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Geschaffen ist es durch die Ab- und Ausgrenzung von linken und rechten politischen Kräften aus der Mitte eines halbkreisförmig vorgestellten politischen Spektrums. Dieses Konstrukt, diese politologische Spielerei wird zur Ideologie, wenn sich die imaginäre Mitte als demokratisch versteht und sich zugleich von den als undemokratisch angesehenen Extremen abgrenzt. Beides ist nämlich keineswegs immer der Fall: Linke und rechte »Extremisten« sind nicht immer und überall antidemokratisch, und die politische Mitte ist nicht immer oder gar per se demokratisch. In der Weimarer Republik war sie es nicht. Demokratisch waren zuletzt nur noch die Sozialdemokraten. Und die waren alles andere als »extremistisch«. Die Demokratie von Weimar ist auch nicht von irgendwelchen Extremisten von links und rechts, sondern aus der Mitte des politischen Spektrums und von oben zerstört worden. Dazu nur einige Stichworte und Merkpunkte: Schon 1930 war die Weimarer keine wirkliche Demokratie mehr. Abgeschafft war sie von dem Zentrumspolitiker Brüning, der das wichtigste Kennzeichen einer Demokratie – das Parlament – faktisch entmachtete, weil er mit Hilfe des Diktaturparagraphen 48 der Reichsverfassung regierte. Reichskanzler Brüning war es auch, der mit seiner Deflationspolitik die letzten sozialstaatlichen Reste der Weimarer Demokratie beseitigte. Die Sozialpartnerschaft war schon zwei Jahre zuvor, 1928, während des sogenannten Ruhreisenstreiks von der Industrie aufgekündigt worden. Brüning hat diese antidemokratische Politik nach eigenen Aussagen nicht deshalb betrieben, um die Demokratie gegen irgendwelche Extremisten zu verteidigen, sondern um sie durch eine autoritäre Staatsform zu ersetzen. Dabei dachte er ernsthaft an die Restauration der Hohenzollern-Monarchie. Brünings Nachfolger und Zentrumsparteifreund Franz von Papen wollte eine Präsidialdiktatur, und dessen Nachfolger Kurt von Schleicher, der als General keiner Partei angehörte, strebte nach einer Militärdiktatur. Aus alledem wurde bekanntlich nichts. Stattdessen kam es zu einer faschistischen Diktatur, die im Bündnis mit den konservativen Kräften und mit Zustimmung auch der Parteien der Mitte errichtet wurde. Papen wurde Vizekanzler, und seine Partei stimmte genau wie die noch verbliebenen anderen Parteien der Mitte, nämlich Deutsche Demokratische Partei und Deutsche Volkspartei, dem Ermächtigungsgesetz zu. Unter denen, die Hitler ermächtigten, befand sich auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss, der für die DDP im Reichstag saß. Die Extremismus-Ideologie ist seit den 1970er Jahren (vorher sprach man von »Radikalismus«) vom Verfassungsschutz dekretiert, verordnet und in weiten Teilen der politischen Gesellschaft durchgesetzt worden. Dabei halfen offizielle und inoffizielle Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die den Extremismusbegriff zunächst verdeckt und jetzt ganz offen in der universitären Forschung und Lehre sowie in der allgemeinen politischen Bildung verbreitet haben. Gemeint sind vor allem die ehemaligen – ob sie das immer noch sind, weiß ich nicht – inoffiziellen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Uwe Backes und Eckhard Jesse, die zäh und schließlich auch erfolgreich die Extremismusforschung aufgebaut und innerhalb von Forschung und Lehre etabliert haben. Jesse wurde dafür mit einer Professorenstelle in Chemnitz belohnt, Backes mit einer Mitarbeiterstelle am Dresdener »Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung«. Backes, Jesse und ihre Mitarbeiter in Chemnitz und Dresden arbeiten wiederum eng mit offiziellen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes zusammen. Dazu gehört oder gehörte – er hat inzwischen ebenfalls eine Professur erhalten – Armin Pfahl-Traughber. Und noch weitere Extremismusforscher stehen auf der Lohn- und Gehaltsliste des Verfassungsschutzes. Daraus wird auch kein Hehl gemacht. Der Verfassungsschutz hat sogar zugegeben, daß er seit den 1990er Jahren systematisch junge Wissenschaftler, vor allem Politologen und Pädagogen, gesucht und eingestellt hat. Ich gönne ihnen diesen Job, fühle mich aber peinlich berührt, wenn ich auf öffentlichen Veranstaltungen etwa zum Thema Rechtsextremismus mit diesen Mitarbeitern – oder soll ich sagen Agenten – des Verfassungsschutzes (sie nennen sich übrigens selber »Demokratielotsen«) auftreten muß. Der Verfassungsschutz hat damit in die eigentlich frei sein sollende universitäre und außeruniversitäre Forschung und Lehre eingegriffen und betätigt sich jetzt auch noch innerhalb der politischen Bildung. Damit überschreitet ein Organ der Exekutive seine Kompetenzen, die ihm durch Gesetze und Verfassung zuerkannt worden sind. Durch die Anwendung der Ideologie des Extremismus verletzt der Verfassungsschutz seine ihm durch Gesetz und Verfassung zuerkannte Kompetenz. Extremismus ist nämlich kein Rechtsbegriff. Er taucht weder im Grundgesetz noch in einem anderen Gesetz auf. Durch die bloße Bezeichnung und Beobachtung von Personen und Parteien als »extremistisch« durch den Verfassungsschutz werden diese in ihren Grundrechten verletzt, was für sie mit schwerwiegenden politischen, rechtlichen und nicht zuletzt auch beruflichen Nachteilen verbunden sein kann. Dadurch und generell durch die Verordnung der Ideologie des Extremismus wird die Demokratie nicht verteidigt, sondern gefährdet, weil damit von den wahren Gefahren abgelenkt wird. Dies gilt für die mögliche Zerstörung der Demokratie von oben und aus der Mitte. Und es gilt zweitens für die mögliche Gefährdung der Demokratie durch politische Ideologien und Bewegungen, die keineswegs nur an den Rändern des politischen Spektrums anzutreffen und nach ihrer Selbst- wie Fremdwahrnehmung nicht extremistisch sind. Gemeint sind Ideologien des Antisemitismus, Antiziganismus, Antiislamismus und Rassismus, die an vielen Stellen des politischen Spektrums auftreten, und politische Bewegungen, welche diese Ideologien vertreten, aber nicht als extremistisch bezeichnet werden sollten, weil sie faschistisch sind. Neuerdings werden sie oft »populistisch« genannt, aber der modisch gewordene Begriff »Populismus« wird im Unterschied zu dem des Faschismus völlig unzureichend, ja eigentlich überhaupt nicht definiert. Faschistische und noch mehr populistische Bewegungen waren und sind »weder links noch rechts« (Zeev Sternhell) und können sich durchaus an die demokratischen Spielregeln halten, stellen aber dennoch oder gerade deshalb eine eminente Gefahr für die Demokratie dar. Dies keineswegs nur bei uns, sondern auch, ja noch mehr in einigen unserer Nachbarländer. Diese wirkliche Gefahr wird jedoch kaum gesehen und noch weniger bekämpft. Am allerwenigsten vom Verfassungsschutz. Von Wolfgang Wippermann, der an der Freien Universität Berlin Geschichte lehrt, erschien 2009 »Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute«.
Erschienen in Ossietzky 22/2010 |
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