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Ganz am Anfang war ein Mann in Rüstung auf die nachtschwarze Bühne getreten, um sich in ein Schwert zu stürzen, ein Samurai-Krieger, der Harakiri machte. Warum, wird in den folgenden 70 Minuten nicht ganz klar – auch wenn er am Schluß zurückkehrt. Der Einpeitscher kann auch Politiker sein oder Rock-Star, dem die Fans zujubeln. Die Musiker, E-Gitarristen und Schlagzeuger, spielen mit, wie im Raum schwebend, im Dunst, der die ganze Halle füllt, angestrahlt. Ihr Spiel, ohrenbetäubend laut, stampft im Bauch. Ein Kampf mit Instrumenten. Musik als Waffe. Hofesh Shechter ist Choreograph und Schlagzeuger. Die zehn Tänzer sind das Volk, das mitmacht, dem Diktator huldigt. Oder sich auflehnt. Immer wieder die Arme erhebt, als wolle es den Himmel anrufen. Ihr Tanz wirkt manchmal wie ein Ritual, dann wie ein Außer-Sich-Sein. Oder wie der Versuch, sich zu wehren mit schmerzhaften Verrenkungen – auch gegen die Klang-Folter. Die Tänzer stehen in einer Reihe, die Arme oben, Lagerhäftlinge, wehrlos. Ein Aufpasser läuft um sie herum. Der Wechsel der Szenen, zu schnell, als daß man sich ein Bild machen könnte. Der Dunst im Raum. Und das plötzliche Auftauchen einer Gruppe, die, durch Lichtregie sichtbar gemacht, in der Luft zu hängen scheint. Bilder entstehen, wie mit Weichzeichner gemalt. Ein Paar will sich umarmen. Ein Mann mit Pistole verhindert es. Der Schuß wird vom einsetzenden Schlagzeug aufgenommen, das Musik-Chaos geht weiter. Der Rhythmus treibt die Tänzer an und den Blutdruck hoch. »Ich habe das Hörgerät herausgenommen«, flüstert mein Platznachbar seiner Frau zu. Eine Leuchtschrift taucht auf: »Where there is pressure« (wo Druck ist, wo Menschen unterdrückt werden). Sie wird später ergänzt durch: »there is Folkdance«. Der festgelegte, vorgegebene Tanz. »In der Reihe tanzen«, kein Ausscheren erlaubt. Das Sich-Bewegen im Kreis, gleichförmig. Der Rundgang im Gefängnishof. Dieser Volkstanz ist nicht komisch. Die Tänzer und Tänzerinnen zelebrieren ihn, in einen Lichtkreis gebannt. Die Schlußmusik, ein gefühliger Song – angepaßt? Dann kehrt der Einzelne zurück, der Samurai. Er brüllt wie unter Schmerzen. Zieht er das Schwert aus seinem Körper? Wird er frei? Thematischer Schwerpunkt des Festivals ist in diesem Jahr das Wasser. Vorträge und viele andere Veranstaltungen darüber. So auch die Uraufführung »Eiland« der Gruppe »Ligna« aus Hamburg. Wasser in der Hansestadt: die Alster – Binnen- und Außenalster. Zu erleben ist ein »maritimes Hörspiel« auf einem Alster-Inselchen. Jeweils nur eine einzelne Person wird mit einem Kanu auf das künstliche Eiland gefahren, dort ausgesetzt und nach zwanzig Minuten wieder abgeholt. Für die Ohren gibt es Kopfhörer mit einem Hörspiel über das Wasser. Dieses Erlebnis in der Stille – ein Gegensatz zu »Political Mother«. Wenn es nicht regnet und stürmt, kann sich der Ausgesetzte in Ruhe der sanften Musik und den Gedanken, die ihm zugeflüstert werden, hingeben. Die Augen folgen den kleinen Wellen, der Körper, auf dem blauen Ponton liegend, nimmt die Bewegung auf. Es plätschert in den Ohren. Ein manchmal sehr poetischer Text, in den kleine Geschichten eingeflochten sind. Phantasie und Realität. All die teuren Grundstücke ringsum, die Villen, hinter Bäumen versteckt. »Wo der Reichtum nicht wohnt, wird das Wasser verkauft. Besitz beruhigt«, sagt die Stimme in meinem Ohr. Das Wasser ist zur Ware geworden, die sich viele Menschen – noch nicht bei uns – nicht mehr leisten können. Wer ein Wassergrundstück besitzt, will es exklusiv für sich. Der Zugang zum Wasser: privat. Es ist so friedlich hier, man kann eine Hand ins warme Wasser tauchen, den Wolken zusehen. Aber die Meldungen, die uns die Nachrichten bringen, sind schrecklich. Was das Wasser anrichten kann! Ich denke an Pakistan. Aus dem Kopfhörer kommen geflüsterte Nachrichten von Überflutungen in Hamburg: »Eine Zeit lang ragten noch der Michel und das Plaza-Hotel aus den Wellen.« Dann geht alles unter. Vision? Oder Realität? Der Bürgermeister flieht, der Finanzsenator, der Wirtschaftssenator, die Kultursenatorin. Alle weggespült. »Die Rätsel des Wassers bleiben ungelöst«, sagt die Stimme. Von weitem Schwanenschreie. Eine Idylle.
Erschienen in Ossietzky 17/2010 |
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