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Das gilt auch für diejenigen deutschen Kommunisten, die als Emigranten in der Sowjetunion Opfer von Kampagnen gegen angebliche Verräter wurden. Viele verloren ihr Leben. Die Überlebenden, die nach dem hauptsächlich von der Sowjetunion erkämpften Sieg über das Nazi-Regime an die große, schwere Aufgabe gehen konnten, im Ostteil Deutschlands eine nichtkapitalistische, antifaschistische Ordnung zu errichten, bemühten sich um Aufklärung über die Nazi-Vergangenheit und mußten sich dabei gegen die vorherrschenden Verdrängungs- und Verleugnungstendenzen durchsetzen. Über ihre Opfer-Erfahrungen in der Sowjetunion zu berichten, konnte ihnen da kaum in den Sinn kommen. Später hätte es bessere Gelegenheiten gegeben und wäre es auch immer wichtiger gewesen, zu realistischen Vorstellungen über die Sowjetunion beizutragen und die Wahrheit über die an ihnen verübten Verbrechen nicht der antikommunistischen Propaganda zu überlassen. Aber sie hofften fest, die Sowjetunion werde auf Dauer den Bestand der DDR garantieren; daran wollten sie keinen Zweifel aufkommen lassen. Die Hoffnung trog. Ossietzky hat einen Zeitzeugen gebeten, über das Schweigen dieser Opfer zu berichten. Unser Autor Andrej Reder, 1936 in Moskau geboren, war im Auswärtigen Dienst der DDR tätig. E. S. Schon als Jungkommunisten in der Weimarer Republik engagiert, kämpften meine Eltern nach 1933 gegen die Nazidiktatur, wurden von der Gestapo verfolgt und emigrierten im Herbst 1935 auf Beschluß der Parteiführung der KPD in die Sowjetunion. Nur wenige Monate später setzte dort eine Prozeßwelle zur Entlarvung und Verurteilung der »Schädlinge und Spione« ein, von der, wie wir heute wissen, auch viele deutsche Kommunisten und Antifaschisten betroffen waren. Darunter mein Vater, der vom Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) wegen angeblicher Spionagetätigkeit für Deutschland 1938 für zehn Jahre nach Kolyma in Ostsibirien und 1949 für das gleiche »Verbrechen« erneut zu zehn Jahren Zwangsansiedlung in Westsibirien verurteilt wurde. Wir überlebten. Mit meiner Mutter fuhr ich 1948 aus Kasachstan, wo wir seit 1941 in einem Baumwoll-Sowchos lebten, in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands. Erst nach über 17 Jahren, als mein Vater rehabilitiert wurde, war unsere Familientroika wieder in Berlin vereint. Meine Eltern sprachen über diese Zeit nur äußerst zögerlich. Die Frage liegt nahe, warum Kommunisten über das schlimme Unrecht, das ihnen in der Sowjetunion widerfahren war, kaum gesprochen haben. Statt aber dieser Frage nachzugehen, erheben antikommunistische Historiker sogleich heftige Vorwürfe und versuchen, das »verordnete Schweigen« für eine Abrechnung mit dem gewesenen Sozialismus zu instrumentalisieren. Sie wollen ihn auf Gewalt und Repression reduzieren und die sozialistische Idee als solche diskreditieren, damit das kapitalistische System als alternativlos erscheint. Kommunisten, die die Verbrechen überlebt haben, können sich schwerlich dagegen wehren, weil fast niemand von ihnen mehr am Leben ist. Nach seiner Rehabilitierung wurde meinem Vater, wie er mir erzählte, mündlich nahegelegt, über das Erlebte Stillschweigen zu bewahren. Er hat sich daran gehalten. Insofern mag man sein damaliges Schweigen mit besagter »Verordnung« in Zusammenhang bringen. Seine Zurückhaltung in all den 40 Jahren bis zu seinem Tod darauf zurückführen zu wollen, entspräche einem vorgegebenen, um nicht zu sagen »verordneten« Denkmuster zu erliegen. Es mag heute unvorstellbar erscheinen, warum Menschen wie mein Vater, denen schreiendes Unrecht angetan wurde, sich Schweigen auferlegten, aber es war wirklich ihr eigenes Schweigen, sie selbst hatten es sich auferlegt. Diese Selbstverordnung entsprach ihrer Grundüberzeugung, an einem Gesellschaftsentwurf im Interesse der Mehrheit des Volkes mitzuwirken und Persönliches hintanzustellen. Viele Briefe meines Vaters an meine Mutter zwischen 1938 und 1955 und zahlreiche Originaldokumente, die ich erst in den letzten Jahren zur Kenntnis nehmen konnte, bestätigen das. Was aber hat Kommunisten im einzelnen bewogen, über ihr Schicksal zu schweigen? Ihr persönliches Schicksal sahen sie stets im größeren Kontext der weltweiten Auseinandersetzungen zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Als überzeugte Kommunisten wollten sie die Idee einer gerechten, ausbeutungsfreien Gesellschaft verwirklichen. Ihre Überzeugung änderte sich auch dann nicht, als sowjetische Machtorgane an ihnen völlig unerwartet Verbrechen begingen. Auf die Frage, wem es nützen würde, wenn sie darüber sprächen, war ihre Antwort: einzig und allein dem Klassengegner, dessen Ziel darin bestand, den Sozialismus zu beseitigen. Die Feindschaft des Kapitals gegenüber Sowjetrußland seit der Oktoberrevolution, der Überfall Hitlerdeutschlands auf die UdSSR und der Kalte Krieg nach 1945 bestärkten sie in dieser Einschätzung. Sie waren nicht bereit, ihren Gegnern Munition für den politisch-ideologischen Kampf gegen den Sozialismus zu liefern. Hinzu kam die Überlegung, daß das begangene Unrecht nicht mehr rückgängig zu machen war. Jedem einzelnen Betroffenen war klar, daß ihm unsägliches Unrecht widerfahren war, aber erst viel später und in der Regel lange nach ihrer Rehabilitierung erlangten sie Kenntnis vom ganzen Ausmaß und den Hintergründen der Verbrechen. Das wäre ein Grund gewesen, nun das Schweigen zu brechen, aber in dieser Zeit waren die meisten von ihnen bereits aktiv an dem großen Projekt beteiligt, endlich ihre sozialistischen Ideale auf deutschem Boden zu verwirklichen. Diese Möglichkeit hatte sich ihnen ja erst nach der Zerschlagung des Faschismus durch die Sowjetarmee und die anderen Kräfte der Antihitlerkoalition eröffnet. Die verlorenen Jahre in der Verbannung zwangen sie, sich ganz auf die ihnen gestellten Aufgaben zu konzentrieren und dabei nicht zuzulassen, daß gravierende Fehlentwicklungen im Sozialismus, wie sie sie selbst erlebt hatten, sich wiederholen konnten. Sie hielten ein in die Zukunft gerichtetes Handeln für produktiver als eine rückwärtsgewandte Auseinandersetzung mit Entartungen der sozialistischen Idee. Man mag das heute kritisch sehen, aber dieses Verhalten entsprach den Klassenkampf-Erfahrungen der Kommunisten jener Zeit. Die Überlebenden der jahrelangen Repressionen haben nach ihrer Rehabilitierung sowohl Schmerz als auch Scham darüber empfunden, daß eine solche Perversion der sozialistischen Idee möglich gewesen war. Sie wollten darüber nicht reden, denn das hätte sie gezwungen, das Durchlebte noch einmal zu durchleben und zu durchleiden. Sie wollten nicht in Wut und Haß über die »eigenen Leute« verharren, die ihnen tiefen Schmerz zugefügt hatten, und meinten auch, daß man die nachfolgenden Generationen nicht mit dieser Vergangenheit belasten sollte. Bemerkenswert ist, daß nur einige, sehr wenige Betroffene im kalten Krieg die »Fronten« wechselten. Soweit sie Hass gegen den Sozialismus zu ihrer Profession machten und sich im Kapitalismus kritiklos einrichteten, waren sie für Bemühungen um einen sozialistischen Neuanfang verloren. Zu kritischer Aufarbeitung der Geschichte des Sozialismus trugen auch sie in der Regel wenig bei.
Erschienen in Ossietzky 17/2010 |
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