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Initiiert hat sie Karl Ernst Osthaus, Gründer des Folkwang-Museums, der aus Hagen kam. Hagen mit dem Ehrentitel »Waffenschmiede des Reiches«. Erster Weltkrieg, 1914, Jubel – bald gab es Tote. Viele Künstler hatten sich freiwillig gemeldet, so auch Kirchner (zur berittenen Artillerie). Sein Militärdienst in Halle dauert nicht lange, er zerbricht innerlich am Krieg, wird schon im Dezember 1915 als dienstuntauglich zurückgestellt. Er läßt sich in ein Sanatorium im Taunus einliefern. Zurück zum »Schmied von Hagen«. Es gab einen Wettbewerb, zu dem Kirchner 1915 drei Entwürfe einreichte. Sie wurden nie ihrer Bestimmung zugeführt. Ein Dortmunder Künstler hatte ihn in Größe und Pathetik übertrumpft. Um Kriegshinterbliebenen, die es schon früh gab, Geld zukommen zu lassen, wurde eine merkwürdige Idee verwirklicht: Gegen eine Geldspende konnten Menschen Nägel erwerben, die sie in eine überlebensgroße Figur einschlagen durften. Dafür gab es dann eine Plakette. Das Ergebnis sollte wie eine eiserne Rüstung erscheinen. Aber die Spendenwilligkeit erlahmte bald wie die Kriegsbegeisterung; und die Qualität der Nägel ließ auch zu wünschen übrig. Kirchner wußte wohl nichts Genaues über den Wettbewerb, dachte an die Aufstellung in einer Kirche. Das macht eine Zeichnung deutlich, die den Schmied im Kirchengewölbe zeigt. Doch eine der drei Skulpturen wurde ausgestellt: 1937 in der Münchner Schandausstellung »Entartete Kunst«. Gleich am Eingang stand sie zur Abschreckung, zusammen mit der Figur »Der neue Mensch« von Otto Freundlich (1943 in Majdanek umgebracht). 32 weitere Werke Kirchners wurden in jener Ausstellung gezeigt. 1938 kam die Schau nach Hamburg. Am 13.11.1938 höhnte das Hamburger Tageblatt über seine Holzplastik: »Das berüchtigte ›Paar‹ von E. L. Kirchner, für das die frühere Leitung des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe 1930 RM 3000 bezahlte«. Die frühere Leitung war Direktor Max Sauerland, der sich für Kirchner und andere moderne Künstler eingesetzt hatte und 1933 gehen mußte. Kirchner hat schon 1928 diffamierende Artikel in Hamburger Zeitungen lesen müssen. Über seine »ausgesprochen tote Kunst mit allen Anzeichen des Gestorbenseins«. Der Rezensent der Hamburger Nachrichten meinte, »den Geruch verwelkender Blumen auf Friedhöfen« wahrzunehmen. Das alles wirkte auf Kirchner ein, der immer wieder Sanatorien aufsuchen mußte, sich schließlich in Davos niederließ, um dort behandelt zu werden. Er lebte die meiste Zeit mit Erna Schilling zusammen, auch in Davos-Frauenkirch auf der Staffelalm. Viele Gemälde und Zeichnungen entstanden dort. Aus der Akademie war er ausgeschlossen, sechshundertneununddreißig seiner Werke waren beschlagnahmt – aber er lebte in der vermeintlich sicheren Schweiz. Diese Sicherheit schien ihm gefährdet, als Österreich sich im März 1938 dem Nazi-Reich anschloß. Seine Angst war so groß, daß er Holzskulpturen und die Druckstöcke der Holzschnitte zerstörte – möglicherweise auch Zeichnungen und Gemälde. Am 15. Juni erschießt er sich mit der Pistole, ins Herz. »Alle Anzeichen des Gestorbenseins« hatten die Hamburger Nachrichten zehn Jahre vorher seinem Werk bescheinigt. Die Hamburger Ausstellung zeigt Werke Kirchners aus der Frühzeit in Dresden und Berlin, Bilder von Fehmarn-Aufenthalten bis zu den Davoser glühenden Landschaften. Auch Hamburger Szenen sind dabei. Die »Fünf Kokotten auf der Straße«, die 1914 zu »Kriegswitwen« wurden – zeitbedingt. Viele großformatige Zeichnungen mit einheitlichem Blattmaß, meist Aktdarstellungen, gelten als Besonderheit. Der Katalog führt alle Werke Kirchners auf, die sich im Besitz der Kunsthalle befinden, und rekonstruiert den ehemaligen Bestand, der 1937 als »entartete Kunst« beschlagnahmt wurde. Mein Lieblingsbild: »Das Paar vor den Menschen«, 1924 entstanden und gut einen Meter mal 1,50 groß. Das Gemälde wurde Max Sauerland, dem Direktor, zu seinem 50. Geburtstag 1930 von seinen Mitarbeitern zum Geschenk gemacht. Er hatte schon vorher die Holzskulptur »Das Paar« (von 1924) für das Museum gekauft. Jenes Paar, über das die Hamburger Presse so diffamierend herzog – und das später als »entartet« beschlagnahmt wurde. Die beiden Nackten, das ganze Bild ausfüllend, gehen wie auf einem Laufsteg, umgeben unten und seitlich von hämisch grinsenden, gestikulierenden grünen Gestalten. Wie ein Spießrutenlauf. Eine Vorzeichnung ist noch drastischer. Wie konnte Kirchner wissen, was später geschehen würde? Nochmals zum »Schmied«: In Hamburg, im Altonaer Museum, befindet sich eine solche Nagelungsskulptur, der »Isern Hinnerk«. Doch dieses Museum soll, so entschied die kulturfeindliche Mafia, die zur Zeit als Senat Hamburg regiert, zum Jahresende geschlossen werden.
Erschienen in Ossietzky 22/2010 |
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