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Die Absatzzahlen aus dem Jahr 2007, als weltweit 72 Millionen Kraftfahrzeuge neu zugelassen wurden, würden 2010 zwar nicht erreicht. Aber, so meint auch der Verkehrsexperte und Autokritiker Winfried Wolf: »Es läuft wieder rund.« Heil sei die Welt der Autos aber nur vordergründig. Darin sind sich während der Ende August in Hannover von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgerichteten Konferenz »Auto und Mobilität in der Krise« alle Redner einig. Ein »Weiter so!« werde es nicht geben können. Die Stichworte dafür sind: »Peak-Oil«, das nahende Ende des Erdölzeitalters, die Versiegelung der Landschaft, der hohe Blutzoll im Autoverkehr, der katastrophale Klimawandel durch schädliche Abgase. Und mobil sei man mit dem Auto immer weniger: Dreieinhalb Stunden habe er sich von Stau zu Stau mit dem Auto von Bremen zur Konferenz nach Hannover gequält, erzählt Kupfer. Auch IG-Metall-Experte Speidel meint: »Strukturbrüche in der Autoindustrie« seien absehbar; dort werde »in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren kein Stein auf dem anderen« bleiben. »Die Branche muß sich neu erfinden.« Aber wie? Die Konzerne malen grün in grün. Sie rollen in ihren Werbefilmen mit dem Elektromotor in eine sorgenfreie und ökologisch korrekte Zukunft. Eine Million Elektrofahrzeuge sollen im Jahr 2020 über die Straßen der Welt rollen. Die Zahl klingt groß. Sie sei aber lächerlich klein, meint Wolf. Klimapolitisch sei sie kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Und der Bremer Klima-Aktivist Olaf Bernau weist darauf hin, daß der für die Batterien der E-Wagen benötigte Rohstoff Lithium noch knapper sei als Erdöl. Bernau gehört zu den Initiatoren der »Umsonst-Fahrtage« in Bremen, zu denen bald auch in Berlin aufgerufen werden soll. An der Weser haben 100 Aktivisten den öffentlichen Nahverkehr der Hansestadt tageweise ohne Fahrscheine genutzt. Begleitet von einem starken Medien-Echo riefen sie – noch erfolglos – die Bürger auf, sich die öffentlichen Verkehrsmittel aktiv und kostenlos anzueignen, um so gleichzeitig gegen dreierlei zu protestieren: gegen eine Sozialpolitik, die Mobilität zum Beispiel für »Hartz-IV«-Empfänger unbezahlbar macht, gegen die Privatisierung öffentlicher Güter und gegen eine Verkehrs- und Umweltpolitik, die Klimaschutz nur simuliere: »Im Laufe des Kyoto-Prozesses sind die klimaschädlichen Verkehrsemissionen um ein Drittel gewachsen.« Der westliche Lebensstil des motorisierten Individualverkehrs hat, so Bernau, keine Zukunft. Die Konversion der Autoindustrie stehe auf der Tagesordnung. Notwendig seien Verkehrsvermeidung, Verkehrsverlagerung auf Füße und Fahrradpedale sowie der Ausbau der kollektiven öffentlichen Verkehre, die in Europa seit 1970 um rund zehntausend Schienenkilometer reduziert worden sind. Würde der individuelle Motorisierungsgrad von Nordamerika und Europa – in den USA kommen 700 Autos auf 1000 Haushalte, in der EU 500 – auf den Rest der Welt übertragen, bedeute dies den globalen ökologischen Kollaps. Von solchen richtigen Einsichten lassen sich die Konzernführungen aber nicht beeindrucken, weiß Daimler-Betriebsrat Kupfer. Daß in Brasilien gegenwärtig 170 Autos auf 1000 Haushalte kommen, in China 15, in Indien zwölf und in Bangladesch sogar nur eins, interpretieren die Kapitalstrategen als ihre Chance für weiteres Wachstum, für mehr KFZ-Absatz und höheren Profit. »Zwischen den Konzernen tobt ein erbitterter Kampf um den Weltmarkt«, der mit »schärfster Rationalisierung in den Betrieben« einhergehe, berichtet Kupfer. Seine Kollegen am Band würden mit verkürzten Taktzeiten »ausgelutscht und kaputtgemacht«; gleichzeitig würden Entwicklung und Produktion der Autos global neu ausgerichtet. Auch Wolf warnt davor, Macht und Beharrungsvermögen der Auto- und der Ölindustrie zu unterschätzen: »Die kaufen Menschen und Zeitungen und machen Meinung.« In den vergangenen Jahren sei das Gewicht der 53 ölfördernden und ölverarbeitenden Konzerne unter den größten Konzernen der Welt stetig gewachsen. Die genannten 53 Multis wie Exxon, BP oder Halliburton hätten 1999 unter den 500 größten Trusts einen Umsatzanteil von acht Prozent und einen Profitanteil von 8,2 Prozent gehabt; im vergangenen Jahr seien es 15,1 Prozent Umsatz- und 22 Prozent Profitanteil gewesen. Nehme man die Autokonzerne dazu, liege der Profitanteil dieser beiden Branchen gar bei 33 Prozent. Deshalb sei »Peak-Oil«, das ressourcenbedingte Absinken der Ölförderung, nicht allein als Naturphänomen zu begreifen. Hier gehe es um die politischen Machtverhältnisse. »Die Ölkonzerne«, davon ist Wolf überzeugt, »bohren und buddeln sich bis zum letzten Tropfen Öl quer durch die Welt – wenn wir sie nicht daran hindern!« Was konkret auf dem Spiel stehe, zeige die Deepwater-Horizon-Katastrophe im Golf von Mexiko wie auch die Auseinandersetzungen um Ölbohrungen vor Grönland und in der Arktis. Die Autogesellschaft sei zwar in der Krise, sie sei »ein Auslaufmodell«, aber allein von guten Argumenten werde sie sich nicht geschlagen geben, schon gar nicht solange der Profit steigt.
Erschienen in Ossietzky 18/2010 |
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