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Gleich zu Beginn des Rundganges wird der Besucher mit einem sorgfältig gestalteten Modell von Mauer und Todesstreifen darauf eingestimmt. Nur wenige Schritte weiter treibt die Stasi ihr Unwesen, ein kahler Verhörraum läßt ihn erschaudern. Ein schmaler Gang führt in einen fensterlosen Abhörraum mit primitiver Technik, der trotz konspirativer Zweckbestimmung mit einem Porträt Erich Honeckers geschmückt ist. Unweit davon wird ein »typisch eingerichtetes DDR-Wohnzimmer« vorgestellt, ein düsterer möblierter Alptraum: tiefbraune Schrankwand der Marke »Karat«, dunkle Polstergarnitur, davor ein Rauchtisch mit bunten Plastebechern und einem Miniweinkühler, natürlich auch aus Kunststoff. Im Fernsehgerät läuft der »Schwarze Kanal« von und mit Karl-Eduard von Schnitzler, den man sprechen sieht, aber aufgrund minimaler Lautstärke nicht verstehen kann. Der sich anschließende schmale Raum vervollständigt das armselige Interieur: schäbige Küchenmöbel, das Geschirr ebenfalls aus Plaste. Porzellan kannten die Bewohner nicht. Für den Fall, daß die Museumsbesucher ob der Armut und Tristesse baß erstaunt sind, werden sie auf einer Informationstafel über den eigentlichen Grund der geschmacklosen Wohnungseinrichtung aufgeklärt: »Vielerorts fanden sich Blümchentapeten, Polstergarnituren, Teppiche und Tüllgardinen, als wollten sich die Menschen ›abpolstern‹.« Offenkundig war das bitter nötig, denn bis zum Stasi-Abhörraum ist es nicht weit. Die Informationstafeln sind zahl-, lehr- und aufschlußreich. Zum Thema Bildung kann der Besucher erfahren: »Schon der Kindergarten war zentral gesteuert, in jeder Schule wurde das Gleiche gelehrt.« Zur Illustration dient ein anrührendes Foto vom »kollektiven Töpfchengehen«, dem »Ausgangspunkt für erstarkenden Rechtsextremismus in der DDR«. Noch schrecklicher als bisher bekannt war die Versorgungslage. Kurzinformationen verdeutlichen es: »›Alter Konsum‹: Bis 11.30 wegen Fliegenbekämpfung geschlossen«, »1.8.: Es gab Kräutertee«, »In ganz Dessau – kein Fleckenwasser«. Beim Thema Gesundheitsfürsorge kommt man nicht umhin, die Poliklinik zu erwähnen, aber sie »war eine Art staatliches Ärztehaus... und kam dem allgemeinen Zwang zur Sparsamkeit entgegen«. Schlimm, außerst schlimm war es um das Verkehrswesen bestellt: »Von A nach B zu gelangen, war in der DDR ein mühevolles Unterfangen (...) Bahnen und Busse rollten selten zuverlässig.« Es gab aber auch Lichtblicke in der DDR. Ein beachtlicher Teil der Ausstellung ist der Freikörperkultur gewidmet. Hier staunen und stauen sich die Besucher. So viele gutgelaunte und wohlproportionierte nackte Schönheiten bei Sport und Spiel am Strand! Aber auch dafür haben die Ausstellungsmacher eine Erklärung: »Entgegen aller Versuche der SED war Nacktbaden normal. Grund für den FKK-Erfolg war... der Widerstand gegen die ewige Angepaßtheit der DDR.« Wem der Anblick des nackten Widerstandes Appetit gemacht hat, der kann sich in einem neueingerichteten »DDR-Restaurant« stärken und zum Beispiel eine Soljanka, die »wohl beliebteste Suppe der DDR«, bestellen und dabei das neuerworbene elf mal zwei Meter große Gemälde von Roland Paris »Lob des Kommunismus« bewundern. Das ist ein großartiges Kunstwerk, nur die Preise der Speisen passen nicht dazu, sie sind leider kapitalistisch geblieben. Für ein Schnitzel mit Kartoffelsalat sind 15,80 Euro, mithin 31,60 DM zu berappen. In einem DDR-Restaurant gleicher Güte war das mindestens acht mal billiger. Auch ein Museumsshop fehlt nicht. Wem die Exponate und die treffenden Erläuterungen nicht genügen, der kann aus dem reichhaltigen, aber etwas einseitig ausgewählten Sortiment ein Buch erwerben, zum Beispiel solche aufklärerischen Bestseller wie »Chronik des Mauerfalls«, »Die Berliner Mauer 1961–1989«, »Die friedliche Revolution«, »Die Todesopfer an der Berliner Mauer«, aber auch Unterhaltsames wie den reich bebilderten Wälzer »FKK in der DDR« oder einen Kriminalroman mit dem verlockenden Titel »Honeckers Geliebte«. Die Zahl der Museumsbesucher aus der Alt-Bundesrepublik und dem Ausland wächst von Jahr zu Jahr. Das erfreut die privaten Betreiber, aber auch bei der wichtigsten Zielgruppe sehen sie noch Reserven. Deshalb rufen sie diese öffentlich auf: »Liebe Lehrer, liebe Kollegen aus der Schulpädagogik, Sie und Ihre Schüler sind uns die wichtigsten Besucher. Mit Ihnen gemeinsam möchten wir das Wissen der Schüler rund um das Thema DDR aufbauen, Ihre Schüler für Geschichte begeistern und gleichzeitig Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen!« Und wem verdanken die Lehrer und Schüler sowie die anderen Besucher das Museumsvergnügen? Da ist zum einen Peter Kenzelmann, ein Personaltrainer aus dem schönen Freiburg im Breisgau. Er hatte die Idee, die DDR museal zu vermarkten, und bewies, daß ein Museum, wenn es privat betrieben wird, nicht nur belehrend und unterhaltsam, sondern auch rentierlich sein kann. Nach nur drei Jahren Ausstellungsbetrieb konnte das Unternehmen eine hohe Kreditsumme zurückzahlen und beginnen, Gewinn abzuwerfen. Zum anderen ist das Museum einer Koriphäe in Sachen DDR-Aufarbeitung zu verdanken, dem Historiker Stefan Wolle, der für die wissenschaftliche Gestaltung verantwortlich zeichnet. Er verdiente sich seine Sporen als Mitarbeiter der Gauck-Behörde und danach als Referent bei der Eppelmann-Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Ab 2002 bereicherte er mit seinen Kenntnissen den Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin. Und sein Wissen ist enorm. Schon 1995 verfaßte er gemeinsam mit Armin Mitter ein epochales Werk zur DDR-Geschichte mit dem Titel »Untergang auf Raten«, das sich auch mit der Frage beschäftigte, was von der DDR bleibt? Die Antwort war eindeutig und kategorisch: »Der türkische Andenkenmarkt rund um das Brandenburger Tor ist die ehrlichste Art, mit der DDR-Geschichte umzugehen. Alles wird dort verkauft. Aktivistenabzeichen und Vaterländische Verdienstorden, Ehrendolche der NVA, Generalsuniformen, Porträts von Erich Honecker und Leninbüsten. Wer mit Christa Wolf die Frage stellt, ›Was bleibt?‹, mag durch das bunte und exotische Markttreiben schlendern. Hier wird er die Antwort finden. Es bleibt ein Haufen von nutzlosem und absurdem Flitterkram.« Klarer hätte die Antwort nicht ausfallen können. Ein wenig absurd ist es allerdings, daß ausgerechnet ein Flitterkram-Experte wissenschaftlicher Leiter eines Museums ist, das vorgibt, den »Alltag in der DDR erlebbar zu machen«. Aber absurdes Theater ist noch immer modern, da kann ein modernes Museum nicht zurückstehen.
Erschienen in Ossietzky 23/2010 |
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