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Und die Zahl der Zivilisten – Männer, Frauen, Kinder –, die zu Hunderten im Bomben-, Raketen- und Artilleriegranatenhagel der Besatzungstruppen am Hindukusch umgekommen sind, übersteigt die der sogenannten Gefallenen um eine Mehrfaches. Mindestens 2.412 zivile Schlachtenopfer zählte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) allein im vorigen Jahr auf dem afghanischen Kriegsschauplatz. Viele Tausende an Körper und Seele Verletzter und Verstümmelter leiden an den Folgen des Luftterrors. Terror? Ja, Terror. Denn wenn Terrorismus gemeinhin bedeutet, unschuldige Menschen für politische Ziele zu opfern, dann erfüllt auch das Töten von Zivilisten aus dem Cockpit eines Kampfjets oder aus fernab vom Kriegsschauplatz an Computern in den USA gesteuerten Drohnen der CIA zweifellos den Tatbestand des Terrorismus: den des Staatsterrorismus. Doch muß, wie Kurt Tucholsky einst trefflich konstatierte, »diese Tätigkeit des Mordens vorher durch beharrliche Bearbeitung der Massen als etwas Sittliches hingestellt werden«. Erst dann nämlich – gehirngewaschen von regierungsamtlicher Propaganda, nationalbesoffen, dressed to kill – sind die uniformierten Handwerker des Krieges, wie wiederum Tucholsky schreibt, »bereit, ihr Leben und ihre Person für einen solchen Quark, wie es die nationalistischen Interessen eines Staates sind, aufs Spiel zu setzen«. Freilich muß auch die Heimatfront geschlossen stehen. Dafür läßt sich die Kaste der schwarz, rot, grün und manchmal gelb gewandeten Hohepriester des globalen Interventionismus getreu ihrer Maxime Frieden schaffen mit aller Gewalt so einiges einfallen, feierliche Zapfenstreiche und öffentliche Gelöbnisse zum Beispiel – Rituale, mit denen das Militär um Kanonenfutter für die künftigen Kriege wirbt. Neue Helden braucht das Land, und diese neuen Helden brauchen neue Orden. Militärorden wie das »Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit«, das seit 2009 »für außergewöhnlich tapfere Taten« im Kriegseinsatz verliehen wird. Zu denken gibt, daß es zuvor schon eine Auszeichnung gab, mit der »unter Gefahr für Leib und Leben« erbrachte »besonders herausragende Leistungen, insbesondere hervorragende Einzeltaten« gewürdigt werden konnten, nämlich eine besondere Ausführung des »Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold«. Dies freilich war den Kriegern nicht genug: Für den neuen Kämpferkult bedurfte es eines richtigen Kriegsordens. Bemerkenswert ist dessen ornamentale Ausgestaltung. In Form und Umriß ist er an das aus preußischen Zeiten Anfang des 19. Jahrhunderts bekannte »Eiserne Kreuz« angelehnt. Was den neuen Orden vom herkömmlichen »Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold« unterscheidet, ist ein auf der Bandschnalle angebrachtes stilisiertes goldenes Eichenlaub, das alle geschichtsbewußten Kriegsgegner alarmieren muß, war doch das »Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernes Kreuzes« eine von Adolf Hitler im Zweiten Weltkrieg gestiftete Auszeichnung für diejenigen seiner uniformierten Schergen, die sich durch besondere Effizienz bei der Verrichtung ihres Tötungshandwerks hervorgetan hatten. Noch alarmierender ist der Umstand, daß der »GröFaZ«, der »Größte Führer aller Zeiten«, das »Goldene Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernes Kreuzes« als die höchste aller Tapferkeitsauszeichnungen für seine Mordtruppen kreiert hatte. Sie wurde nur ein einziges Mal verliehen, nämlich an den bis zu seinem Tode allergetreuesten und fanatischsten Auftragskiller des Diktators, den berüchtigten Stuka-Oberst Hans-Ulrich Rudel, der bis zum letzten Kriegstag noch mit blutüberlaufener Prothese, nachdem ihm der Unterschenkel abgeschossen worden war, weiter seinen menschenmörderischen »Kanonenvogel« flog, mit dem er massenweise russische Panzer und die darin befindlichen Besatzungen vernichtete. Und kaum war der Orlog zu Ende, betätigte sich dieser unverbesserliche bekennende Nazi-Protagonist als Fluchthelfer für Parteigenossen und Kriegsverbrecher, als Waffenhändler für südamerikanische Diktatoren und als Propagandist für die rechtsextreme Deutsche Reichspartei, die später verboten wurde. Ein goldenes Eichenlaub also als Attribut zum Tapferkeitsorden der Bundeswehr – kann es sich hierbei wirklich nur um grenzdebile Geschichtsvergessenheit handeln, oder steckt dahinter sogar Methode? Neben Tapferkeitsauszeichnungen für lebende Helden bedarf es zur Legitimation der neuen Kriege auch eines Kriegerdenkmals, an dem die Berliner Offiziellen einmal jährlich ihre Kränze zum glorifizierenden Gedenken an diejenigen abwerfen können, die das ihnen verordnete Heldentum nicht er- und überlebt haben. Hierzu hat der vormalige Kriegsminister Franz-Josef Jung eine bronze-eloxierte Wartehalle für den Heldentod entwerfen lassen, offiziell als »Ehrenmal« bezeichnet. Peinlich nur, daß es an der falschen Stelle steht, nämlich auf dem Gelände des Bundesministeriums der Verteidigung am Reichpietschufer in Berlin, nicht aber, wie es sich für die stets beschworene Parlamentsarmee eigentlich geziemte, vor dem Deutschen Reichstag, wo diejenigen Volksvertreter tagen, die über Krieg und Frieden zu entscheiden haben. Überhaupt kam der Beschluß zur Errichtung dieser Gedenkstätte auf höchst undemokratische Weise zustande: Der Minister traf sie alleine, der Bundestag mußte außen vor bleiben. Bemerkenswert ist auch der Leitgedanke, den der Architekt Andreas Meck seinem Entwurf vorangestellt hat: »Der Wesensvollzug des Bauens ist das Errichten von Orten durch das Fügen ihrer Räume«, eine Sentenz des Philosophen Martin Heidegger, der während seiner Zeit als Rektor der Freiburger Universität 1933/34 offen mit den Nazis sympathisierte und deren »nationalsozialistische Revolution« affirmativ als »seinsgeschichtlich zu verstehenden Aufbruch zu einem Neuanfang abendländischer Kultur« interpretierte. Woraufhin ihm nach dem Krieg die französische Besatzungsmacht Lehrverbot erteilte. Der Gedanke zur Errichtung dieses sogenannten Ehrenmals befiel den Kriegsminister Jung während einer Inspektion seiner Truppen auf den Schlachtfeldern Afghanistans. Symbolisch manifestiert sich in dem Bau nunmehr die einfältige Idee seines Vorgängers Peter Struck, die Sicherheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt. Er dient zuvörderst dazu, globale Interventionskriege als sinnstiftenden Auftrag für die deutschen Streitkräfte zu legitimieren. Nur Soldaten und Soldatinnen haben an der Ehre teil, dort nach ihrem Tode genannt zu werden, nicht etwa die zivilen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, die ebenfalls ihr Leben im Staatsdienst geopfert haben. Damit wird wiederum der Vorstellung von einer Sonderstellung des Soldaten Vorschub geleistet. Wer ein Kriegerdenkmal errichtet, der huldigt einem anachronistischen Kriegerkult, wie es Franz-Josef Jung tat, als er im Verlaufe eines internationalen Militärhistorikerkongresses 2006 in Potsdam forderte, die Traditionspflege der Bundeswehr solle das Selbstverständnis des Soldaten als Kämpfer berücksichtigen. Wörtlich sagte er damals: »Es gilt, das Selbstverständnis des modernen Soldaten zu berücksichtigen. Denn dieser ist trotz aller Ausweitung seiner Rolle als Helfer, Vermittler und Retter im Kern immer noch Kämpfer.« Womit er sich in völliger Harmonie mit seinem Heeresinspekteur, Generalleutnant Hans-Otto Budde, befand, der bereits zwei Jahre zuvor verlangt hatte: »Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.« Sein ehemaliger Kampfgefährte Wolfgang Winkel aus gemeinsamen Fallschirmjäger-Tagen, der ihn im Leib- und Magenblatt des nationalkonservativ gesonnenen Offizierskorps der Bundeswehr, der Wochenendzeitung Welt am Sonntag, porträtiert hatte, ergänzte damals kongenial: »Diesen Typus müssen wir uns wohl vorstellen als einen Kolonialkrieger, der fern der Heimat bei dieser Existenz in Gefahr steht, nach eigenen Gesetzen zu handeln.« Denn: »Eine ›neue Zeit‹ in der Militärstrategie und Taktik verlangt natürlich einen Soldatentypen sui generis: Der ›Staatsbürger in Uniform‹ hat ausgedient.« An dessen Stelle gibt’s nun, Jung sei’s gedankt, eine Heldengedenkstätte zu Berlin. Deren erhabene Inschrift lautet: »Den Toten unserer Bundeswehr. Für Frieden, Recht und Freiheit.« Eine dreifache Lüge. Denn für den Frieden stand die Bundeswehr längstens bis 1999, als sie sich am Luftkrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien beteiligte. Dieser Angriffskrieg gegen Völkerrecht und Grundgesetz bildete den Präzedenz- und Sündenfall für weitere Regierungsverbrechen, die schon bald folgen sollten. Mitnichten also – das erfüllt den Tatbestand der zweiten Lüge – sind die in jenem Totenschrein geehrten Bundeswehrsoldaten allesamt für das Recht gestorben, ganz im Gegenteil. Und da die Freiheit untrennbar mit dem Recht verknüpft ist, nicht aber dem Unrecht entspringen kann, gerinnt auch der dritte Bezug in der genannten Inschrift zur Makulatur. Nach dem »Mammutverbrechen«, wie Altbundeskanzler Helmut Schmidt die Anschläge in New York und Washington im September 2001 nannte, sicherte der damals amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder der einzig verbliebenen Weltmacht USA »uneingeschränkte Solidarität« zu und entsandte mit einer äußerst knappen Mehrheit des Deutschen Bundestages die Bundeswehr in den Kampfeinsatz nach Afghanistan. Mit der Art und Weise, wie er dem Parlament diesen Beschluß abpreßte, unterlief er den vom Bundesverfassungsgericht mit Bedacht im Juli 1994 formulierten Parlamentsvorbehalt für den Einsatz der Bundeswehr jenseits der Landesgrenzen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt hat sich die politische Kontrolle des deutschen Militärs von der Legislative hin zur Exekutive verschoben, was besorgt machen muß. Die Angriffskriege gegen Jugoslawien und Afghanistan: zwei Fälle von Friedensverrat. Den dritten bildete – entgegen der von Kanzler Schröder in die Welt gesetzten Legende von der deutschen Nichtbeteiligung – die massive und umfassende Unterstützung des angloamerikanischen Völkerrechtsverbrechens gegen den Irak und die dort lebenden Menschen im Jahre 2003, indem die Bundeswehr zum Beispiel mit vielen Tausenden Soldaten in US-Stützpunkten in Deutschland die Aufgaben der GI’s übernahmen, die in den Irak abkommandiert wurden. Von deutschem Boden also geht entgegen der völkerrechtlich verbindlich abgegebenen Zusicherung wieder Krieg, ja sogar Angriffskrieg aus. Ungestraft tragen die friedensverräterischen Regierungskriminellen an den Schalthebeln der Macht in Berlin Mitschuld am vieltausendfachen Massenmord an Männern, Frauen, Kindern auf den diversen Kriegsschauplätzen, wo die Bundeswehr direkt in Kampfeinsätzen agiert oder indirekt Unterstützungsleistungen erbringt. Mitschuld tragen aber auch jene Friedensverräter im Generalsrock, die sich, Kadavergehorsam leistend und ihren Diensteid brechend, nicht geweigert haben, mit Tausenden von Bundeswehrsoldaten willfährig die ihnen erteilten völkerrechts- und verfassungswidrigen Aufträge zu erfüllen. Und so sterben und töten deutsche Soldaten weiterhin für das Bündnis mit den USA, für den Fortbestand der NATO, für mehr politisches Gewicht Deutschlands auf der Weltbühne und nicht zuletzt für Wirtschaftsinteressen, wie unser forscher Kriegsminister von altem Adel nicht müde wird zu betonen. Nicht Krieg aber kann den Frieden bringen, sondern allein Gerechtigkeit: Gerechtigkeit schafft Frieden. In Abwandlung des altbekannten römischen Wahlspruchs muß die Devise demnach lauten: Wenn du den Frieden willst, so diene dem Frieden! Wir sind gefordert, als demokratische Staatsbürger und in unserer ganzen Person die Verfassung und den Frieden zu verteidigen gegen die »schmutzige Zumutung der Macht an den Geist«, die einem Aperçu des großen Karl Kraus zufolge darin besteht, »Lüge für Wahrheit, Unrecht für Recht, Tollwut für Vernunft zu halten.« Wir müssen laut unsere Stimme erheben, damit endlich unsere Truppen aus dem mörderischen Krieg am Hindukusch zurückgezogen werden.
Erschienen in Ossietzky 24/2010 |
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