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Ein »Datum« sei dabei »nicht zwingend«. Der Präsident habe einen Termin nur genannt, um »auf die Dringlichkeit der afghanischen Probleme hinzuweisen«. Petraeus hätte sich schlichter ausdrücken können: »Abzug« bedeutet nicht, daß Truppen abziehen… »Pull out troops«? Nein, »Pull the trigger«. > Arno Klönne Griechischer BoomInternationaler Währungsfonds, Europäische Union und Europäische Zentralbank regieren Griechenland. Hier wird jetzt die Politik des »Gesundschrumpfens« vorexerziert: Die Staatsausgaben werden herabgesetzt, die Einkommen der kleinen Leute geschmälert, der Massenkonsum sackt ab, die Konsumgüterproduktion ebenfalls, viele Geschäfte müssen schließen. Der Abbau von »Protektionismus« öffnet die Tore für Übernahmen durch Firmen aus den kreditgebenden Ländern; die angeblichen Wohltaten machen sich für die Wohltäter bezahlt. Und, wie üblich, ist es eine sozialdemokratische Regierung, die dem Volk soziale Grausamkeiten als »alternativlos« zu verordnen hat. Aber die »Sparpolitik« in Griechenland hat ihre Ausnahmen: Das Rüstungsgeschäft aus Staatsaufträgen boomt, Profiteure sind Unternehmen aus der Bundesrepublik, Frankreich und den USA. Aus einem großen Bericht in der Welt am Sonntag erfährt man Einzelheiten: Die deutsche Firma Thyssen-Krupp-Marinesystems, verbandelt mit Investoren aus Abu Dhabi, verhandelt jetzt mit dem griechischen Staat über den weiteren Ankauf von U-Booten. Leopard-Panzer werden bei dem deutschen Unternehmen Krauss-Maffei-Wegmann bestellt. Auch aussortierte deutsche Panzerhaubitzen und Marder-Schützenpanzer sollen nach Griechenland geliefert werden. Über Aufträge für Kampfflugzeuge wird verhandelt. Kurz: Ausländische Waffenproduzenten erhalten höchst gewinnträchtige Rüstungsaufträge, der Beschäftigungseffekt in Griechenland selbst ist minimal, und weder die EU-Kommission noch die deutsche Bundesregierung diktiert dem griechischen Staat »Sparsamkeit« in diesem Geschäftsfeld. Schon immer waren Dritte-Welt-Länder sehr begehrt als Käufer von Rüstungsgütern. Ein verarmendes Griechenland rückt nun in eine solche Position ein, und die Papandreou-Regierung bekommt internationales Lob, weil sie »mutig« auf »Modernisierungskurs« gegangen sei. Peter Söhren KulturbeflissenDie Bundeswehr sorgt sich offenbar darum, daß akademischer Nachwuchs einen Arbeitsplatz findet, und so macht sie nun Werbung für einen neuen Beruf, den »Interkulturellen Einsatzberater«. Die berufliche Aufgabe sei, so heißt es da, »kulturell bedingtes Konfliktpotential zu reduzieren«, auf »kulturelle Unterschiedlichkeit Rücksicht zu nehmen und diese vorurteilsfrei zu akzeptieren«, »Vertrauen zu schaffen«. Jetzt aktuell in Afghanistan, wo auch die Bundeswehr »interkulturell agieren« müsse, um »ihre Ziele gemeinsam mit der örtlichen Bevölkerung besser erreichen zu können«. Eine menschenfreundliche Tätigkeit also? Im »detaillierten Jobporträt« finden sich immerhin Andeutungen, was der »interkulturelle Berater« praktisch zu tun hat: Für »Kommunikation und Interaktion mit der Bevölkerung im Einsatzgebiet« soll er sorgen, zur »Lagebeurteilung« beitragen, »Kontakte mit (einheimischen) Multiplikatoren herstellen«, seine Informationen den »Dienststellen zur Verfügung stellen«. Zuständig für diese Jobs ist bei der Bundeswehrzentrale der Stab für »Operative Information«. Militärgeschichtlich neu ist diese Profession nicht. Auch die Deutsche Wehrmacht wurde, wenn sie in fremde Länder einfiel, interkulturell aktiv (oder »proaktiv«, wie die Bundeswehr sich jetzt ausdrückt) – Kompetenz ethnologischer Art war gefragt, um Nachrichten zu sammeln und auszuwerten, Propaganda zu betreiben, Kollaborateure ausfindig zu machen. Begrifflich freilich ging es damals noch etwas unbeholfen zu. Die Bundeswehrwerbung für mögliche Berufseinsteiger nennt Voraussetzungen: »Erfahrungen in zentralasiatischen Kulturen«, »abgeschlossenes Studium zum Beispiel in Orientalistik oder Slawistik«. Slawistik? Sind weitere Einsatzgebiete vorgesehen? Marja Winken SouveränDie Energiekonzerne wünschen längere Laufzeiten für diejenigen Atomkraftwerke, die schon schrottig und längst abgeschrieben sind, denn die kosten nicht mehr viel und werfen um so mehr Profit ab. Die Bundesregierung will den Unternehmen diese Gefälligkeit erweisen, fordert aber so etwas wie Gewinnbeteiligung in Form einer Brennelementesteuer. Außerdem ist von zusätzlichen Sicherheitsauflagen die Rede. Darauf wollen sich e-on, RWE, Vattenfall und EnBW, wie die Vorstandschefs öffentlich erklärten, nicht einlassen: Wenn die Regierung bei ihren Ideen bleibe, würden sie die Atommeiler vorzeitig abschalten, dann könnten die Kunden in die Röhre gucken. Außerdem kündigten sie an, daß sie gegen eine neue Steuer bei der EU Klage erheben würden. Für den Fall, daß derlei Ankündigungen (Erpressung sei das nicht, nur ein Hinweis auf mögliche Folgen) nichts brächten, werde auch über eine andere Maßnahme nachgedacht: Steuerverweigerung! Da werden die Kanzlerin und ihre Minister doch wohl begriffen haben, wo hierzulande die Souveränität liegt. Etwas dezenter freilich hätten die Herren doch vorgehe können. »Wenn Gespräche laufen, ist es nicht hilfreich, wenn Drohgebärden nach draußen dringen«, ließ Angela Merkel über ihren neuen Regierungssprecher mitteilen. Drinnen genügt. M. W. PolitmarketingDer Duisburger Oberbürgermeister, ein Pechvogel, mußte zugeben, daß die auch von seiner Stadtverwaltung hinausposaunte Zahl von »1,4 Millionen erwarteten Besuchern« der Loveparade eine zweckdienliche Lüge war. Sie sollte der Zustimmung für das Projekt voranhelfen, Kunden anlocken. Mit bösen Folgen. Zu solchen Marketingmethoden neigen nicht nur Kommunalpolitiker. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle verkündet derzeit, die Bundesrepublik erlebe einen »Wirtschaftsaufschwung XL« mit der Tendenz zu »XXL«, und so kann sein Parteifreund und Kabinettskollege Guido Westerwelle, der Vizekanzler, auf Resonanz hoffen, wenn er fordert, nun endlich sei die Steuersenkungsrunde fällig: Die »Aufschwungsdividende« müsse »weitergegeben werden an die, die sie erwirtschaften«. Gemeint sind die Unternehmer. Möglicherweise werden »XL« und »XXL« beim nächsten Waschgang zusammenschrumpfen. Das macht aber nichts, wenn rechtzeitig die Steuern auf Gewinne kräftig gesenkt werden. Die »Schuldenbremse« sorgt dafür, daß der Staat sein Geld nicht etwa für soziale Zwecke vergeudet. Zita Zürn Negt und die TatsachenGelegentlich macht Der Spiegel einen Ausflug ins Linke. Das geschieht in der Rubrik »Kultur«. Da ließ er denn jüngst in einem Interview den Philosophen Oskar Negt zu Wort kommen, der Kritisches zu sagen wußte über »die Risse in der Sozialordnung« und den Substanzverlust der institutionellen Demokratie. Negt beklagt, daß wir es gegenwärtig »in Politik und Wirtschaft mit sogenannten Realisten, Tatsachenmenschen zu tun haben, die nur noch darauf verweisen, was nicht geht, so daß die Potentiale, die in der Gesellschaft stecken, nicht zur Entfaltung kommen«. An zwei Stellen des Gesprächs wird Negt ganz konkret: bei der Frage nach der Linkspartei und dort, wo er über sein Verhältnis zu Gerhard Schröder Auskunft gibt. In der Linkspartei sieht er »pure Borniertheit am Werk« – wieso? Weil diese »bei der Wahl des Bundespräsidenten durch Enthaltung dem Kandidaten der Konservativen zum Sieg verholfen« habe. Da setzt sich der Philosoph souverän über die Tatsachen hinweg, pures Nachrechnen hätte ihn vor diesem Fehlurteil bewahren können. Und Negts Beziehung zum Kanzler Schröder? Hätte er diesen nicht von den Hartz-Reformen (die Negt für eine »Katastrophe« hält) abhalten können? Wo er Schröder doch sonst freundschaftlich beraten konnte? Da wurde Negt enttäuscht. Aber er hat eine Erklärung für Schröders Verhalten parat: »Ein Bundeskanzler neigt wohl immer zu den Tatsachenmenschen und nicht zu denen, die in Abwägung von Vernunft und Wirklichkeit mit Hegel sagen, umso schlimmer für die Wirklichkeit.« Die Tatsachenmenschen also waren es, die Gerhard Schröder verführt haben? Hegel hin, Hegel her – um Tatsachen ging es auch jenen Menschen, die vor der Hartzerei gewarnt haben. Der Blick auf Realitäten ist nicht klassenneutral. Gerhard Schröder entschied sich für die einen Tatsachen gegen die anderen. »Was nicht geht« hat ihn weniger interessiert als das »Was geht«. Nämlich: Was läßt sich politisch tun, um den Arbeitsmarkt für die Interessen der Konzerne umzugestalten. Damit das Potential, das im Kapital steckt, noch besser zur Entfaltung kommt. Marja Winken Neues über BertelsmannMit einem Festakt in der deutschen Hauptstadt feiert am 16. September das Unternehmen Bertelsmann seine einhundertfünfundsiebzigjährige Erfolgsgeschichte, an teilnehmender Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Medien wird es dabei nicht fehlen. »Ganz gleich, wer regiert, die Bertelsmann-Stiftung regiert immer mit«, schreibt der Journalist Thomas Schuler, der rechtzeitig zum Jubiläum ein Buch über den als »gemeinnützig« auftretenden Teil des Gütersloher Imperiums vorgelegt hat. Erzählerisch stellt er darin die Verzahnung von Geschäft, »Denkfabrik« und Politik dar. Gunter Thielen, Vorsitzender der Bertelsmann-Stiftung und zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des Bertelsmann-Konzerns, gibt sich gelassen: Olle Kamellen seien es, die Schuler da ausgekramt habe, und im übrigen sei die Arbeit der steuerbegünstigten Stiftung nie von den Finanzbehörden beanstandet worden. Damit hat er Recht, aber genau darin steckt auch das Problem: Zu wessen Nutzen geschieht es wohl, wenn ein Großunternehmen »Politik stiftet«, wodurch Geschäftsfelder entstehen, die das Unternehmen mit eigenen Angeboten bewirtschaften kann, unter Begleitmusik der konzerneigenen Medien? Vielsagend weist Thielen darauf hin, daß der Autor des neuen bertelsmannkritischen Buches für seine Recherchen »ein Stipendium der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall« erhalten habe. Offenbar will er Thomas Schuler in eine linke Ecke stellen. Damit tut er dem Mann Unrecht. Der grenzt sich selbst (in einem Interview mit der Neuen Westfälischen) von »idelogisch motivierten Bertelsmannkritikern« ab, denen »diese Stiftung an sich und ihre Politik ein Dorn im Auge« sei; Schuler wünscht sich eine Reform der ins Überdimensionale wachsenden Beratungsagentur in Gütersloh, mehr Transparenz, mehr Abstand zum Konzern. Aber daß man sich »am Hofe von Königin Elisabeth« (wie die Frankfurter Allgemeine neulich die Chefetage von Bertelsmann beschrieb) von frommen Wünschen beeindrucken läßt, ist nicht wahrscheinlich. Dennoch: Schulers Buch ist unbedingt lesenswert; es gibt Einblick in die Methodik des »Politikstiftens«. Arno Klönne Thomas Schuler: »Bertelsmann Republik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik«, Campus Verlag, 304 Seiten, 24.90 € Apropos geistiges EigentumSiebzig Jahre nach dem Tod eines Autors erlöschen seine Rechte. Bis dahin erhalten seine Erben Tantiemen für publizierte oder aufgeführte Werke. Danach stehen diese der Allgemeinheit zur Verfügung. Sie gehen ins öffentliche Eigentum über. Jeder kann sie drucken (und daran verdienen), jeder sie zur Aufführung bringen (und daran verdienen). Nun kann man es mit Brecht und seinem Ausspruch über die »grundsätzliche Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums« halten. Man kann für eine Vergesellschaftung geistigen Eigentums plädieren. In der Tat spricht manches dafür, daß der Menschheit gehören soll, was einzelne Menschen gedacht, gesagt, geschrieben haben. Schließlich hat die intellektuelle Produktion auch gesellschaftliche Bedingungen. Was jemand von sich gibt, wurde zuvor durch Eltern, Schule, Umwelt in ihn investiert. Was an Voraussetzungen noch hinzukommt, Talent, Intelligenz, Charakter, verlangt nicht unbedingt, daß das Ergebnis als Privateigentum betrachtet wird. So einleuchtend diese Argumentation scheint, stellt sich doch die Frage, warum dieses Prinzip nur für geistige Produkte gelten soll. Warum ist man vergleichsweise umstandslos bereit, der Kollektivierung oder Enteignung geistigen Eigentums zuzustimmen, wo man gleichzeitig hartnäckig auf dem Schutz materiellen Eigentums mit allen polizeilichen und militärischen Mitteln besteht und eine Verletzung der Eigentumsverhältnisse für ein fast größeres und strafwürdigeres Verbrechen hält als körperliche Aggression? Warum sollen just Schriftsteller oder Komponisten auf eine angemessene Bezahlung und das Recht zur Vererbung ihrer Produktion verzichten, wo die Enteignung eines Vorgartens zum Zweck einer für die Gemeinschaft erforderlichen Verbesserung der Straßenführung zur Staatsaffäre wird? Überhaupt das Erbrecht: Ist es ein Naturgesetz, daß jemand von einer nicht selbst erbrachten Leistung leben können soll? Wie wäre es mit diesem Vorschlag: Siebzig Jahre nach dem Tod jedes Individuums, das ein Haus gebaut oder erworben hat, steht dieses den Mietern mietfrei zur Verfügung. Wer wollte daran zweifeln, daß Wohnraum für die Menschen zumindest ebenso wichtig ist wie ein Buch, eine Theateraufführung oder ein Konzert? Oder wie wäre das: Siebzig Jahre nach dem Tod eines Sparers geht sein Vermögen in öffentlichen Besitz über. Wie die Rechte an einem literarischen oder musikalischen Werk. Was ist daran absurd? Was besagt es über die Einstellung zu geistiger Arbeit, wenn man geistiges Eigentum anders behandelt als Mietshäuser oder Wertpapiere? Auch hier gilt einmal mehr: Was selbstverständlich erscheint, ist es nicht. Nur die davon profitieren, haben Interesse daran, es selbstverständlich erscheinen zu lassen. Thomas Rothschild Eine verschwiegene TatsacheGeschichte als Märchen – das ist die gelindeste Überschrift, die den Texten voranzustellen gewesen wäre, mit denen in den Medien der Bundesrepublik in Wort und Bild von den Feierlichkeiten berichtet wurde, die aus Anlaß des 60. Jahrestages der Verkündung der »Charta der Vertriebenen« veranstaltet wurden. Ihr Mittelpunkt war das Schloß zu Stuttgart. Die Staatsprominenz, soweit nicht in Urlaub, fand sich vollständig ein. Interpretiert wurde das Ereignis allen Ernstes als Aufbruch der Deutschen nach Europa, diesmal nicht mit Armeen. Klebte einer der Redner dem Ereignis das Etikett »Gründungsdokument der Bundesrepublik« auf (bisher wurde eher das Grundgesetz dafür ausgegeben), wird ein anderer mit der Behauptung zitiert, damals sei »der Grundstein zur europäischen Versöhnung« gelegt worden. Ja, wurde eingeräumt, nicht alle späteren Erklärungen hätten den Geist der Versöhnung geatmet, womit man zart auf Proklamationen ungenannter Landsmannschaften anspielte. Mit Vorsatz verschwieg man, um nur ein einziges Beispiel zu erwähnen, daß man Jahrgang für Jahrgang den Schülern in den allgemeinbildenden Lehranstalten der Bundesrepublik Deutschland politisch-geografische Karten von Europa ausgehändigt hatte, in denen die Gebiete jenseits von Oder und Görlitzer Neiße als deutsche Lande gekennzeichnet waren. Die Karten mußten nicht von Vertriebenenfunktionären in den Lehrbetrieb eingeschleust werden. Hergestellt in privaten Verlagen unter Beteiligung von Historikern, von denen nicht wenige selbst Pädagogen waren, hatten diese Lehrmittel eine staatliche Zulassungsbehörde passiert. Sie waren gebilligt von den zuständigen Ministern der Länder Bayern bis Schleswig-Holstein, Damen und Herren mit unterschiedlichen Parteibüchern. Was in Stuttgart stattfand, gründete sich auf die unverschämte, doch durchaus nicht unbegründete Spekulation, daß die Deutschen, die einen mehr, die anderen weniger, vergeßlich sind, namentlich in Sachen ihrer Geschichte, und daß viele Bürger sich ihre Geschichte gern verklären lassen, während sie von »den Anderen« die Wahrheit und nichts als die Wahrheit einfordern. Kurt Pätzold Ein Palästinenser im HungerstreikSeit dem 26. Juli, als er seinen Hungerstreik begann, sitzt der 39jährige Palästinenser Firas Maraghy schräg gegenüber der Botschaft des Staates Israel in Berlin-Wilmersdorf. Mit seiner Ausdauer hat er inzwischen vielen Deutschen die Lebenssituation der Palästinenser in Ost-Jerusalem zu Bewußtsein gebracht, der Stadt, aus der er stammt. Das ist ein Erfolg. Doch seine konkreten Forderungen sind bislang von der israelischen Botschaft nicht erfüllt worden: Firas Maraghy will erreichen, daß die Geburt seiner jetzt acht Monate alten Tochter Zaynab dort eingetragen wird und sie wie er selbst ein Reisedokument – »Laissez-Passer« genannt – erhält, weil sie sonst kein Aufenthaltsrecht in Jerusalem hätte. Die israelische Botschaft verweigert den kleinen Verwaltungsakt der Eintragung der Tochter mit der Begründung, dafür sei das Innenministerium in Jerusalem zuständig. Mit diesem Ministerium hatte Maraghy aber schon einige Monate zuvor unangenehme Erfahrungen gemacht: Es weigerte sich, die Ehe mit Wiebke Diehl, seiner deutschen Frau, zu registrieren. Begründung: Er lebe mit ihr in Deutschland. Außerdem teilten die Beamten ihm mit, sein Reisedokument werde nur bis 2011 verlängert. Danach müsse er sich mindestens anderthalb bis zwei Jahre in Jerusalem aufhalten, um sein Wohnrecht zu behalten. Wenn Firas Maraghy nun 2011 für eine längere Zeit nach Jerusalem zurückkehren würde, könnte er dort nicht mit Frau und Kind zusammenleben. Wenn sich die Familie nicht für längere Zeit trennen lassen will, müßte Firas Maraghy wohl auf sein Wohnrecht in Jerusalem verzichten – der Stadt, in der seine Familie seit mehr als 150 Jahren ansässig ist. Eine den Menschenrechten widersprechende, rechtswidrige Alternative. In Jerusalem, dessen arabischer Ostteil von der israelischen Armee im Junikrieg von 1967 besetzt und mit Beschluß des israelischen Parlaments von 1980 annektiert wurde, geht es um die systematische Verdrängung der Palästinenser. Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al Haq (Das Recht) veröffentlichte zum Fall Maraghy eine Erklärung, in der es heißt: »Israels Politik, Palästinensern das Recht auf Familienzusammenführung zu verweigern, behindert die Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung, die Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates vorsieht.« Das müßte eigentlich die deutsche und die europäische Politik gleichermaßen auf den Plan rufen, ist die Zwei-Staaten-Lösung doch deren erklärtes politisches Ziel. Aber selbst von Bundestagsabgeordneten ist bislang kein Wort der Unterstützung für Firas Maraghy zu hören, ganz zu schweigen von der Bundesregierung. Nur wegen Sommerpause? Die »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« hat – nach einer Online-Petition an den israelischen Botschafter in Berlin, die innerhalb weniger Tage von über 1.000 Menschen unterzeichnet wurde – eine weitere Petition geschaltet, in der die Abgeordneten aufgefordert werden, sich für Maraghy einzusetzen: »Er wird täglich schwächer, und so ist Ihr Einsatz dringend geboten.« (Die Petition kann unterzeichnet werden unter: www.ipetitions.com/petition/firas-maraghy-bundestagsabgeordnete/). Maraghy stellt keine allgemeinen politischen Forderungen. Er will durch den Tag und Nacht, bei Sonne, Regen, Wind durchgehaltenen Hungerstreik die Rechte seiner Familienmitglieder durchsetzen. Dabei unterstützt ihn eine bunte Koalition aus palästinensischen, jüdischen und israelischen Organisationen, darunter die Internationale Liga für Menschenrechte. Martin Forberg Abraham Melzer, Herausgeber des Semit, schrieb in diesem Zusammenhang an den israelischen Botschafter: »Erst vor wenigen Tagen hat das Oberste Gericht in Israel gezeigt, wie rassistisch und menschenverachtend es ist, als es einen Palästinenser zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil er mit einer jüdischen Israelin Geschlechtsverkehr hatte. Statt die Rassistin zu verurteilen, die sich beklagt hatte, daß sie betrogen wurde, weil der Mann, mit der sie nach zwei Stunden Bekanntschaft ins Bett gegangen ist, sich nicht vor dem Geschlechtsakt als Jude ausgewiesen hatte, sondern seine Herkunft verschwieg, haben die Richter daraus eine Vergewaltigung gemacht… Israel soll ein reiner Judenstaat werden. Fragt sich nur wie?« Red. Walter Kaufmanns LektüreEine schwarze Polizistin, ein jüdischer Anwalt, eine irische Versicherungsmanagerin, ein philippinischer Student, ein dominikanischer Vorruheständler, ein puertorikanischer Mordkommissar, ein jüdischer Software-Entwickler und ein deutscher Reporter – sie alle sind an einem Sommermorgen im Jahre 2006 im Keller eines alten Gebäudes unweit von Ground Zero in Manhattan verabredet. Fünf Jahre liegen seit dem Anschlag auf die Twin Towers zurück – jenem weltweit bekannten 9/11 –, als sie alle vor dem Ascheregen in diesen Keller flüchteten, Staub im Hals und in der Lunge, die Kleider verdreckt und zerrissen. Als vor seinen Augen der Südturm zusammenstürzte, fragte sich der Reporter, welcher Teufel ihn geritten hatte, bis hierher vorzudringen. Schluß mit dem Reporterleben, ein für allemal, dachte er. Bald aber hatte er sich wieder im Griff, besann sich auf seine Kellergenossen, brachte sie zum Reden, notierte sich, was er über sie erfuhr, war wieder ganz im Beruf, ganz Alexander Osang. Und wäre nicht Alexander Osang, wenn er in den Folgejahren diese sieben Menschen aus den Augen verloren hätte. Wie lebten sie, welchen Schicksalsschlägen hatten sie zu trotzen, welches Auf und Nieder zu bestehen, und hatte die Erfahrung 9/11 sie politisiert oder unberührt gelassen? Waren sie weiterhin ausschließlich auf Beruf und Familie ausgerichtet? Eine kleine Welt tut sich ihm auf: New York in a nutshell. Nicht daß er es plötzlich mit einer Schicksalsgemeinschaft zu tun hätte – alles andere als das! Doch jeder von ihnen wird ihm Einblicke besonderer Art vermitteln. Oder anders: Eben weil er der Reporter ist, der er ist, gelangt er zu Einblicken, die dem Leser Schlußfolgerungen ermöglichen und eine weite Sicht ... Und das trifft auch auf die anderen siebzehn höchst (wieder)lesenswerten Spiegel-Reportagen zu, die unter dem Titel »Im nächsten Leben« vereint wurden. W. K. Alexander Osang: »Im nächsten Leben. Reportagen und Porträts«, Ch. Links Verlag, 254 Seiten, 19.90 € PopEine Zeitung, die sich täglich dem Menschen zuwendet, namentlich dessen unterem Teil und den darin wirkenden Kräften, berichtet immer wieder über einen Herrn namens Dieter Bohlen, den sie fortgesetzt den »Pop-Titan« nennt. Danach ist der Mann ein Titan, der Pop fabriziert. Das ist lobend gemeint. Dennoch verwundert, daß der Titan Genannte noch nicht auf Schmerzensgeld und Unterlassung geklagt hat. Titanen sind nach der Sage Verlierer, die Zeus in den Tartaros gesperrt hat, und das wiederum, sagt Homer, ist ein fest verschlossener Abgrund tief noch unter der Unterwelt. Möglich, daß sich besagte Zeitung gern so weit unten umtut, aber daß die Zuweisung eines Platzes unterhalb der Zivilisation eine Schmeichelei sein soll, will mir nicht einleuchten. * Die hannoversche Schülerin Lena Meyer-Landrut, die mit ihrem Song den letzten Grand-Prix gewonnen hat, sagte im Interview: »Wenn ich irgendwann einmal in einem Film mitspielen würde, würde ich gern jemanden spielen, der überhaupt nicht meiner Person entspricht.« Empfohlen wird ihr hiermit eine Rolle als Sängerin. Günter Krone Press-KohlBerlin ist bekanntlich nicht nur die Stadt der Baustellen und Umleitungen, sondern auch eine Metropole der Reisebüros. Adolph Glaßbrenner machte den Eckensteher Nante zu einem lebendigen Wahrzeichen des alten Berlin; im neuen Berlin scheint an jeder Ecke ein Reisebüro Nante zu bestehen. Wir haben mit diesen Ratgeber-Büros die besten Erfahrungen gemacht, unter anderem deswegen, weil dort kein Schnaps ausgeschenkt wird, sondern Empfehlungen gegeben werden, auf die man sich verlassen kann. Fast alle Reiseberater können Fahr-, Flug- und Schiffahrtspläne lesen und deuten. Diese Kunst ist nicht erlernbar, sondern entspringt unerklärlichen Instinkten. Neuerdings werben die »Marienkäfer-Reisen« mit ganzseitigen Inseraten für ihre Angebote. Deren Beschreibungen haben zuweilen magischen Reiz. Über Festtage im Odenwald liest man: »Busanreise ins Hotel. Im Wiesengrund ganz herzlich empfangen und der Odenwälder Begrüßungscocktail überreicht… Im Hotel werden Sie am Abend mit einem gemütlichen und besinnlichen Heilig Abend mit tollem Gourmet-Menü verwöhnt… Mit einem erweiterten Katerfrühstück beginnen wir das Neue Jahr ruhig und gelassen…« Vielversprechend auch Silvester im Altvatergebirge: »Am Abend ist großer Silvesterball im Hotel.« Nicht etwa auf dem Marktplatz. »Nach dem verlängerten Katerfrühstück fahren wir durch die verschneite Landschaft und laden Sie zu Kaffee und Kuchen am Nachmittag.« Silvester in Paris: »Die Stadt an der Seine offenbart Ihnen die Kultur des französischen Lebensstils. Von der Romantik entlang der Seine bis zum typischen Franzosen im Café… Den Silvesterabend starten wir mit einem Festmenü im Restaurant. Paris, Stadt der Liebe.« Das wissen nicht nur die Marienkäfer, sondern auch wir Berliner. Am liebsten flöge ich auf einem Marienkäfer zum Silvester auf Mallorca: »Übrigens: rote Unterwäsche ist als Silvester-Glücksbringer ein absolutes Muß für zukünftiges glückliches Liebesleben…« Warum hat einem das keiner früher gesagt! Ich trage seit Jahren weiße, graue, blaue oder grüne Unterhemden. Was mag mir dadurch entgangen sein? Auf das Wesentliche werde ich jedenfalls auch auf Mallorca nicht verzichten müssen: »01.01. Mit einem verlängerten Katerfrühstück beginnt das neue Jahr entspannend.« Denn ohne verlängerte oder erweiterte Katerfrühstücke kann für Marienkäfer überhaupt kein neues Jahr vorstellen. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 17/2010 |
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