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Der 2005 eingeführte Monatssatz von 345 Euro als »Hilfe zum Leben« lag schon damals um ein Drittel unter dem vom deutschen Sozialgesetzbuch geforderten »soziokulturellen Existenzminimum«. Wohlfahrtsverbände haben immer wieder darauf hingewiesen – ohne Erfolg, denn so war es von Anfang an gewollt, als Gerhard Schröder vor Gewerkschaftern ohne Widerspruch ankündigen durfte, bei Langzeitarbeitslosen gelte es, eine »Mentalität« zu brechen. Ab 1. 7. 2009 wurden 359 Euro monatlich gezahlt, und nunmehr – nach einem Monitum des Bundesverfassungsgerichtes – soll der »Hartz IV«-Satz im kommenden Jahr auf 364 »aufgestockt« werden. Dies als »Verbesserung« auszugeben, ist dreist und schamlos. Der Preisanstieg seit 2005 beträgt acht Prozent, dabei sind die unzähligen Gebührenerhöhungen noch nicht eingerechnet; dahinter bleibt der »Hartz IV«-Satz zurück. Der »Hartz IV«-Empfänger soll Anspruch auf angemessenes Wohngeld haben, aber der Heizkostenzuschuß soll 2011 entfallen. Sarrazin läßt grüßen. Der Sozialdemkrat hatte in seiner Zeit als Berliner Finanzsenator den auf Sozialgeld Angewiesenen schon des Öfteren empfohlen, dicke Pullover anzuziehen statt zu heizen. Was Sozialministerin Ursula von der Leyen in ihrem Gesetzentwurf den »Hartz IV«-Empfängern zumutet, geht noch viel weiter: Das bisher im ersten Jahr nach einer Geburt gezahlte Elterngeld von 300 Euro im Monat wird gestrichen, desgleichen die Zahlung eines ohnehin schon verringerten Beitrags an die Rentenversicherung, ebenso das sogenannte Übergangsgeld zur Förderung der Selbständigkeit, das arbeitslos Gewordene beantragen konnten. Das Bundesverfassungsgericht hatte die unzulängliche Berücksichtigung der Ansprüche von Kindern gerügt; darauf antwortet von der Leyen nicht mit mehr Unterstützung für die Eltern, sondern mit Bildungsgutscheinen, die auf Antrag ausgegeben werden; Sozialgeld-EmpfängerInnen wissen offenbar generell nicht, was ihren Kindern guttut. Der Widerstand gegen das Verhartzen blieb bisher merkwürdig verhalten. Die vor Jahren spontan von Betroffenen organisierten Montagsdemonstrationen fanden nur noch mäßige Resonanz und sind inzwischen abgeebbt. DGB und Einzelgewerkschaften hielten sich zurück. Sie haben wohl immer noch nicht begriffen, dass die Hartz-Gesetze ein massiver Angriff auf die soziale Absicherung der Arbeiterklasse insgesamt bedeuten. Als sich während der Krise bei Opel die Betriebsräte und die Mehrheit der noch Beschäftigten gezwungen sahen, einer Senkungen der Löhne zuzustimmen, sagte einer in die Kamera: »Was sollten wir denn machen? Sonst landen wir alle in Hartz VI, und all das, was man sich jahrzehntelang angespart hatte, ist weg.« Die Angst vor Verarmung erfaßt alle, die sich heute noch an einen Job klammern können. Es gab zwar Aufrufe zu einem »heißen Herbst«, doch von einer Mobilisierung ist bisher wenig zu spüren. In der Partei Die Linke wie auch in den Gewerkschaftern wird oft beklagt, dass die »Hartz IV«-EmpfängerInnen als direkt Betroffene wenig Protestbereitschaft zeigten. Solche Klagen gehen am Kern des Skandals vorbei. Wer über längere Zeit die Abhängigkeit von den Arge-Ämtern hat erdulden müssen, ist nicht nur verarmt, sie oder er ist auch vielfach gedemütigt und entwürdigt worden. Mutlosigkeit breitet sich aus, das Selbstwertgefühl leidet. Die Rausgeworfenen sollen die Konkurrenz der »Ware Arbeitskraft« anstacheln und auf die Löhne drücken. Dazu bedarf es neben der materiellen Verarmung auch einer moralischen Stigmatisierung: Wer keine Arbeit finden kann, muß faul oder asozial von Geburt an sein. SPD und Grüne propagierten bei der Einführung der Hartz-Gesetze, sie wollten »fördern und fordern«. »Gefördert« wird seither die Zurichtung zu Billiglöhnern, »gefordert« wird durch Herabstufung berechtigter Lebensansprüche und durch ständige Diskriminierungen. An den Diskriminierungskampagnen beteiligen sich fast alle Medien: von Bild bis zu den Feuilletons der überregionalen Zeitungen, nicht zuletzt die Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen Sendeanstalten, und Hauptadressat der Kampagnen sind die brav und gefügig Arbeitenden, die dadurch permanent eingeschüchtert werden. Sozialhilfeempfänger werden ausgegrenzt aus der Gesellschaft der »anständigen Leute«. Ein Mode-Philosoph wie der wohlbestallte Professor Sloterdijk darf in der FAZ den Sozialstaat als »institutionalisierte Kleptokratie« bezeichnen, also die Millionen auf Hilfe Angewiesenen als »Diebe« beleidigen, unter deren »Herrschaft« die gute Gesellschaft leidet. Professor Heinsohn von der Universität Bremen erweist sich in FAZ und Welt als wahrer Eugeniker und Sozialrassist, indem er eine angeblich vom Sozialstaat geförderte »Massenkindhaltung« der Unterschicht anprangert, die der Staat nur begrenzen könne durch Minimierung der Kinderzuschüsse und deren völligen Entzug nach einigen Jahren wie in den USA. Unser transatlantisches Vorbild habe mit derartigen Streichungen unter der Clinton-Administration durchschlagenden Erfolg gehabt: »Eine bedauernswerte, weil hoffnungslose Jugend wächst schlicht nicht mehr heran. Ungeborene können niemandem einen Baseballschläger über den Kopf ziehen …« Die Angst vor den Ausgebeuteten und Ausgegrenzten beherrscht die Privilegierten dermaßen, daß sie sie kaum noch zügeln können. Die Aggressivität gegen Unterschichtkinder äußert sich immer bösartiger. Politiker wie der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Lindner schwadronieren eifrig mit. In der Sendung »Menschen bei Maischberger« konnte er neulich ungerügt verkünden: »Es gibt auch ein Lebensmodell, ein neues, das heißt ›alleinerziehend.‹ Da werden mit drei, vier Männern zwei drei Kinder gezeugt… Und dann gehen sie zum Amt in der Erwartung, daß dann die Sozialgemeinschaft dafür einspringt ...« Noch heißt es im Grundgesetz im ersten Artikel: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.« Aber warum sollten sich die Herrschenden, die vor allem darauf bedacht sind, ihre Herrschaft zu sichern, ausgerechnet von der Verfassung stören lassen? Was bedeuten ihnen die Lehren, die damals aus tausendjähriger Verbrechensgeschichte gezogen worden sind oder hätten gezogen werden sollen?
Erschienen in Ossietzky 23/2010 |
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