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Das geplante Sparpaket hielt der DIW-Pressesprecher Jan Goebel vor dem Hintergrund der beobachteten Entwicklung für zu einseitig: »Die bisher gemachten Vorschläge betreffen nur die unteren Einkommen. Der Anteil der Reichen aber steigt stetig, und die Reichen verdienen auch immer besser. Da stellt sich schon die Frage, ob diese Gruppe nicht auch einen Sparbeitrag leisten sollte.« Das DIW warnt schon seit Jahren vor einer schrumpfenden und erodierenden Mitte (vgl. Ossietzky 13/08). Laut DIW-Definition zählt zur Mittelschicht, wer im Bezugsjahr 2005 als Single zwischen 861 und 1.844 Euro netto monatlich verdiente. Für einen Vier-Personen-Haushalt (zwei Erwachsene, zwei Kinder) reicht die Spanne von 1.377 bis 2.951 Euro. Wer mit weniger auskommen muß, hat ein »Niedrigeinkommen« und wird umgangssprachlich als »arm« bezeichnet. Wer mehr hat, darf sich über ein »hohes Einkommen« freuen und gilt dann wohl als »reich«. Nach »oben« kennt das DIW keine weiteren Differenzierungen. Einkommensmillionäre werden von höheren Angestellten nicht unterschieden. 2010 dürfen sich nur 60 Prozent hierzulande zur Mittelschicht zählen, vor zehn Jahren waren es noch mehr als 64 Prozent. Beunruhigend für Mittelschichtler ist es, daß es kaum jemandem von ihnen gelang, in die Oberschicht aufzusteigen, fast alle, die aus der Mitte verschwanden, mußten in die Unterschicht absteigen. Der DIW-Experte Martin Gorning fand diese Entwicklung besorg- niserregend, er sagte: »Eine starke Mittelschicht ist aber wichtig für den Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität. Mittlere Schichten begründen ihren Status nicht auf Vermögen, sondern auf Einkommen … Eine Entwicklung wie die hier beobachtete kann unter Umständen Verunsicherungen auslösen.« Problematisch sei das vor allem dann, »wenn andere Bevölkerungsgruppen für den drohenden Statusverlust verantwortlich gemacht werden«. Das ist noch ziemlich vorsichtig ausgedrückt. Denn die Hoffnung vieler Mittelschichtler, daß es ihnen oder zumindest ihren Kindern einmal besser gehen werde, ist weithin zunichte geworden. Sie verlieren den Glauben an das politisch-ökonomische System, gehen nicht mehr zur Wahl oder reagieren rassistisch und protofaschistisch. Schuld an ihrer Misere sind dann die angeblich faulen Sozialhilfe- und »Hartz-IV«-Empfänger und insbesondere die »viel zu vielen«, auch noch »integrationsunwilligen« Ausländer, die »unseren Staat« in die Verschuldung treiben und »uns, die hart Arbeitenden,« arm machen; denn die Mittelschichtler glauben zu wissen, daß sie wegen der Ausländer mit immer höheren Steuern belastet werden. Und so weiter und so fort – der Rattenfänger Sarrazin hat nicht nur Buchkonjunktur. Nach Meinung der DIW-Experten könnten noch in weiteren Bereichen Probleme auftauchen, etwa bei der Stadtentwicklung: »Mit einer steigenden Anzahl von Ärmeren wächst auch die Gefahr des Entstehens von Armenvierteln.« Auch hier formulierte das DIW noch sehr zurückhaltend, denn von der Oberschicht und auch von der oberen Mittelschicht möglichst gemiedene Armenghettos gibt es längst am Rande vieler Großstädte oder in ganzen Stadtteilen wie in Berlin-Neukölln oder Hamburg-Wilhelmsburg. Im Gegenzug werden auch bei uns wie schon lange in den USA »Gated Communities« errichtet, wo die Oberen unter sich bleiben und von Wachmännern beschützt werden. So verdienstvoll die Warnrufe des DIW auch sind, sie werden bei den Verantwortlichen aus Regierung, Konzern- und Finanzwirtschaft kaum Gehör finden. Und die Einkommensverlierer aus der sogenannten Mittelschicht werden wohl nur Argumente für ihre eigenen Befindlichkeiten herauslesen und sich in ihren Vorurteilen bestätigt sehen. Das liegt auch daran, daß in den Sozialwissenschaften die etablierten Forscher mit einem unzureichenden, weil die Gegensätze verschleierndem Schichtenmodell hantieren, anstatt eine exakte Klassenanalyse entsprechend den gesellschaftlichen Veränderungen zu entwickeln. Wenn das DIW feststellt, daß mittlere Schichten nicht aus Vermögen, sondern aus laufenden Einkommen ihren Status begründeten, dann wird deutlich, daß das Institut vorwiegend an EmpfängerInnen einigermaßen gesicherter Löhne oder Gehälter und davon abgeleiteter Renten denkt. Der früher übliche Klassenbegriff würde die Möglichkeit eröffnen, von einer überwiegenden Arbeiterklasse in unserer Gesellschaft auszugehen und diese von der Kapitalistenklasse abzugrenzen, die durch Abschöpfung von Mehrwert nicht nur ihren Konsum, sondern auch ihre weiteren Kapitalanhäufungen finanziert. Das Ausbeutungsverhältnis, das im Kapitalsystem begründet ist und alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt, wäre schneller durchschaubar. Und Gewerkschaftsvertreter würden vielleicht eher verstehen, daß sie als Vertreter der Arbeiterklasse ihren Job zu machen haben.
Erschienen in Ossietzky 20/2010 |
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