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Jürgen Flimm ist der Weltmeister der Ankündigungsrhetorik. Er scheint von allem, was er plant, begeistert zu sein, und der Subtext, unter Anekdoten und Aperçus nur behelfsmäßig verborgen, lautet: Seht her, wie großartig ich bin. Das ginge noch hin, wenn die Ergebnisse mit den wortreichen Ankündigungen Schritt halten könnten. Aber ach, das können sie nicht. Fast immer bleiben sie hinter ihnen zurück, kümmerliche Bälger der Maulhurerei. Doch Flimm ist nur ein Symptom, wenngleich ein besonders auffälliges. Nicht nur die Veranstalter, auch die Künstler selbst neigen immer mehr dazu, durch Absichtserklärungen zu ersetzen, was ihr Werk nicht einzulösen vermag. Angela Richter veränderte während der heurigen Festspiele ihre Inszenierung von »Tod in Theben«, weil sie, wie sie sagt, bei der Premiere unzulässige Kompromisse gemacht habe, die mit ihren Überzeugungen nicht vereinbar seien. Die Zuschauer überzeugen konnte sie freilich weder vor noch nach den Eingriffen. In den Programmbüchern der Staats- und Stadttheater häufen sich die klugen Aufsätze von Dramaturgen, die manchmal, auch in Jargon und Umfang, den Status einer wissenschaftlichen Analyse erlangen. Bloß: In der Inszenierung ist davon nichts zu erkennen. Im Theater aber zählt, was man auf der Bühne sieht und hört. Wenn sich die Überlegungen der Dramaturgie nicht umsetzen lassen, sind sie, jedenfalls in diesem Kontext, für die Katz. Deshalb erscheinen auch die meisten Pressekonferenzen bei Theater- oder Filmfestivals als überflüssig, auf denen die Künstler gefragt werden, was sie mit ihrer Arbeit sagen wollten. Wenn sie es nicht mit ihrer Inszenierung, ihrem Spiel, ihrem Film zu sagen vermochten, dann sind sie gescheitert. Selbstinterpretationen und Ankündigungen sind hilflose Versuche, das Scheitern zu camouflieren. Nun kann man die Lust von Kulturmanagern und Künstlern an knalligen oder überinstrumentierten Werbesprüchen noch unter der Volksweisheit abbuchen, daß Klappern zum Handwerk gehöre. Schlimmer ist eine Tendenz, die sich, in den Medien nicht erst seit neuestem, zunehmend bemerkbar macht: die Ablösung der Kritik durch Ankündigungsjournalismus, die sogenannte Vorauskritik, die keine Kritik sein kann, sondern lediglich Verlautbarung. Künstlerische Ereignisse werden beschrieben und bewertet, noch ehe sie stattgefunden haben. Da die Journalisten, die sich dafür hergeben, ihre Informationen nur von den Machern haben können, wenn sie sich nicht auf allgemeine enzyklopädische Angaben beschränken wollen, bedeutet das nicht weniger als das Ende der Kritik im überlieferten Sinne zugunsten der PR. Bei einer Umfrage unter deutschen Journalisten gaben 46 Prozent an, daß sie sich einen Wechsel in die PR-Branche vorstellen könnten. Fast die Hälfte derer also, die angetreten waren, die Wirklichkeit wahrheitsgetreu zu beschreiben, kritisch zu kommentieren, verborgene Wahrheiten an den Tag zu bringen und Öffentlichkeit herzustellen, die eine objektive Meinungsbildung erleichtert, sind bereit, sich zu Söldnern partikulärer Interessen machen zu lassen. Wenn jemand die Branche wechselt, weiß man wenigstens, woran man ist. Er spielt mit offenen Karten. Wirklich problematisch wird es erst, wenn so getan wird, als handelte es sich noch um Kritik, während in Wahrheit PR betrieben wird, die man so nicht nennt, sondern »Dienstleistung für den Leser« oder »Info«. Vorbei die Zeiten, da es einem Kritiker peinlich war, jener Schauspielerin zu begegnen, die er am Vorabend verrissen hatte. Er ist ohnedies mit ihr und ihrem Theater verbandelt, kann sich gefahrlos auf jede Premierenfeier wagen, weil er schon im Voraus das Beste über die Premiere zu schreiben wußte. Er kann sich im Erfolg sonnen, den er mitgestaltet hat, und wenn das auch noch der Kasse nützt, sind alle zufrieden. Er geht noch nicht einmal so weit wie manche seiner Kollegen in der Buch- oder Schallplattenkritik, die schamlos die Pressetexte der Verlage und Plattenfirmen plündern. In einer Epoche, als die Ökonomie noch nicht der einzige bürgerliche Wert war, entstand die Kritik. Heute ist sie so heftig bedroht wie noch nie zuvor. Nicht von einer Zensur, nicht von einem Diktator, sondern von jener Epidemie, die den Kulturbetrieb erfaßt hat: der Ankündigungseuphorie.
Erschienen in Ossietzky 18/2010 |
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