliert nachgewiesen worden: die maßgebliche Beteiligung von Diplomaten der Wilhelmstraße an der Ermordung von Millionen Juden. Inzwischen ist die schwarz-gelbe Regierung eifrig bemüht, das häßliche Thema abzuhaken und zu den Akten zu legen. Und wenn in einigen staatlichen Institutionen, so im Finanzministerium, Geschichtsaufarbeitung nicht zu vermeiden ist, dann blendet man die Zeit nach 1945 aus und vermeidet tunlichst, auf die Rolle von Altnazis und Kriegsverbrechern in den Bundesministerien, Geheimdiensten und in der Bundeswehr einzugehen. Von den im Bundestag vertretenen Parteien tanzt nur Die Linke aus der Reihe. Schon im Frühjahr des Jahres hat sie einen Antrag eingebracht, mit dem sie eine fundierte Aufarbeitung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes verlangt. Sie fordert, die Akten des BND »im Zusammenhang mit personellen Kontinuitäten zum NS-Regime« für die Öffentlichkeit und die Wissenschaft zugänglich zu machen. Sie vertritt die Auffassung, daß die Untersuchung des Auswärtigen Amtes nicht der Schlußpunkt, sondern der Anfang für eine kritische Aufarbeitung der Geschichte aller Ministerien in den Anfangsjahren der Bundesrepublik sein muß. In diesem Sinne hat sie Mitte November im Bundestag beantragt, »bis zum Ende der Legislaturperiode eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte der Bundesministerien auf den Weg zu bringen«. Derartige Forderungen sind lobenswert, auch wenn die Antragsteller damit immer noch ein wenig zu kurz gesprungen sind. Denn wenn eine längst fällige historische Aufarbeitung beginnen soll, dann sollten nicht nur einzelne Ministerien und Geheimdienste unter die Lupe genommen werden. Eine umfassende Untersuchung der ferneren und der jüngsten Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland ist überfällig. Wenn es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, dann hat ihn spätestens die AA-Untersuchungskommission erbracht. Was liegt also näher, als nach dem Beispiel der Eppelmann-»Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« nunmehr durch den Bundestag auch eine »Stiftung zur Aufarbeitung der BRD-Demokratie« ins Leben zu rufen? Die dazu erforderliche gesetzgeberische Arbeit ist gering, denn sie könnte sich weitgehend an das »Gesetz über die Errichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« vom 5. Juni 1998 anlehnen. Unterscheiden müßte sich das neue Gesetz lediglich in zwei Paragrafen, in denen zum einen die strikte Unabhängigkeit der Stiftung vorgeschrieben und zum anderen die Themenfelder der BRD-Aufarbeitung benannt werden müßten. Deren gibt es viele, darunter: der Umgang mit dem Potsdamer Abkommen und dessen Bestimmungen zur vollständigen Ausrottung des deutschen Nazismus und Beseitigung der Macht der Wirtschaftsmonopole; die Politik der Adenauer-CDU zur Spaltung Deutschlands; die Rolle von Kriegsverbrechern und Alt-Nazis in der Regierung, der Bundeswehr, der Justiz, der Polizei, im Auswärtigem Amt und in den Geheimdiensten; die Verfolgung von Kommunisten und Antifaschisten; die systematische Schädigung der DDR und ihrer Bürger durch Alleinvertretungsanspruch (Hallstein-Doktrin), Wirtschaftskrieg und Technologie-Embargo; die Kolonialisierung und Deindustrialisierung Ostdeutschlands nach der Einverleibung der DDR; die Politik zur Zerschlagung des jugoslawischen Vielvölkerstaates und die Teilnahme an der Aggression gegen Jugoslawien sowie am Krieg in Afghanistan. Zweifellos werden die wiß- und aufklärungsbegierigen, nach den AA-Erkenntnissen »schockierten« Regierungsmitglieder und Bundestagsabgeordneten die Anregungen zur Schaffung einer »Stiftung zur Aufarbeitung der BRD-Demokratie« mit Freude aufgreifen, die unvollständige Liste der Themenfelder ergänzen und all das in Gesetzesform gießen. Für diesen Fall erklärt der Vorschlagende schon jetzt seinen Verzicht auf jegliches Beraterhonorar.
Erschienen in Ossietzky 24/2010 |
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