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Es könnte dir beim Griff ins Kühlregal statt einer Portion Schinken etwas in die Hand geraten, das nach Schinken aussieht und auf der Verpackung auch »Schinken« genannt wird, aber nicht wie wirklicher Schinken aus dem Hinterteil eines armen Schweins herausgeschnittenes Fleisch ist, sondern ein täuschend ähnliches Produkt aus kleinen Fleischfetzen und Schlachtabfällen, die mittels eines Schweineblut-Enzyms zusammengeklebt wurden. Der Hersteller mußte das Imitat nicht kenntlich machen. Es war ganz legaler Betrug. Inzwischen wurden einige Klebemittel zwar aus dem Verkehr gezogen. Schinkenimitate sind trotzdem noch auf dem Markt – Wenn du Bratenfleisch im Gefrierfach siehst, muß es nicht unbedingt Braten sein, auch wenn es ihm optisch gleicht. Es kann sich ebenfalls um Klebefleisch handeln. Zu Hause legst du es in die Pfanne, würzt und brutzelst es appetitlich zurecht und ahnst nicht, welchen Dreck du dir einfüllst. Verbraucherschutzorganisationen verlangen, imitierte Fleisch- und Wurstwaren gesetzlich zu verbieten. Sie haben ihre Gründe. Ob ein Nahrungsmittel unserer Gesundheit schaden wird, läßt sich beim Einkauf schwer feststellen. Wir ahnen nicht, was wir einkaufen, zum Beispiel Käse, der nur zu einem geringen Teil ein Milchprodukt ist, sondern vorwiegend aus Fett- und Pflanzenresten sowie Bakterien-Eiweißen zusammengemanscht wurde (Analogkäse, hauptsächlich auf Pizzen); Heringssalat, der zu 80 Prozent aus Rindfleischresten besteht; Brot, das nicht gebacken, sondern dessen Teig lediglich durch Chemiebäder gezogen wurde; »Apfelsaft« aus gezuckerter Zitronensäure; Leberwurst, in der alles drin ist, nur keine Leber. Das EU-Parlament verbot kürzlich die Verwendung des Eiweißes Thrombin zur Wurstherstellung. Bist du nun sicher, thrombinfreie Wurst zu bekommen? Dann gratuliere ich zu deinem offenbar grenzenlosen Vertrauen in unsere Lebensmittel-Überwachung – die aber viele billige Tricks der Produzenten und -händler, selbst wenn sie ihr nicht nur bei Stichproben, sondern immer wieder auffallen, dennoch dulden muß, weil alles als legal gilt, was nicht verboten ist. Alterndes Fleisch wird bekanntlich grau, schleimig, muffelig. Das läßt sich ganz legal vermeiden, wenn man es unter komprimierten Gasgemischen aus Sauerstoff oder Stickstoff verpackt. Dann behält es die rosarote Frischfleisch-Farbe. Innen gammelt es umso schneller, es wird ranzig. Der Handel nennt diese Praxis täuschend »in Schutzatmosphäre verpackt«. Auch Vakuumverpackungen konservieren »Frischfleisch«, obwohl es nichts Frisches mehr an sich hat. Für Produzenten und Händler rechnet sich das Frische-Doping: Die billige Manipulation macht das Produkt länger und leichter verkäuflich. Das staatliche Max-Rubner-Institut berichtet allerdings von Gesundheitsgefahren: Im mittels Sauerstoff geschönten Fleisch bilden sich vermehrt Cholesterol-Oxide, die möglicherweise am Entstehen von Arteriosklerose und Krebs mitwirken. Als Kunde bist du nicht König, sondern der Depp. Du wirst über die mindere Qualität der Ware getäuscht, bezahlst ungerechtfertige Preise und hast gesundheitliche Risiken zu tragen. Auf den Fleischverpackungen muß nicht das Schlachtdatum angegeben werden, sondern nur ein Zeitlimit für den Verzehr. Legalisierte Irreführung: Der Handel muß sich an die Vorgaben der »Lebensmittelbuch-Kommission« halten. Dieser »Ilse-Aigner-Geheimklub« aus vom Verbraucherministerium ernannten Mitgliedern definiert die »Verkehrsauffassung« von einem Lebensmittel und verfügt, wie es Hersteller und Handel zu deklarieren haben. Registriert die unter Ausschluß der Öffentlichkeit tagende Kommission zum Beispiel Klebeschinken als »Schinken«, dann darf das Zeug so zum Kauf angeboten werden. Die Verbraucherorganisation foodwatch hat wegen der amtlichen Heimlichtuerei vor der Berliner Verwaltungsgerichtsbarkeit Klage gegen die Bundesregierung erhoben. Derzeit wird in zweiter Instanz verhandelt. Wie immer der Prozeß ausgeht, die Panscherei und die alchemistischen Verunreinigungen unserer Nahrungsmittel zugunsten des Profits wird er nicht beenden. Falls dich die beschriebenen Risiken nicht bewegen, deinen Fleischkonsum zu überdenken, dann vielleicht die Nebenwirkungen. Fleischproduktion ist der schlimmste Ressourcenverschwender. Für ein Kilo Rindfleisch werden sieben Kilo Getreide verbraucht. Fleischverzehr und Welthunger hängen unmittelbar zusammen. Ernst Ulrich von Weizsäcker, vormals Bundestagsabgeordneter, heute Co-Vorsitzender der UN-Kommission für nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung (UNEP), beschrieb kürzlich die Konsequenz: »... unter der Prämisse, daß die Weltbevölkerung bis 2050 um 50 Prozent zunimmt, eine radikale Änderung der Ernährungsgewohnheiten – weg von tierischen Produkten.« Auf freiwilligen Verzicht ist allerdings nicht zu hoffen. Änderungen sind nur per Gesetz und Rationierung erreichbar. Ministerin Aigner sorgte dafür, daß sie nicht erreicht werden. Derzeit wäre auch kein einziger Abgeordneter für die notwendigen Änderungen zu gewinnen. Sie alle wenden Otto von Bismarcks Erkenntnis an: »Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie!« Falls du meinst, auf Fleisch nicht verzichten zu können, bis 2050 sei es außerdem noch lange hin, so schau dich im Reformhaus um. Es führt ausgezeichnete Ersatzprodukte für Fleisch- und Wurstwaren. Sie schmecken vorzüglich, sind unzweifelhaft gesünder und bestehen nur aus pflanzlichem Material. Leider sind sie vergleichsweise teuer. Aber das würde sich ändern, wenn der Absatz stiege. Günstiger bieten bereits manche Supermärkte Sojaprodukte als Fleischersatz an. Wenn es eines Tages ohnehin ein Ende haben muß mit der Fleischfresserei: Warum dann nicht gleich? Zuvor hat Volker Bräutigam in Ossietzky über »Fieses aus der Fischereiwirtschaft« (Heft 4/10), »Fieses aus der Milchwirtschaft« (10/10) und »Fieses vom Geflügelhof« (11/10) berichtet. Leider fehlt es nicht an Stoff für weitere Folgen dieser Serie.
Erschienen in Ossietzky 20/2010 |
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