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Vorsorglich verbietet unsere wachsame Obrigkeit eine seit mehreren Wochen angemeldete Demonstration rund um das Parlamentsgebäude am Tage der Verabschiedung des neuen »Sparpakets«, mit dem sie die Armen noch ärmer machen will. Terror-Hysterie läßt sich für viele Zwecke nutzen. Schon das Wort Terror, fett auf den Titelseiten, schüchtert ein. Soll man da noch, darf man da noch von Bürgerrechten Gebrauch machen? Zum Beispiel demonstrieren? Nein, da sollen wir brav zu Hause bleiben und auf die Nachbarn aufpassen, womöglich sprechen sie arabisch, dann müssen wir sie – in ausdrücklichem Auftag des Berliner Innensenators – der Obrigkeit melden. Denn wir sind ein freies Land und zu jedem Opfer an Freiheit bereit (zum Beispiel zur Vorratsdatenspeicherung und zu Bundeswehreinsätzen im Innern), um ein freies Land zu bleiben – oder so ähnlich. Einer Obrigkeit, die in Stuttgart, Gorleben und an anderen Orten durch zunehmenden Druck von unten in Bedrängnis gerät, kommt Terror gerade recht. Das ist nichts Neues. Angebliche Attentate von links auf den Kaiser genügten, und schon folgten unter Bismarck, dem bis heute auf unzähligen Straßenschildern verewigten eisernen Kanzler und Angriffskrieger, die Gesetze zur Unterdrückung der damals linken, aufstrebenden Sozialdemokratie. So oder ähnlich wiederholt es sich bis heute . Zu solchen Zweck hat man Geheimdienste. Ich erinnere mich an 1968: Schüsse eines Neonazis auf den in der Springer-Presse verteufelten Rudi Dutschke, Demonstrationen vor den Druckhäusern. Unter den Augen des Berliner Innensenators verteilte ein Spitzel des Westberliner Landesamts für Verfassungsschutz Molotow-Cocktails. Nur einer davon brauchte entzündet zu werden, und schon konnte der Senator Räumungsbefehl geben. Der Spitzel gehörte später zu den Gründern der Rote Armee Fraktion. Als 1978 der RAF-Terror nachließ, versuchten CDU-Politiker wie der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht mit Hilfe des Bundesamts für Verfassungsschutz, durch Vortäuschung einer gewaltsamen Gefangenenbefreiung in der Haftanstalt Celle die Terrorhysterie wieder anzuheizen. Schuld an jeglicher Gewalt – manche Anschläge wurden erwiesenermaßen von Neonazis verübt, die in engem Kontakt zu Verfassungsschutzämtern standen – waren angeblich immer die Linken. Und seit Bush sen. die »neue Weltordnung« verkündet hat, stehen allemal »die Islamisten« unter Verdacht. Für den ersten Anschlag auf das World Trade Center in New York 1993 hatten US-»Sicherheitskräfte«, wie die New York Times einige Monate später enthüllte, den Sprengstoff geliefert. Und für den zweiten Anschlag 2001? Das amtliche Interesse, dieses Verbrechen aufzuklären, das bis heute zur Begründung des von Bush jun. ausgerufenen weltweiten »Kriegs gegen den Terror« dient, ist nach wie vor gleich Null. Als das US-Außenministerium 2005 eine erste Erfolgsbilanz dieses Krieges präsentierte, las man darin unter anderem, daß sich im Jahre 2004 gegenüber dem Vorjahr die Zahl schwerer Terrorakte weltweit von 175 auf 655 erhöht habe. Fünf mutige Kubaner hingegen, die den Geheimdienstterror gegen ihr Land erfolgreich ausgekundschaftet hatten, sitzen deswegen seit Jahren in US-Haft. Im Kalten Krieg baute die Central Intelligence Agency in Europa ein Terrornetz unter dem Namen »Gladio« auf, das hinter so schweren Verbrechen wie dem Sprengstoffanschlag auf den Bahnhof Bologna sichtbar wurde. Dieselbe CIA ließ 1985 in Beirut einen mit Sprengstoff vollgeladenen Wagen vor dem Haus des Hisbollah-Führers Scheich Fadlallah explodieren, wodurch 80 Menschen starben und 200 verletzt wurden. Und dieselbe terroristische Vereinigung ermordet jetzt mit Drohnen mißliebige Menschen und deren Familien im Jemen, in Afghanistan, in Pakistan – und wo dann? Die USA geben im Jahr rund 80 Milliarden Dollar für ihre Geheimdienste aus. Es ist verständlich, wenn deutsche Politiker vor dieser Macht Bammel haben. Sich mit ihr zu arrangieren, kann die politische Karriere fördern. Aber niemand ist verpflichtet, jedes Geheimdienstmärchen für wahr zu halten oder auch nur so zu tun, als hielten er es für wahr. Wenn wir uns nicht einschüchtern lassen, sondern offen unsere Skepsis und unseren Widerwillen äußern und auch einfach mal über das lachen, was hochgestellte Politiker so überaus ernst nehmen, wird die Macht der Geheimdienste, der US-amerikanischen wie der deutschen, schrumpfen wie Faulobst.
Erschienen in Ossietzky 24/2010 |
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