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Er verschweigt, daß der nach oben offene Schwimmbadreaktor gegen unverhoffte innere und äußere Schadensereignisse und erst recht gegen Gefährdung durch terroristische Anschläge ungeschützt in einer einfachen 40 Jahre alten Werkhalle untergebracht ist; ihr Dach ist lediglich für Schneelasten ausgelegt. Eine Reaktorkatastrophe hätte bei ungünstiger Wetterlage zur Folge, daß eine 20 Kilometer breite Zone evakuiert werden muß. Das ist das Ergebnis einer im Auftrag der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz durchgeführten Studie des Öko-Instituts Darmstadt von Mai 1990. Die Bundesrepublik würde also mit einem Schlag ihr Regierungszentrum verlieren. Große Teile Berlins und Potsdams könnten für Jahrzehnte unbewohnbar bleiben. Der Reaktor entspricht nicht den geltenden Sicherheitsvorschriften, aber die Betriebsgenehmigung ist unbefristet. Nicht nur das Fehlen eines Schutzmantels (Containment) beunruhigt. Eine weitere Schwachstelle ist die Kalte Neutronenquelle (KNQ). Sie enthält auf minus 250 Grad gekühlten Wasserstoff und dient der Verlangsamung der Reaktorneutronen zum Zweck der Untersuchung und Entwicklung neuer Materialien. Wasserstoff bildet mit Sauerstoff leicht das hochexplosive Knallgas, das insofern gefährlich werden kann, als sich die KNQ in unmittelbarer Nähe zum Reaktorkern befindet und es keine Materialien gibt, die auf Dauer der Neutronenstrahlung standhalten. Die Firma Siemens, deren Tochterunternehmen Interatom den Berliner Forschungsreaktor errichtet hat, behauptete wider besseres Wissen bis 1995, zutage getretene Materialfehler seien nicht strahlungsbedingt. Doch schon 1967 hatte Siemens in einem internen Grundsatzpapier beschrieben, wie schnell und unversehens Stähle durch Neutronenbestrahlung verspröden und wie dann Risse und Brüche entstehen können. Und das ist nur einer der Gründe zur Sorge um die gemäß §7 des Atomgesetzes erforderliche Zuverlässigkeit dieser Atomanlage. Nicht zuletzt wegen des hohen Risikopotentials der KNQ ist der vergleichbare Forschungsreaktor in Garching bei München mit einem Containment umbaut worden. Hinter der Bezeichnung »Forschungsreaktor« verbirgt sich mit zehn Megawatt zwar nur ein Hundertstel der Leistung des Unfallreaktors von Tschernobyl; aber man sollte die Strahlungsgefahren nicht unterschätzen. Das besonders gefährliche Tritium wird in weit größeren Mengen freigesetzt als in den meisten deutschen Atomkraftwerken. Selbst das wegen hoher Leukämiehäufigkeit in die Schlagzeilen gekommene Atomkraftwerk Krümmel leitet nach den Jahresberichten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit der Abluft weniger Tritium ab als der Berliner Forschungsreaktor. Laut der im Dezember 2007 veröffentlichten, vom Bundesamt für Strahlenschutz in Auftrag gegebenen Kinderkrebsstudie (KiKK) erhöht sich die Krebsrate bei Kindern unter fünf Jahren, die im Umkreis von fünf Kilometern eines Atomkraftwerks leben, um 60 Prozent, das Leukämierisiko sogar um 120 Prozent. Nach Ansicht der Internationalen Ärzte gegen Atomkrieg (IPPNW) ist diese Studie die weltweit aufwendigste und exakteste zu diesem Thema. Da die Emissionen der untersuchten Kernanlagen deutlich unter den bisher geltenden Grenzwerten lagen, ist laut Strahlentelex vom 2.10.2008 jetzt erwiesen, daß die für zulässig erachtete Strahlendosis »generell falsch errechnet« ist. Zu diesem Ergebnis kam bereits die aus Anlaß der Reaktorerweiterung im Mai 1997 erstellte Expertise der Bremer Wissenschaftler Heike Schröder und Heiko Ziggel. Sie belegt, daß überall auf der Welt, wo Untersuchungen in der Umgebung von Atomanlagen durchgeführt worden sind, vermehrt Leukämieerkrankungen festgestellt wurden, vor allem bei Kindern. Professionelle Öffentlichkeitsarbeit sorgt dafür, daß die auch im Normalbetrieb abgegebene Radioaktivität der Bevölkerung unbekannt bleibt. Das Helmholtz-Zentrum verbreitet die Mär, beim Betrieb entstehende radioaktive Stoffe blieben in jeder Betriebsphase durch eine Vielzahl von Vorsorgemaßnahmen sicher eingeschlossen. Selbst der Informationskreis Kernenergie, eine PR-Agentur der Stromkonzerne, gab in einer Werbebroschüre zu, man könne nicht gewährleisten, daß alle Hüllen der Brennelemente hundertprozentig dicht sind (»… können vereinzelte Undichtigkeiten nicht ausgeschlossen werden«). Beim Betrieb des Reaktors entstehen in den Brennelementen jährlich 200 Gramm des hochgiftigen Plutoniums. Einmal eingeatmet, reicht die Menge von einem Millionstel Gramm aus, tödlichen Lungenkrebs zu erzeugen. Warum sind eigentlich Forschungsreaktoren bei der Kinderkrebsstudie ausgeklammert worden? Ein weiteres Problem ist die ungelöste Entsorgungsfrage. Nach § 9a Atomgesetz sind radioaktive Abfälle schadlos zu verwerten oder geordnet zu beseitigen. Die Nichterfüllung dieser Vorschrift (weltweit gibt es nach wie vor kein geeignetes Endlager) führte Ende 1990 zur Versagung der Betriebsgenehmigung durch die von der Alternativen Liste gestellte Senatorin Michaele Schreyer. Deren Amtsnachfolger Norbert Meisner (SPD) hob die Entscheidung mit der Begründung auf, ein Mitarbeiter der Genehmigungsbehörde sei befangen gewesen. Die Frage stellt sich, warum die Regierenden an einer nicht beherrschbaren Technik der Energieerzeugung festhalten – gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bevölkerung, gegen wirtschaftliche Vernunft (denn die Atomindustrie mit wenigen Arbeitsplätzen ist mit einer Förderung von bisher 164 Milliarden Euro um ein Vielfaches höher subventioniert worden als alternative Energien mit vielen Arbeitsplätzen). Berücksichtigt man, daß der Schaden eines atomaren Unfalls für die Betreiber willkürlich auf eine »versicherbare Geldmenge« begrenzt und der immense Rest des Risikos auf die Steuerzahler abgewälzt wird, liegt nahe, daß hierbei auch ein anderes Interesse verfolgt wird, ein militärisches. Mit dem zielgerichteten Aufbau von Forschungs-, Atomkraft- und Urananreicherungsanlagen ist es der BRD möglich, innerhalb weniger Monate atomar aufzurüsten.
Erschienen in Ossietzky 19/2010 |
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