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Die Verwirklichung von Großmachtträumen auch nach dem verlorenen Krieg wurde begünstigt durch Angehörige der NS-Verwaltung, die beim Aufbau der Bundesrepublik wieder führende Positionen einnahmen, so auch beim Aufbau der Bundeswehr. Der militärische Berater Adenauers, der Nazi-General Hans Speidel, forderte 1948 in einem Memorandum für die beabsichtigte Wiederbewaffnung die gleichen Waffen wie die Alliierten. Bereits 1946 wurde im Max-Planck-Institut in Göttingen unter der Leitung von Werner Heisenberg und der Mitarbeit von Max von Laue die Atomforschung fortgesetzt; beide hatten maßgeblich am Atomwaffenprojekt der Nazis mitgearbeitet. 1955 wurde die Bundesrepublik Deutschland souverän und diese Forschung offiziell zugelassen. Von Laue schlug ein neues Berliner Atomzentrum vor, das 1955/1956 eigens für Atomfragen eingerichtete Ministerium setzte den Vorschlag sofort um. Als den Göttinger Wissenschaftlern klar wurde, daß ihre Forschung wieder militärisch nutzbar war, unterzeichneten sie am 12.4.1957 das Göttinger Manifest. Wegen des gefährdeten Weltfriedens forderten sie von der Regierung, auf Atomwaffen zu verzichten. Doch die Weichen waren schon gestellt: der erste Mann im Atomministerium, Franz Josef Strauß, war gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Aus dem Ministerium für Atomfragen ging später das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) – heute Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – hervor, das diese Technologie bis heute favorisiert. Auf einer Schwarzen Liste der CIA mit den Institutionen, an die wegen Atomrüstungsverdachts ohne Sondergenehmigung keine High Tech geliefert werden sollte, standen neben Wirtschaftsunternehmen das BMFT und Kernforschungszentren (taz, 16. 10. 1987). Fast zeitgleich mit der Gründung des Atomministeriums konstituierte sich am 26.1.1956 unter dem Vorsitz von Strauß die Deutsche Atomkommission. Ihre Aufgabe lag in der Koordination der Interessen von Staat und Wirtschaft. Zu den Vertretern der Wirtschaft gehörten der Bankier Hermann Josef Abs und die ehemaligen Wehrwirtschaftsführer Hans Constantin Boden und Carl Knott. 1957 verfaßte diese Kommission eine Denkschrift für den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage (WAA) zur Abtrennung von Plutonium. Zu diesem Zeitpunkt war Plutonium nur als Bombenbrennstoff bekannt. Die Deutsche Atomkommission bestand bis 1971. Aus ihr ging die Strahlenschutzkommission hervor. Am 25.5.1957 wurde der Grundstein für das Berliner Atomforschungszentrum gelegt, eines der fünf nuklearen Großforschungszentren der Bundesrepublik. Am 14.3.1959 wurde es als Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung (HMI) – heute Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie – eingeweiht. Satzungsgemäß darf am Berliner Reaktor nur zu friedlichen Zwecken geforscht werden. Was von dem Anspruch zu halten ist, veranschaulichen dort tätige Wissenschaftler gern am Beispiel des Brotmessers, mit dem ja auch Menschen entleibt werden können. Im Übrigen betonen sie den zivilen Charakter der Forschung; zum Beispiel könne man mit Hilfe der Atomtechnik das Alter von Saurier-Knochen bestimmen. Im März 1958 sprach sich der Deutsche Bundestag mit der absoluten Mehrheit der CDU/CSU für die atomare Bewaffnung der Bundeswehr aus. Der Widerstand der Alliierten verhinderte die Umsetzung dieses bis heute nicht revidierten Beschlusses. Nach einigen Jahren »wertfreier Grundlagenforschung« konnte sich das HMI zusammen mit den anderen Atomforschungszentren der anwendungsorientierten Forschung widmen und Zuarbeit für eine südafrikanische Atombombe leisten. In Zusammenarbeit mit dem Rüstungskonzern Messerschmidt-Bölkow-Blohm entwickelte das HMI eine extrem strahlenresistente Mikroelektronik. Sie dient der Überlebensfähigkeit moderner Waffensysteme in einem Atomkrieg. Verschiedene Abteilungen des Fraunhofer-Instituts führten zwischen 1975 und 1982 im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums Forschungsarbeiten zu Aufbau, Funktionsweise, Wirkungsgrad und Optimierung von Atomwaffen durch. Eine Spitzenstellung nimmt das Kernforschungszentrum Karlsruhe ein: »Die Karlsruher arbeiten an neuen Verfahren, die zur Verbesserung der Atombombenherstellung geeignet sind: die schnelle und einfache Produktion von Waffen-Uran (»Trenndüsenverfahren«) und Waffen-Plutonium (»Laseranreicherung«), sowie die hoch subventionierte Fusionsforschung mit ihren Querverbindungen zur H-Bombe ...« (so die Forschungsgruppe Atomwaffenentwicklung Stuttgart, März 1988). Militärische Interessen stecken auch hinter der Kernfusionstechnologie. Förderung und Subventionierung der Fusionstechnologie sind neben der Aufrüstung im Vertrag von Lissabon für alle 27 Mitgliedstaaten zwingend vorgeschrieben. Angeblich um Industriegeheimnisse zu schützen, hat sich die BRD lange gegen den Atomwaffensperrvertrag von 1968 gesperrt. Erst nach Abschwächung der ursprünglich scharfen Kontrollbestimmungen, nach Einfügen einer dreimonatigen Kündigungsfrist und nach der Zusicherung, daß der Vertrag nicht für den Ernstfall gilt, wurde er 1974 ratifiziert. Für den Ernstfall werden die Trägerwaffensysteme der Bundeswehr so ausgerüstet, daß mit ihnen nukleare Sprengsätze abgeschossen werden können. Zum Trainingsprogramm der Luftwaffe gehört der Atombombenabwurf. 1993 beschloß der Bundestag einstimmig, auf hoch angereichertes, waffentaugliches Uran (Highly Enriched Uran, abgekürzt HEU) in Forschungsreaktoren zu verzichten. Trotzdem wird seit 2004 der von der bayerischen Landesregierung und dem BMBF geförderte Münchener Atomreaktor mit HEU betrieben, sein Jahresbedarf an HEU beträgt 40 Kilogramm. Für den Bau einer Atombombe des Typs Hiroshima reichen 20 Kilogramm HEU. – In Büchel lagern noch 10 bis 20 US-Atombomben. Im Rahmen der »Nuklearen Teilhabe« werden 46 Tornados vorgehalten. Wie viele Flugzeuge braucht man für eine Atombombe? Der Iran, ein Land, das wie kein anderes von der Internationalen Atomenergie-Organisation kontrolliert wird, das den Atomwaffensperrvertrag einhält und Uran nur niedrig anreichert, wird hingegen mit immer stärkeren Sanktionen bis hin zu Kriegsdrohungen überzogen. Als Begründung dient die Behauptung, der Iran arbeite an einem Atomwaffenprogramm. Die Bertelsmann-Stiftung sagt das baldige Ende der globalen US-Dominanz voraus. Die entstehende Machtlücke sei von der EU zu füllen, dazu bedürfe es einer dramatischen Aufrüstung. »In der EU selbst müssen wir einer gemeinsamen europäischen Armee näher kommen«, so Kanzlerin Angela Merkel in der Zeitschrift für Innere Führung. Die auf der Grundlage des Lissabonner Vertrags gebildeten EU-battle-groups sind ein Anfang. Ein EU-Militärkomplex perspektivisch gedacht: Deutschland könnte dann neben Frankreich und England eigene Atombomben beisteuern. Mit der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke wird eine nukleartechnische Infrastruktur bewahrt und gepflegt, die militärisch genutzt werden kann.
Erschienen in Ossietzky 20/2010 |
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