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Ende Oktober bekräftigte Schatzkanzler George Osborne, daß sich die Bevölkerung auf die härtesten Haushaltskürzungen seit 1945 gefaßt machen müsse. In den kommenden vier Budgetjahren sollen die Ausgaben um 83 Milliarden Pfund (94 Milliarden Euro) reduziert werden. Konkret bedeutet das den Abbau von 490.000 Stellen im Öffentlichen Dienst, selbst bei den Streitkräften sollen 17.000 Stellen gestrichen werden. Allein diese Maßnahmen dürften im Privatsektor den Verlust einer weiteren halben Million Erwerbsarbeitsplätze nach sich ziehen. Die Zuschüsse für die Universitäten sinken nach Osbornes Plänen um ein gutes Viertel, das Kulturministerium soll sogar 41 Prozent einsparen (wovon zum Beispiel auch der weltweit ausstrahlende Sender BBC betroffen wäre); Wohn- und Kindergeldbeträge werden gekürzt, das Rentenalter soll bis 2020 auf 66 Jahre steigen (bisher werden Staatsrenten ab dem 65. Lebensjahr gezahlt) Das Kürzen und Knausern wird auch vor den Zuweisungen an die Queen nicht haltmachen. Apropos Elisabeth II.: Als sie im Frühjahr eine Fregatte besuchte, wurde das zum Inventar gehörige Maskottchen der Besatzung, der Papagei »Sunny«, vorsichtshalber an Land verbracht. Er kann trefflich die Melodie von »Gesprengte Ketten« summen, einem Abenteurerfilm aus den 1960er Jahren über die Massenflucht alliierter Kriegsgefangener aus einem deutschen Lager, hat aber auf den jahrelangen Reisen auch übelste Schimpfwörter erlernt, die der Königin nicht zu Ohren kommen sollten. Eine ähnliche Erfahrung macht sie nun mit dem neuen Flugzeugträger »Queen Elizabeth«. Das Kriegsschiff steht im Etat mit einer ungewöhnlichen Leerstelle, weil geeignete Flugzeuge erst ab 2020 angeschafft werden können. Einstweilen werden nun französische »Rafale«-Jets – für nationalstolze Briten bislang undenkbar – die Lücke füllen. Dadurch wurde ein epochales Militärabkommen möglich, vor dessen Unterzeichnung sich der Vorsitzende des britischen Verteidigungsausschusses, James Arbuthnot, zu einer Aussage verstand, die als einladende Geste gemeint war: »Ich verzeihe den Franzosen, daß sie meinem Ur-Ur-Ur-Urgroßvater vor Trafalgar den Kopf abgeschlagen haben.« Da auf beiden Seiten des Ärmelkanals seit der Finanzkrise auch die Rüstungsausgaben auf dem Prüfstand stehen (der britische Militärhaushalt soll bis 2014 um acht Prozent sinken), bietet sich eine engere Zusammenarbeit der Streitkräfte Großbritanniens und Frankreichs schon deshalb an, weil beide Staaten ihren Status als Atommächte und Mitglieder des UN-Sicherheitsrates keinesfalls geschwächt sehen wollen. Ganz im Gegenteil. Indem sie künftig Nuklearwaffenentwicklung und -tests koordinieren, sich Flugzeugträger und deren Bestückung teilen, gemeinsam ausgebildete britisch-französische Brigaden für weltweite Einsätze aufstellen und anderes mehr, entsteht eine neue nukleare Militärmacht »zweier souveräner Staaten« (Cameron), die den langjährigen Versuchen der Europäischen Union, die mühsame Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich zu verbessern, in die Quere kommen dürfte. Nun kann ich mich als Kriegsdienstgegner und anerkannter Kriegsdienstverweigerer nicht einmal ein kleines bißchen darüber freuen, daß die britische und französische Regierung aufgrund von Haushaltsnöten gezwungen sind, ihre Militärausgaben rudimentär zu senken. Denn zusammen bilden ihre Land-, Luft- und See-Streitkräfte nunmehr ein politisch wie historisch bemerkenswertes militärisches Schwergewicht in der Europäischen Union. Die beiden »souveränen Staaten« stellen immerhin 55 Prozent der für Auslandseinsätze in Frage kommenden Truppen. Darüber hinaus beträgt ihr gemeinsamer Anteil an den Rüstungsausgaben 45 Prozent aller in der EU getätigten. Im übrigen tolerieren die Bevölkerungen auf beiden Seiten des Ärmelkanals einen relativ hohen Anteil der sogenannten Verteidigungsausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt. Nach Angaben des Internationalen Instituts für strategische Studien in London sind das in Großbritannien 2,5 Prozent und in Frankreich 2,3 Prozent (Deutschland verwendet offiziell 1,3 Prozent seines viel größeren Bruttoinlandsprodukts für angebliche Verteidigungszwecke). Für den gewalttätigen Kampf um die knapper werdenden Rohstoffe gibt es in Europa nun eine über Nuklearwaffen verfügende gemischt britisch-französische Eingreiftruppe, deren wahrer historischer Stunden-(Militär-)Schlag uns allerdings noch bevorsteht. Die britische Big Society nimmt deutliche Züge an. Während sich in London junge Familien wegen des geringeren Wohngeldes auf den Umzug in weniger teure Vororte vorbereiten, bereiten sich für den Auslandseinsatz gedrillte Soldaten auf Kriegszüge in viel entlegenere Weltgebiete vor. Während sich die Gewerkschaften, deren Macht im privaten Sektor inzwischen so gut wie gebrochen ist, gegenwärtig lediglich auf »realistische« Streikmaßnahmen beschränken – zumal viele ihre Mitglieder als Hausbesitzer oder Hypothekenschuldner auf einkommensschmälernde Arbeitskämpfe ohnehin lieber verzichten –, holzt die Regierung die von ihr zur Big Society ernannte Gesellschaft mit extrem sozial-kulturellen Kahlschlägen ins Thatcher-Zeitalter zurück. Die handtaschenbewehrte Lady, das zur Erinnerung, trieb 1982 schon deshalb die britischen Truppen in den Falkland-Krieg, um die durch ihre antisoziale Innenpolitik drohende Wahlniederlage abzuwenden. Was ihr auch gelang … Abwarten und Tee trinken? Ich werde die Entwicklungen im Augen behalten und mich wieder melden.
Erschienen in Ossietzky 23/2010 |
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