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Der Münchener Soziologieprofessor Ulrich Beck, Mitglied der Kommission, empfahl »Bürgerarbeit« als Gegenferment zur schrumpfenden Erwerbsarbeit für »Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, Jugendliche vor, neben und nach der Berufsausbildung, Mütter nach der Erziehungsphase, ältere Menschen im Übergang in den Ruhestand, Teilzeiterwerbstätige, vorübergehend aus der Erwerbsarbeit Ausgestiegene«. Ihnen allen unterstellte Beck eine Motivation für »Bürgerarbeit«, denn sie suchten nach »gezielten Einsatzfeldern (sic; G. N.) für freiwilliges soziales Engagement«. Durch das Erschließen nicht-marktgängiger, gemeinwohlorientierter Bürgerarbeit sollte der Arbeitsmarkt saniert und die soziale Versorgung – trotz Kürzungen an sozialstaatlichen Leistungen – sichergestellt werden. »Bürgerarbeiter« sollten dem Gemeinwohl dienen – im Unterschied zu denjenigen, die ihre Freizeit mit individuellen Aktivitäten verbringen. »Bürgerarbeit« sollte nicht entlohnt, sondern durch »Favor Credits« belohnt werden, zum Beispiel durch kostenfreie Kindergartenplätze. Vor allem sollte sie durch »öffentliche Auszeichnungen« gewürdigt werden, denn solche Anerkennung sei in unserer Gesellschaft, wo man alles kaufen könne, unschätzbar wertvoll. Daß »Bürgerarbeit« den Erwerb von Qualifikationen ermöglichen und Tätigkeitsfelder für lebenslanges Lernen eröffnen sollte, schien ihre Unbezahlbarkeit zu bestätigen. Als besonders attraktive Belohnungen für junge Menschen wurden Pluspunkte im Numerus-Clausus-Verfahren wie auch Vorteile bei der Rückzahlung von BAföG-Darlehen vorgeschlagen. Nur sozialschwache Erwerbslose sollten »Bürgergeld« in der Höhe der damals aktuellen Sozialhilfe erhalten; freilich hätte die Sozialhilfe den aus der Erwerbsarbeit Herausgefallenen (bezeichnet als »Langsame, Schwache, Abweichende«) ohnehin zugestanden. Den von verschärfter Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt bedrängten Frauen verhieß Beck, daß es in Zukunft nicht mehr heißen müsse: »Frauen zurück an den Herd!«, sondern: »Vorwärts in die Bürgerarbeit!« Gerade für Frauen sollte der materielle Ertrag hinter der Sinnstiftung verschwinden: Noch gebraucht zu werden, baue die »erwerbslose Beiköchin der Dresdener Tafel« auf. Außerdem argumentierte Beck (und nicht nur er) mit dem höheren sozialen Status. »›Ich bin Bürgerarbeiter‹, das klingt doch besser als: ›Ich bin seit drei Jahren arbeitslos‹.« Das Bestechende an dem Modell war, daß sich UnterstützungsempfängerInnen selbst umdefinieren konnten. Sie standen vor der Wahl, erwerbslos zu bleiben und langfristig Sozialhilfe zu beziehen oder als Freiwillige öffentlich und gemeinnützig tätig zu werden; sie sollten sich von Unterstützungs- in ZuwendungsempfängerInnen verwandeln. In dem Konzept der »Zukunftskommission« wurde betont, daß die »Bürgerarbeit« freiwillig sei; wenn jemand vorzog, sich weiter als SozialhilfeempfängerIn zu definieren, waren Sanktionen nicht vorgesehen. So entgingen die Konzeptmacher dem Vorwurf, die Arbeitspflicht einführen zu wollen. Ulrich Beck ist mit diesem Konzept populär geworden. Er hoffte damals auf einen Allparteien-Konsens. Der war schnell hergestellt, denn alle Gruppierungen suchten nach Lösungen, um Sozialkosten zu sparen und zugleich die Zahl der Erwerbslosen zu senken. Und sie sangen und singen weiterhin jedes Jahr am 5. Dezember, dem »Tag des Ehrenamtes«, unisono das hohe Lied der vor allem von Frauen geleisteten Gratisarbeit. Heute ist das Konzept in mehreren Bundesländern, darunter Nordrhein-Westfalen, in sechs Gemeinden von Sachsen-Anhalt und drei bayerischen Modellstädten verwirklicht. Anders als bei den Ein-Euro-Jobs handelt es sich um sozialversicherungspflichtige Arbeit und eine Perspektive für drei Jahre. In Sachsen-Anhalt ging die Anzahl der registrierten Erwerbslosen in den beteiligten Kommunen um 50 Prozent zurück, obwohl da nicht mehr Erwerbslose in reguläre Erwerbsarbeit vermittelt wurden als anderswo. Kein Wunder: Die »Bürgerarbeiter« gelten eben nicht mehr als Erwerbslose, sondern als Arbeitnehmer. Fragt man nach den Arbeiten, die sie verrichten, so kommt folgendes heraus: Begleiten von alten Menschen oder Behinderten bei Arztgängen, Kochen für Bedürftige, Säubern von Parks und Straßen, Vorlesen in Altenheimen und andere Hilfe bei »unerfüllten sozialen Bedürfnissen«, die der Markt nicht regulär bezahlen will. »Zwangsarbeit zu Niedriglöhnen!« schimpfen linke PolitikerInnen und auch Betroffene. Wer »Bürgerarbeit« ablehnt, verwirkt seinen Anspruch auf staatliche Unterstützung. Das Institut für Wirtschaftsforschung warnt vor dem gleitenden Übergang von regulärer zu staatlich finanzierter Tätigkeit. Es weist darauf hin, daß in den beteiligten Kommunen die Erwerbslosigkeit auch deshalb abnahm, weil sich viele bisher erwerbslos gemeldete HilfeempfängerInnen einfach abgemeldet haben. Was aus ihnen geworden ist, weiß niemand. »Bürgerarbeit« entlastet also die öffentlichen Kassen. Wer »Bürgerarbeit« leistet, kostet kaum mehr als ein Erwerbsloser, und wer lieber auf die Unterstützung verzichtet, als sich den Bedingungen zu beugen, kostet gar nichts mehr. Kein Wunder, daß Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen das »Erfolgsmodell« zum bundesweiten Programm erhoben hat. Am 15. Juli 2010 startete der »Feldversuch« mit Hilfe von EU-Geldern in strukturschwachen Regionen mit hoher Erwerbslosigkeit. Langzeiterwerbslose sollen »zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten« verrichten. Dafür erhalten sie einen Bruttolohn zwischen 600 Euro (bei 20 Stunden) und 900 Euro (bei 30 Stunden). 180 Euro bekommt der Arbeitgeber. Das Teilzeitmodell soll Zeit für Bewerbungen und Fortbildung lassen. 160.000 »Hartz-IV«-EmpfängerInnen sollen während einer sechsmonatigen »Aktivierungsphase« individuell getestet werden, für welche Arbeitsplätze sie in Frage kommen. Von der Leyen geht davon aus, daß vier von fünf Erwerbslosen auf diese Weise in »Bürgerarbeit« vermittelt werden können oder »freiwillig« auf Regelleistungen verzichten. »Bürgerarbeit« soll Sinn, Selbstbewußtsein und soziale Anerkennung bringen, wie nun auch die Bundesagentur für Arbeit ganz im Sinne des Erfinders Ulrich Beck verheißt. Nürnberg wird künftig schönere Zahlen zu vermelden haben, ohne daß mehr Erwerbslose in reguläre Arbeit vermittelt worden wären. Sie unterliegen weiter dem Zugriff des Job-Centers, verschwinden aber aus der Statistik – ein Erfolg, der viele Politiker am meisten erfreut. Der Kapitalismus, der die Massenarbeitslosigkeit hervorbringt, kann mit diesem gesellschaftlichen Grundproblem nicht fertig werden. Denn für das Kapital ist Massenarbeitslosigkeit äußerst nützlich, vor allem beim Lohndrücken. Alle prokapitalistischen Parteien und leider auch führende Gewerkschafter stehlen sich vor der Aufgabe davon, die Wochenarbeitszeit der in Vollzeit Beschäftigten um zehn oder zwölf Stunden zu kürzen, wodurch sich das Problem in kurzer Zeit lösen ließe; sie tun so, als wäre das unmöglich und geradezu undenkbar. Mit der »Bürgerarbeit« wird uns eine grandiose Scheinlösung präsentiert. Sollen wir da Hurra rufen?
Erschienen in Ossietzky 18/2010 |
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