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Er kam deshalb in Untersuchungshaft, wurde aber rasch wieder freigelassen, Karsai persönlich soll sich seiner angenommen haben. Warum die Empörung? In den USA selbst ist man doch stolz darauf, daß ein Mann seine Fähigkeiten auf mehrere Jobs verteilt, flexibel sich bewegend im Arbeitsmarkt. Marja Winken ScheingefechtIn CDU und CSU grollt es, teils dumpf, teils laut – ausgerechnet der »Verteidigungs«-Minister und oberste Sympathieträger der beiden Parteien wolle, so heißt es vielfach, einen »Markenkern« der Christdemokratie noch aus Adenauer-Zeiten abschaffen, die Wehrpflicht. Ist der schneidige Freiherr dabei, die Bundesrepublik zu entmannen? Keineswegs. Vielmehr zielt seine Wehrreform darauf ab, das deutsche Militär schlagkräftiger zu machen für die seit langem geplante neue Aufgabe: professionelle, auf Hochtechnologie gestützte Einsätze out of area. Eine aus freiwilligen Zeit- und Berufssoldaten formierte Truppe ist dafür am besten geeignet. Kurzfristig dienende Wehrpflichtige stören nur bei deren Ausbildung und Training. Guttenbergs Anstöße für die Wehrreform haben ihre Reibungspunkte; etliche Bundeswehrstandorte werden überflüssig, und in einer kleineren Truppe gibt es weniger Dienstgrade zu verteilen. Aber das Lamento über den Abschied von der Wehrpflicht hat politstrategisch einen großen Vorteil: Es lenkt ab von der heiklen Frage, was eigentlich »Verteidigung« in Zukunft bedeuten soll. Faktisch ist dies schon seit Jahren entschieden: »Verteidigt«, und zwar offensiv, werden geopolitische und ökonomische Interessen. Aber es besteht noch Nachholbedarf an gesetzlicher Normierung, Akzeptanz beim Volk muß noch gesichert werden. Das geht am besten lautlos, und deshalb kommt das Getöse um die Wehrpflicht gerade recht. Übrigens: Im Grundgesetz, in Artikel 12 a, ist die allgemeine Dienstpflicht für Männer über 18 Jahren nicht als Muß-, sondern als Kannsatz formuliert. Peter Söhren WirtschaftsführerDie Mutmaßungen halten noch an: Haben die vierzig als »hochkarätig« gerühmten Hauptunterzeichner des »Energiepolitischen Appells« mit einer großangelegten und kostspieligen Anzeigenkampagne für unbegrenzte Laufzeiten der Kernkraftwerke und gegen die möglicherweise geplante Brennelementesteuer die Regierung Merkel unter Druck setzen können, oder hat dieser öffentliche Auftritt die Kanzlerin eher in die Verlegenheit gebracht, sich ein bißchen widerspenstig zeigen zu müssen? Nicht gestellt wurde in den Medien die Frage, wer eigentlich die Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, der Deutschen Bahn, von e.on, RWE, EnBW, Thyssen-Krupp, Vattenfall, Bertelsmann und so weiter sowie den Manager der Deutschen Fußballnationalmannschaft dazu legitimiert hat, für ihre Unternehmen zu unterzeichnen. Um Mitgliederorganisationen, in denen innerverbandliche Willensbildung sie zu einem solchen Schritt berechtigt hätte, handelt es sich nicht, als Privatpersonen aber traten die Unterzeichner nicht auf. Wurden die Kunden der Deutschen Bank, die Benutzer der Deutschen Bahn, die Bertelsmann-Mitarbeiter, die Abnehmer der Energieprodukte um ihre Meinung zur Energiepolitik gebeten? Oder die Nationalfußballer? Auf Legitimation sind offenbar die Wirtschaftsführer nicht angewiesen, wenn sie Regierung und Parlament sagen, wo es lang gehen soll. Der Fußballnationalmanager auch nicht. Ein Fall für Jürgen Habermas: Es gibt Lebenswelten, in denen auf Diskurs und Kommunikation getrost verzichtet werden kann; die Herrschaften wissen schon, was zu tun ist. M. W. Anti-KreuzzugSie marschieren wieder, die christlichen Fundamentalisten und militanten AbtreibungsgegnerInnen vom Bundesverband Lebensrecht. 1000 Kreuze tragen sie am 18. September 2010 durch die Berliner Straßen, wenn sie nicht daran gehindert werden. Sie wollen für ein generelles Verbot von Abtreibungen demonstrieren und der Öffentlichkeit einprägen, daß in Deutschland täglich 1000 Kinder abgetrieben werden, wie sie zu wissen vorgeben. Die christlichen Fundamentalisten nicht ernst zu nehmen, wäre leicht-fertig. Deshalb ruft ein Bündnis von linken Feministinnen, Antifaschistinnen, Antisexistinnen und vielen anderen zu einer Gegendemonstration auf. Treffpunkt 18. September 2010, 12 Uhr Alexanderplatz. Aktuelle Informationen: http://no218nofundis.wordpress.com Gisela Notz Google Street View als HoffnungHin und wieder hilft mir jemand, den ich noch von früher kenne, bei der Gartenarbeit. Er war Vorarbeiter in einer Fabrik, die ihre Produktion vor einigen Jahren nach Bulgarien verlegt hat, und lebt nun schon länger von Hartz IV. »Zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben«, sagt er. Aber kürzlich fuhr er zu meiner Überraschung mit einem Mercedes vor. Während ich dann Unkraut jätete und er ein Beet umgrub, vertraute er mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, daß er für sich einen recht einträglichen Nebenerwerb entdeckt habe, den er noch auszuweiten beabsichtige, sobald Google sein Street-View-System für unsere Stadt freischalte. Nachdem er sich nach allen Seiten umgeschaut hatte, flüsterte er: »Als Einbrecher. Manchmal kundschafte ich Gelegenheiten aus und schlage dann in der zweiten Nachthälfte zu, wenn alles im Tiefschlaf liegt. Das bringt Abwechslung in diesen ansonsten trostlosen Alltag.« Fast schwärmerisch fuhr er fort: »Du glaubst gar nicht, welche Mengen an Wertgegenständen in den Villen am Stadtrand gehortet werden: Schmuck, echte Gemälde, Skulpturen, Goldmünzen, sogar Goldbarren oder wertvollste elektronische Geräte und so weiter. Ich nehme alles, was sich leicht transportieren läßt. Die Leute haben Angst vor einer Geldentwertung und decken sich ein. Oft haben sie nicht einmal einen Tresor.« Selbstverständlich ging ich sofort auf Distanz. Auf meine verblüffte Frage, was denn seine neuerlichen nächtlichen Aktivitäten mit dem Street-View-System von Google zu tun hätten, erhielt ich zur Antwort: »Die fotografieren doch sämtliche Häuser von vorn, von hinten und von den Seiten. Da weiß man ganz genau, wo die Schwachstellen liegen und wo man am besten einsteigen kann.« Er zeigte auf unser Haus und meinte: »Das Kellerfenster würde ich vergittern lassen. Und denk dran, daß sich im Internet jeder eure Fassade ansehen kann. Wenn du dich aber demnächst mal beruflich verändern willst …« »Aber es ist doch noch gar nicht sicher, daß Google weitermachen und alle Häuser fotografieren darf«, entgegnete ich. »Man kann Widerspruch einlegen, und vielleicht wird diese ganze Aktion noch verhindert. Womöglich verstößt das alles gegen die Persönlichkeitsrechte der Hausbesitzer und Mieter oder gegen die Eigentumsrechte, oder es ist sogar Spionage, Vorbereitung auf den Häuserkampf, Hochverrat oder so etwas Ähnliches.« Ich holte die Zeitung und las vor, daß die Verbraucherschutzministerin Google gebeten habe, das Abfotografieren erstmal einzuschränken. Mir fiel noch ein: »Falls der Innenminister Wind davon bekommt, wird das womöglich wegen staatsgefährdender Umtriebe verboten.« Das war meinem Helfer gar nicht recht. »Ich fände es schade, wenn die Regierung das stoppen würde«, meinte er. »Gerade habe ich mich mit zwei ehemaligen Kollegen zusammengetan, um unsere Unternehmungen auf eine breitere Basis zu stellen.« Etwas bedrückt verabschiedete er sich schließlich mit den Worten: »Da versucht man, wieder Arbeit zu finden und außerdem das Verteilungsproblem individuell zu lösen. Und dann kommen einem diese Gutmenschen mit ihrem Sicherheitsfanatismus in die Quere.« Kopfschüttelnd stieg er in seinen fast neuen Mercedes und fuhr reifenquietschend davon. Wolfgang Bittner Walter Kaufmanns LektüreHier nun, nach »Motel Life« und »Northline«, Willy Vlautins dritter Roman »Lean on Pete«, und auch er schildert das Leben von Menschen, die sich schlecht und recht am Rand der amerikanischen Gesellschaft zu behaupten versuchen. Was der fünfzehnjährige Charley Thomson auf der Suche nach Geborgenheit durchzustehen hat, kommt einer Hölle auf Erden nah: eiskalte Nächte unterm Sternenhimmel, Hunger, Fußtritte, Fausthiebe und endlose Märsche durch Landstriche des mittleren Westens – weiter und immer weiter in Richtung Wyoming, wo er bei einer Tante ein Dach überm Kopf zu finden hofft. Seine Mutter kennt er nicht, sein Zuhause in Portland ist verschwunden mit dem elendigen Untergang des Vaters, der von einem Nebenbuhler erschlagen wurde. Nur ein Freund bleibt ihm: ein alterndes Rennpferd, das er vor dem Pferdeschlachter retten will. In Wind und Wetter, durch Täler und über Berge zieht er mit Lean on Pete in Richtung Wyoming. Und als er sich ein einziges Mal mit dem Tier auf den Highway wagt, ist das ein Wagnis zu viel. Von da an ist Charley allein – muß er sich den Schicksalsschlägen allein stellen: Er muß stehlen, um zu überleben, und wird bestohlen; muß lügen, um zu überleben, und wird belogen, findet ein bißchen Liebe, die bald wie Rauch im Wind vergeht. Und immer in den Nächten quälen ihn die Albträume über den Verlust von Lean on Pete. Sein Treck wird zu einer Odyssee. Was sich ihm an Begegnungen auftut, bleibt geprägt von Armut und Not: Landstreicher und Huren, Heimat- und Obdachlosen. Und wird er wirklich einmal in einem klapprigen Vehikel ein Stück Wegs mitgenommen, darf er seiner und seines bißchen Habe nicht sicher sein. Äußerst selten kommt es vor, daß ihm einer wie jener Mexikaner ein paar Dollar schenkt, und vielfältig sind die Schliche, die er lernen muß, um sich zu behaupten. Allein die Landkarten, die er für sich gekrakelt hat, lassen einen die Mühen ermessen, die diesen Charley Thomson schließlich ans Ziel bringen. Und als dann nach all den Wochen die Tante gefunden ist und sie ihn in ihre fülligen Arme schließt, hat sich dem Leser auch mit diesem Buch ein weithin unbekanntes amerikanisches Leben erschlossen. Walter Kaufmann Willy Vlautin: »Lean On Pete«, aus dem Amerikanischen von Robin Detje, Berliner Taschenbuch Verlag, 314 Seiten, 10.95 €Zuschrift an die LokalpresseDieser Tage haben Sie berichtet, daß eine deutsche Touristin in San Francisco »auf offener Straße« niedergeschossen worden sei. Die Behörden hätten unverzüglich die Untersuchungen aufgenommen und ermittelt, daß sich die bedauernswerte Frau »zur falschen Zeit am falschen Ort« befunden habe. Da ich diese Aussage bei Über-, Un- und Umfällen in letzter Zeit recht häufig zur Kenntnis nehmen mußte, habe ich darüber nachgedacht, wie solche Konstellationen vermieden werden könnten. Sollte man nicht Kataloge für das rechtzeitige Erscheinen am richtigen Ort erarbeiten? Dann könnte man die Lebens- und Gesundheitsgefahren für Reisende – egal, ob sie privat oder dienstlich unterwegs sind –, deutlich vermindern, und außerdem würde Untersuchungspersonal eingespart, das besser bei der Erarbeitung entsprechender Unterlagen und damit prophylaktisch eingesetzt werden könnte. Und dann ist mir bei Polizeinachrichten über Morde neuerdings aufgefallen, daß oft von »regelrechten Hinrichtungen« die Rede ist. Kann mir die Redaktion sagen, wo ich die offiziellen Regeln für Hinrichtungen einsehen kann? Ich hoffe ja nicht, aber wenn man schon mal unbeabsichtigt in eine solche Zwangslage kommt, möchte man doch nichts falsch machen! – Hans-Roland Tepperwien (48), Freigänger, 83364 Schwammgraben Wolfgang Helfritsch Termine9. 9., 20 Uhr, Berlin, Galerie Ei, Göhrdener Straße 14a: Walter Kaufmann stellt sein Buch »Im Fluß der Zeit« vor 12. 9., 13 bis 18 Uhr, Berlin, Am Lustgarten: »Tag der Erinnerung und Mahnung« mit Ludwig Baumann, Heike Kleffner, Gina Pietsch, Bernard Schmid, Gün Tank u.a. 14. 9., 19 Uhr, Oraninburg, Gedenkstätte Sachsenhausen: »Fritz Bauer. Tod auf Raten«, Film von Ilona Ziok 24. 9., 10 bis 17 Uhr, Berlin, »Helle Panke«, Kopenhagener Straße 9: »Vom Erbe des deutschen Realismus«, Konferenz mit Heidi und Wolfgang Beutin, Jost Hermand, Hartwig Suhrbier u.a. 27. 9., 19 Uhr, Berlin, Jüdisches Museum, Lindenstraße 9–14: Ausstellungseröffnung »Zwangsarbeit – Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg« mit Volkhard Knigge, Günter
Erschienen in Ossietzky 18/2010 |
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