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Er holte von einem Zeitungsstapel ein Exemplar des Focus und wies auf ein Bild des Chefredakteurs Helmut Markwort, der unter der Überschrift »Ärger, weil einer die Wahrheit sagt« dem Buchautor Sarrazin an die Seite tritt und sein eigenes Unbehagen an der Zuwanderung von Migranten äußert. Er prangert deren angeblich mangelnde Bereitschaft an, die deutsche Sprache zu lernen, und bedauert gleichzeitig die Kinder der Einwanderer, weil deren unzureichende Sprachkenntnis allzu leicht einen Schulabschluß verhindere, ganz zu schweigen von dem Wechsel auf eine weiterführende Schule. Markwort weissagt dem Verfasser einen gehörigen Ärger, weil er ein heißes Eisen anfasse und damit sogar ein Gerichtsverfahren riskiere. Damit ignoriert Markwort die zahlreichen Bildungsprogramme für Migranten und andere benachteiligte Gruppen, deren Chancen sich deutlich verbessert haben. Und der Chefredakteur aus dem Burda-Konzern sollte auch wissen, daß man hierzulande nicht wegen Äußerung einer unbequemen Meinung bestraft wird. Ein wesentliches Kriterium ist die Wahrhaftigkeit; das gilt auch für Sarrazin und Markwort. Mein Freund aus Sizilien hat sich inzwischen beruhigt. Bei seinem Vetter nebenan hat er Mandelplätzchen besorgt und den Cappuccino neu aufgebrüht – heiß, wie ich ihn mag. Wilhelm Boeger Thilo Sarrazin, immer noch Mitglied im Vorstand der Deutschen Bundesbank, darf mit Vorveröffentlichungen aus seinem Buch »Deutschland schafft sich selbst ab« wieder einmal für seine bekannten migrationsfeindlichen und rassistischen Thesen Propaganda machen (vgl. Ossietzky 23/09). Die SPD traut sich nicht, ihn aus der Partei auszuschließen, denn eine »Volkspartei wie die SPD« müsse »auch ärgerliche und falsche Diskussionen ertragen«, meinte Heinz Buschkowsky, Bürgermeister in Berlin-Neuköln. Stattdessen legte ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel dem Genossen Sarrazin nahe, er solle doch bitte von sich aus die Partei verlassen. Ruprecht Polenz von der CDU warf Sarrazin »ausländerfeindliche und menschenverachtende Tiraden« vor. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sprach von »unerträglichen und wirren« Thesen. Kanzlerin Merkel ließ durch ihren Sprecher erklären, Sarrazins Äußerungen seien »überhaupt nicht hilfreich«. Das Berliner Establishment zelebriert die übliche Pseudoaufregung politischer Korrektheit ohne ernsthafte Folgen. Doch der Ton in den großen Leitmedien nimmt diesmal eine andere Färbung an. Offenbar soll in Zeiten der sich weiterfressenden globalen Krise auch hierzulande wieder mehr auf die nationale Karte gesetzt werden, um »die da unten« für weitere Opfer für »die da oben« bereit zu machen. »Ausländer« als Sündenböcke hinzustellen und sie für weitere allgemeine Lohnsenkungen und Sozialkürzungen verantwortlich zu machen, könnte sich herrschaftstechnisch als opportun erweisen. Beispielhaft sei das hier an einem Kommentar auf Seite 1 in der FAZ vom 27. August gezeigt. Deren Mitherausgeber Berthold Kohler möchte sich in überlegenem Stil darüber mokieren, daß der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland es gewagt hatte, »einem Vorstandsmitglied der Deutschen Bank« zu empfehlen, »in die NPD einzutreten«. Kohlers leicht süffisant daherkommendes Monitum gerät ihm allerdings schnell außer Kontrolle: Der FAZ-Mann argumentiert, es gehe ja nicht allein um den »berüchtigten Herrn Sarrazin«, legten doch »Bestsellerlisten, Internetforen und Leserbriefe nahe, daß nicht wenige Deutsche dessen Beobachtungen(!) und Ansichten teilen.« Und er fragt provokativ: »Sollen auch sie der Empfehlung folgen und Mitglied der NPD werden?« Kohler kommt von seinen NPD-Gedanken nicht wieder los. Er schreibt, »Deutschland« würde sich dann zwar als »dumm« erweisen, doch nennt er zugleich Gründe, die nach seiner eigenen Meinung für Masseneintritte in die NPD sprechen: Die in Bonn und Berlin bisher etablierten Parteien, einschließlich der CDU, würden sich mit »Dogmen des Multikulturalismus als weitgehend ratlos (erweisen), wenn Einwanderer zwar die Sozialleistungen dieses Staates annehmen, nicht aber seine Einladung zur Integration«. Die besonders für junge Zuwanderer fehlenden Ausbildungs- und Arbeitsplätze, von Unternehmern und Verwaltungen zum Zweck der Kapitalkostenersparnis wegrationalisiert, kommen ihm nicht in den Sinn. Stattdessen beklagt er: »Wer den autochthonen Deutschen (also den hierzulande Eingeborenen; O. M.) unterstellt, sie seien zu blöde zu begreifen, welche kulturelle Bereicherung ihnen etwa durch die Einwanderung aus Anatolien zuteil wird, muß nicht mit Rücktrittsforderungen rechnen.« Der DeutschlanderweckerEin ganzes Land ist tief bewegt, alle Medien sind voll davon, die auflagenstärkste deutsche Zeitung vorneweg. Mit einem Vorabdruck stimmte sie auf ein schon vor seinem Erscheinen als Bestseller gerühmtes Buch eines »Klartext-Politikers« ein, wie sie den Bundesbanker nennt. Volkstümlich titelt Bild: »Will ich den Muezzin hören, dann reise ich ins Morgenland«. Schafft Deutschland sich ab, schafft es sich an? Wenn ich Sarrazin nicht mehr hören will, werde ich wohl auswandern müssen. Max Holzmüller Sarrazin muß nach dieser FAZ-Einschätzung mit seinen Thesen einfach Recht haben, weil ja »nicht wenige Deutsche« ihm zustimmen. In der Tat: Das »Volk« der Bild-Leser und Talkshow-Konsumenten bekommt täglich Welterklärungen á la Henkel, Baring, Sarrazin vorgesetzt. Der FAZ-Kommentator scheint solche Prägungen zu begrüßen. Ob allerdings die NPD ganz das richtige nationale Sammelbecken sein kann, weiß er vielleicht noch nicht so genau einzuschätzen. Ähnlich erging es den herrschenden national-konservativen Kreisen am Ende der Weimarer Republik zunächst in Bezug auf Hitlers SA-Horden. Doch kluge Kapitalisten aus der rheinisch-westfälischen Großindustrie halfen rechtzeitig mit großzügigen Spenden beim Aufbau der NSDAP, um ihr Kapitalsystem vor linken Umtrieben zu schützen. Sollte sich tatsächlich die katastrophale Geschichte eines deutschen Sonderweges in Zeiten einer schweren Kapitalismuskrise noch einmal wiederholen? Die FAZ sorgt schon mal vor: Die Juden sollen jedenfalls gefälligst die Klappe halten, sie verraten sonst zu früh, wohin die Reise gehen könnte.
Erschienen in Ossietzky 18/2010 |
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