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Instabile Reformblase

Der Green New Deal verspricht die Lösung der Dreifachkrise. Doch mit den bisherigen Konzepten lässt sich keine sozial-ökologische Zukunft gestalten.

von Yvonne Ploetz und Stefan Kalmring

Das Programm eines Green New Deal schickt sich an, die fundamentalen Probleme unserer Zeit auf einmal zu lösen: Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die Umweltkrise, das Auseinanderdriften von Reich und Arm in den entwickelten Ländern, aber auch global, sowie die Krise der politischen Repräsentation. Letztere drückt sich in einem massiven Vertrauensverlust vieler Menschen in unser politisches System aus. Große Bevölkerungsteile glauben nicht mehr, dass Parteien, Gewerkschaften und Verbände ihre Probleme wirkungsvoll bearbeiten würden. Wahlabstinenz und eine relative Wirksamkeit rechtspopulistischer Kräfte sind die Folge.

Die Vertreter eines Green New Deal wollen eine ökologische Wende des Kapitalismus einläuten und hoffen durch gezielte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen die ökonomische Krise und das Armutsproblem gleich mit zu bewältigen. Erweist sich das etablierte Parteiensystem bei Erfolg des Modells eines Green New Deal als handlungsfähig, wird auch die galoppierende Politikverdrossenheit so mancher Bevölkerungsteile überwunden, so glaubt man. Für die Lösung der großen Gegenwartsfragen hält man dabei eine Konfrontation mit den dominierenden Eliten in Wirtschaft und Gesellschaft für vermeidbar. Wird der Hebel an der richtigen Stelle angesetzt, lassen sich auch widerstreitende Interessen einbinden und ausgleichen.

Dass der von der Regierung Franklin D. Roosevelt geprägte Begriff des New Deal von den Vertretern ökologischer Modernisierungsprogramme aufgegriffen wird, ist durchaus beabsichtigt, denn mit dem Begriff ist ein wohltuender Klang verbunden, an dem die Ökoreformer teilhaben wollen. Er steht bis heute für die Idee eines wirtschaftspolitischen Neuanfangs, der unter schwierigen Bedingungen erfolgreich gewagt wurde, nämlich in einer ökonomischen Jahrhundertkrise, und der darüber hinaus sozial verträglich ist. Mit dem sogenannten New Deal hatte die US-Regierung auf die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre reagiert. Sie versuchte, über riesige Investitionsprogramme und durch ordnungspolitische Eingriffe ins Marktgeschehen eine krisengebeutelte Ökonomie wieder in Gang bringen. Sozialstaatliche Programme wurden erlassen und stabile Lohnzuwächse wurden versprochen. Durch sie sollten einerseits die Arbeitnehmer am Wohlstand der Gesellschaft beteiligt werden, anderseits sollten sie eine stabile Binnennachfrage schaffen, die die Wirtschaft dauerhaft wiederum stabilisieren sollte.

Latent technokratischer Zug

Mit dem historischen New Deal weist das Programm eines Green New Deal jedoch nur partielle Schnittmengen auf. Den Glauben, dass Wachstum die entscheidenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen vermöge, teilt es mit dem alten New Deal - für ein ökologisches Umbauprogramm in überraschender Weise. Ging es beim historischen Konzept darum, Vollbeschäftigung durch ein beschleunigtes Wachstum aller Wirtschaftsbranchen zu erreichen, setzt der aktuelle Ansatz auf ein Wachstum sogenannter grüner Industrien, die Arbeitsplätze schaffen, die Gesamtwirtschaft ankurbeln und auf ein nachhaltiges Fundament stellen sollen. Der latent technokratische Zug traditioneller New Deal Konzepte wird dabei beibehalten.

Eliten in der Politik, in der Wissenschaft und der Wirtschaft ersinnen und implementieren öffentliche Investitionsprogramme, ordnungsrechtliche Ökostandards und legen im Rahmen des europäischen Emissionshandels die geeigneten Emissionsbudgets fest. Sie handeln dabei im Namen und im Sinne der Gesamtbevölkerung und auch im Namen künftiger Generationen. Es ist ein Projekt, das "von oben" angestoßen und umgesetzt werden soll. Eine aktive Beteiligung der Bevölkerung an dem anvisierten Umbau der Gesellschaft, die über einen ökologisch bewussteren Konsum hinausgehen würde, ist nicht eingeplant. Neue partizipativdemokratische Standards werden nicht gesetzt.

Setzte der alte New Deal auf eine Beschränkung des Freihandels, auf eine massive Umverteilung des Staates von oben nach unten und auf Staatseingriffe in das freie Marktspiel, um seine Ziele zu erreichen, so ist der neue New Deal mit den immer noch dominierenden wirtschaftsliberalen Politikmodellen gut vereinbar. Eine deutliche Anhebung der Löhne und eine Umverteilung von Vermögen und Einkommen zugunsten einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen stehen nicht im Zentrum des Ansatzes. Eine Kritik des Freihandelsliberalismus wird nicht betrieben. Im Gegenteil. Umwelttechnik und Umweltdienstleistungen gelten nicht nur als wichtige Felder des Wirtschaftswachstums und für neue Arbeitsplätze, sondern sie sollen auch die Rolle eines Standortvorteils im internationalen Wettbewerb spielen. Globalisierungskritisch wird die Standortkonkurrenz nicht hinterfragt. Wenn überhaupt thematisiert, sollen Technologie- und Finanztransfers die Entwicklungsproblematik lösen. Strukturen ökonomischer Abhängigkeit auf dem Weltmarkt, die die Länder des Südens systematisch benachteiligen, werden weder benannt, noch sollen sie aufgebrochen werden.

Wirtschaftspolitische Fragezeichen

Im klassisch ökonomisch liberalen Sinne gelten technische Innovationen als Motoren des Wachstums, so zum Beispiel auf dem Gebiet erneuerbarer Energien. Technologische Neuerungen sollen einen Rückgang des Ressourcenverbrauchs, von Umweltverschmutzungen und Emissionen bewirken, aber auch neue ökonomische Entwicklungschancen eröffnen. Ob oder in welchem Umfang sie das real können, ist diskussionswürdig. Vom alten Marx können wir in diesem Punkt so manche dialektische Spitzfindigkeit lernen. Neue Produktionstechnologien und Maschinen können expansiv wirken, aber, kontextabhängig, auch einen gegenteiligen Effekt haben. Dies ist nach Marx dann der Fall, wenn sie die wertschaffende Arbeit aus der Produktion zugunsten des Anteils sachlicher Produktionsmittel verdrängen. Sinkende Profitraten und Profitmassen sind längerfristig die Folge und diese ziehen ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit nach sich. Ob die durch den Green New Deal geförderten Umwelttechnologien diesen oder jenen Effekt aufweisen werden, wäre ernsthaft zu diskutieren. Da dies im Rahmen der Green New Deal-Programme nicht geschieht, ist der mit ihm verbundene wirtschaftspolitische Optimismus zumindest mit einem Fragezeichen zu versehen.

Wenn künftig ein Zerplatzen spekulativer Finanzblasen verhindert werden soll, müssten zunächst die tiefer liegenden Ursachen der Finanzkrise behoben werden. Die Green New Deal Programme sind in diesem Punkt merklich unbefriedigend. Die Banken müssten wieder in die Rolle eines bloßen Vermittlers zwischen Sparern und Investoren gesetzt werden. Wirksame Insolvenzregeln für Banken wären zu entwickeln und eine Finanztransaktionssteuer, eine sogenannte Tobin-Tax, müsste in den wichtigsten Wirtschaftsregionen der Welt erlassen werden. Insbesondere müsste aber die jetzt schon seit drei Jahrzehnten auszumachende strukturelle Verwertungskrise im realwirtschaftlichen Sektor behoben werden, denn diese veranlasst die Kapitale zu ihrem überschießenden Engagement auf den Finanzmärkten. Sind die Profite, die durch Investitionen in die industrielle Produktion und in Dienstleitungen zu erzielen sind, zu gering, liegen virtuelle Spekulationsgeschäfte nahe, die hohe Profitmargen versprechen. Mitunter werden per Mausklick Papiere aus dem Nichts kreiert und reine Wettgeschäfte auf Wechselkurse und Aktienentwicklungen abgeschlossen. Je riskanter diese Geschäfte sind, umso größer sind die potentiellen Gewinne. Ist diese Entwicklung irgendwann mit den realen Einkommensflüssen nicht mehr in Einklang zu bringen, zerstäuben die Blütenträume eines sich aus dem Nichts erschaffenden Reichtums wieder. Die Luft aus dem Finanzballon entweicht, Kreditketten reißen und Entlassungen und Betriebsschließungen in der Realökonomie folgen.

Frage der Machtverteilung nicht gestellt

Das große Schlagwort der Green New Deal Konzepte ist die ökologische Modernisierung. Fragen der Machtverteilung in der Gesellschaft werden nicht gestellt. Man will in Gebäudedämmung, Energieeffizienz und regenerative Energien investieren. Fernwärmeleitungen und Speichertechniken sollen gefördert werden. Das Schienennetz und ÖPNV sollen gegenüber dem Individualverkehr gestärkt werden. Dies ist alles richtig und angesichts der drängenden Umweltprobleme mehr als vordringlich. Was nicht gemacht wird, ist, die Frage zu stellen, wer denn in einer gerechten Gesellschaft über den Einsatz von Ressourcen entscheiden soll und wer bestimmt, welche Arbeiten und Produkte gesellschaftlich wichtig sind und welche nicht.

Eine Demokratisierung der Gesellschaft, auch der Ökonomie, steht nicht auf der Agenda des Green New Deal. Lebensqualität, Glück und Zufriedenheit als gesellschaftliche Ziele jenseits eines Drei-Liter-Autos oder eines Hybridfahrzeugs werden sowenig erörtert, wie Möglichkeiten neuer kooperativer Arbeitsformen oder die vermehrte Schaffung frei verfügbarer Zeit. Für ein Programm, das immerhin einen grundlegenden Umbau unserer Gesellschaft anstrebt, bleiben die emanzipativen Fragestellungen eines solchen Umbaus in beachtenswerter Weise unterbelichtet. Es wäre denkbar, Hilfen, die im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise anfallen, an maßgebliche Beteiligungsrechte der Belegschaften zu knüpfen und krisengeschüttelte Firmen den Belegschaften zu übergeben und mit diesen zusammen zu restrukturieren. Solidarökonomische Wirtschaftsformen, Initiativen zur ökonomischen Selbsthilfe, Selbstverwaltungsprojekte und Projekte der Gemeinwirtschaft könnten effektiv gefördert werden, so dass ein starker Dritter Sektor entsteht, der sich als Alternative zur Marktökonomie und dem Staatssektor begreift. Gefördert und in einem gesellschaftsverändernden Projekt zusammengefasst könnte die solidarökonomische Bewegung echte Perspektiven ausbilden, die über das gegenwärtige Marktmodell hinausweisen. Demokratische Sozialisierungsmöglichkeiten scheinen bereits jetzt in der Alternativökonomie sichtbar auf und müssen weiter entwickelt werden.

Kritik der Wachstumslogik

Die Problematik des Green New Deal zeigt sich auch darin, dass eine ökologische Kritik der entfesselten Wachstumslogik unserer Gesellschaft vollends fehlt. Umweltexperten sind sich weitgehend darüber einig, dass ungefähr eine 90-prozentige Verringerung der Energie- und Stoffumsätze in den Industrieländern in den nächsten 50 Jahren erreicht werden müsste, wenn das ökoklogische Gleichgewicht erhalten werden und Fragen der Nord-Südgerechtigkeit im Ressourcenverbracht auf die Tagesordnung gesetzt werden sollen. Wie dies mit einem reinen ökologischen Modernisierungsprogramm ohne Verzicht auf die vorherrschende Fixierung auf ein quantitatives Wachstum erreicht werden kann, bleibt offen.

Eine ökologische Wachstumskritik hätte natürlich eine kritische Beurteilung zentraler Funktionsweisen des ökonomischen Fundaments unserer Gesellschaft zur Folge. Denn diese ist nun mal auf Wachstum geeicht. Allzu kritische Einschätzungen bezüglich der Funktionsmechanismen bürgerlicher Ökonomien werden scheinbar generell von des Verfechtern des Green New Deal nicht gewollt. Denn eine solche würde unweigerlich auch die Frage nach alternativen Lebens-, Arbeits- und Vergesellschaftungsformen wieder ins Blickfeld rücken. Sie würde auch auf die Rolle gesellschaftskritischer Basisbewegungen als Träger notwendiger Veränderungen verweisen, also auch auf solche Akteure, die jenseits des offiziellen Politikbetriebs verortet sind. Sie würde zu guter letzt auf die Notwendigkeit eines Konflikts mit jenen machtvollen Kräften in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hindeuten, die die Vertreter des Green New Deal nun mal einzubinden versuchen.

Ein zukunftsfähiges linkes Projekt ist aus den bisherigen Varianten des Green New Deal nicht zu gewinnen. Es scheint notwendig, dem marktliberal halbierten und autoritär-ökologischen Modellen des Green New Deal etwas anderes entgegenzusetzen: Eine gesamtgesellschaftliche Vision einer ökologischen Reproduktionsökonomie, die dem Leitbild einer partizipativen Demokratie und einer selbstverwalteten Wirtschaftsordnung verpflichtet ist. Die Idee einer ökologischen Produzentendemokratie wäre neu zu entwickeln und den aktuellen Gegebenheiten anzupassen.

Yvonne Ploetz ist Bundestagsabgeordnete der Linken. Die Saarländerin hat Politikwissenschaft, Kunstgeschichte und Soziologie studiert und ist für Oskar Lafontaine ins Parlament nachgerückt. Stefan Kalmring ist Wirtschaftsexperte, Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Ploetz.
Der Beitrag erschien zuerst in der Wochenzeitung Der Freitag vom vom 11. August 2010.

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sopos 10/2010