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Zum einen handelte es sich, wie das euphemistische Wort »Luftschlag« suggerieren mag, nämlich keineswegs um einen harmlosen Klaps auf den Hosenboden widerborstiger afghanischer Halbstarker, sondern um einen mörderischen, weil »heimtückisch, grausam und mit gemeingefährlichen Mitteln« geführten Angriff aus der Luft. Und zum anderen hatte sich diese Republik bereits in dem Moment schuldig gemacht, als der erste Soldat des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr seinen Stiefel im Rahmen der »Operation Enduring Freedom«, jenes völkerrechtswidrigen Kreuzzugs gegen den Terror, den George W. Bush unmittelbar nach 9/11 proklamiert hatte, auf afghanischen Boden gesetzt hatte. Aber auch die Legitimität der anderen Mission am Hindukusch, nämlich jener vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten und damit zumindest formal völkerrechtskonformen »International Security Assistance Force«, kurz ISAF, ist längst schon brüchig. Denn als im März 2007 die Bundesregierung Tornado-Waffensysteme der Luftwaffe nach Mazar-i-Sharif entsandte und der deutsche Bundestag dem zustimmte, war klar, daß die deutschen Streitkräfte in Afghanistan in einen formidablen Krieg verwickelt waren. Ich selbst hatte mich daraufhin geweigert, dienstlichen Befehlen zur logistischen Unterstützung dieses Einsatzes Folge zu leisten (siehe Ossietzky Nr. 21/2008). Eines freilich illustrierte jene nächtliche Feuerhölle am Kundus-Fluß, in der nach letzten Recherchen 91 Menschen zerfetzt und verstümmelt wurden, verbrannten und krepierten: Die Deutschen hatten das Töten wieder gelernt, und zwar gründlich. Angesichts des Geschehenen herrscht in der Öffentlichkeit hierzulande bis heute Entsetzen und Empörung, insbesondere bei denen, die die bitteren Lektionen aus der verheerenden Geschichte des preußisch-deutschen Militarismus gelernt und nicht bereits wieder vergessen hatten. Da half auch nicht, daß Deutschland nach monatelangem Hinhalten an die Familien der Opfer mittlerweile ein Blutgeld entrichtet hat. Von einer angemessenen Entschädigung kann da angesichts eines Betrages von 5.000 US-Dollar für jede betroffene Familie, unabhängig von der Zahl der Opfer in ihren Reihen und vom Grad der Schädigung, keine Rede sein. Zudem erfolgte die Zahlung lediglich gnadenhalber, das heißt unter Ausschluß der Anerkennung irgendwelcher weiterer Rechtspflichten. Völlig zu Recht wurde nach dem Bombenmassaker umgehend der Ruf nach juristischen Konsequenzen für diejenigen laut, die dafür verantwortlich zeichneten. Doch vergebens – sowohl die Generalbundesanwältin als auch der Wehrdisziplinaranwalt haben ihre Ermittlungen gegen jenen Oberst Georg Klein, der den Befehl zum Bombenabwurf gegeben hatte, mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Überraschen konnte das nicht wirklich, hatte sich doch die deutsche Politik unter dem Eindruck des Geschehens schlußendlich dazu durchgerungen, offiziell zuzugeben, daß die Bundeswehr in Afghanistan im Rahmen eines »nicht-internationalen bewaffneten Konfliktes« kämpft, wie die völkerrechtliche Terminologie lautet. Der Verdacht liegt nahe, daß dies nicht zuletzt deswegen geschah, um den Oberst Klein und seine Mitstreiter einer justiziellen Sanktionierung zu entziehen. Denn wenn ein bewaffneter Konflikt vorliegt, unterfällt die juristische Bewertung militärischen Handelns den hierfür vorgesehenen Rechtsregeln. Kodifiziert sind diese primär im sogenannten »Humanitären Völkerrecht« (HVR). Dessen Kernbestand findet sich in den Genfer Konventionen von 1949 sowie den beiden Zusatzprotokollen aus dem Jahre 1977. Indes entpuppt sich das HVR als janusköpfig. Einerseits soll es zwar den Krieg einhegen, Exzesse verhindern, Kriegsgefangene und vor allem die unbeteiligte Zivilbevölkerung schützen. Andererseits handelt es sich mitnichten um »Kriegsverhinderungsrecht«, vielmehr ermöglicht und gestattet es durchaus die kriegerische Auseinandersetzung, indem es sie festgelegten Regularien unterwirft. So darf der Konfliktgegner mit den völkerrechtlich zulässigen militärischen Mitteln und unter Wahrung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit bekämpft und auch getötet werden. Dies gilt nicht nur für Kombattanten in Uniform, sondern auch für all jene, die sich in organisierten bewaffneten Gruppen dauerhaft oder als einzelne Zivilisten zeitweise an Kampfhandlungen beteiligen. Organisierte Kämpfer erlangen ihren zivilen Status und den damit verbundenen Schutz erst dann wieder, wenn sie sich von den Kampfschauplätzen und -organisationen erkennbar entfernt haben. Zivilisten hingegen, die sich nur gelegentlich an den Kämpfen beteiligen, bekommen den Zivilschutz dadurch wieder, daß sie ihre Kampftätigkeit einstellen. Dagegen sind Zivilpersonen, die nicht an Kampfhandlungen teilnehmen, zu schützen und zu schonen. Eingeschränkt wird dieses Prinzip allerdings dadurch, daß im Zuge von Angriffen auf militärische Ziele durchaus zivile Opfer und Schäden in Kauf genommen werden dürfen. Unzulässig ist lediglich, daß dabei die zivilen Verluste in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten, unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Wendet man diese Regeln des HVR nun auf den Fall Kundus an, so war die gewaltsame Kaperung der beiden Tanklastwagen, die Treibstoff für die ISAF transportierten, zweifellos ein feindseliger Akt der gegnerischen Guerilla, die seit Jahren gegen jene internationalen Truppen kämpft, die sich ja immerhin auf einer völkerrechtlich zulässigen Grundlage und mit Zustimmung der afghanischen Regierung im Lande aufhalten. Diese feindliche Handlung war zum Zeitpunkt der Bombardierung keineswegs beendet – im Gegenteil waren die Taliban-Kämpfer unter Mithilfe lokaler Dorfangehöriger damit beschäftigt, die festgefahrenen Tanker wieder flottzukriegen und zu diesem Zweck Treibstoff abzuzapfen. Nach militärischer Logik durften beide Akteure gemäß den Regeln des HVR zu diesem Zeitpunkt bekämpft werden. Gleichermaßen durften die beiden Tankfahrzeuge ins Visier genommen werden, um zu verhindern, daß der Feind aus dem erbeuteten Treibstoff einen Vorteil für seine Kampfführung ziehen konnte. Andererseits – und dafür sprechen gewichtige Indizien – ist davon auszugehen, daß es sich bei dem gesamten Geschehen an diesem Tage um eine von langer Hand vorbereitete Geheimoperation handelte, die von der im Raum Kundus operierenden »Task Force 47« – gebildet unter anderem von Soldaten des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr – durchgeführt wurde. Darin involviert waren auch Angehörige des Bundesnachrichtendienstes sowie aller Wahrscheinlichkeit nach US-amerikanische Special Forces und Geheimdienste. Die Operationsführung könnte demnach beim Kommando FOSK (»Führung Operationen Spezialkräfte«) in Potsdam gelegen und das Ziel der Operation darin bestanden haben, mehrere hochrangige Taliban-Kommandeure zusammen mit einer möglichst großen Anzahl ihrer Kämpfer zu vernichten. All dies wäre im Prinzip durch das HVR und auch durch das sehr offene Mandat des UN-Sicherheitsrates gedeckt, welches der ISAF erlaubt, »alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Mittel« einzusetzen. Unübersehbar offenbart sich in jenem nicht nur völkerrechtlich ungemein komplexen Geschehen erneut die Absurdität der Vorstellung, einen Krieg »sauber« führen oder darin gar »unschuldig« bleiben zu können. Darüber hinaus gibt das Desaster von Kundus Anlaß zum Zweifel, ob das »ius in bello« die Kriegführung wirklich maßgeblich beschränken oder gar unmöglich machen könnte – ganz im Gegenteil erweist sich: Krieg zermalmt und vernichtet stets das Recht.
Erschienen in Ossietzky 19/2010 |
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