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Das Bundesverfassungsgericht erklärte das Vorhaben in weiten Teilen für verfassungswidrig und postulierte das neue Grundrecht auf »informationelle Selbstbestimmung«: Die Bürgerinnen und Bürger haben prinzipiell das Recht, über ihre Daten selbst zu bestimmen, Eingriffe des Staates in dieses Grundrecht müssen gut begründet sein und den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Auch die (überarbeitete) Zählung 1987 war stark umstritten, Hunderttausenden Menschen boykottierten sie. Diesmal versucht man, die direkte Konfrontation möglichst zu vermeiden. Man will das Volk größtenteils »registergestützt« zählen, indem man Daten zusammenführt, die von den Meldebehörden und der Bundesagentur für Arbeit erhoben wurden; die einzelnen Bürgerinnen und Bürger würden das gar nicht merken. Nur maximal zehn Prozent der Bevölkerung werden – als Stichprobe – Besuch von Volkszählern bekommen, außerdem sämtliche Haus- und Wohnungsbesitzer, die Angaben zu ihren Immobilien machen müssen. Doch harmloser ist das mindestens 700 Millionen Euro teure Projekt deswegen nicht. Der »AK Zensus«, zu dem sich Bürgerrechtler aus verschiedenen Verbänden zusammengetan haben, kritisiert vor allem, daß die Daten zweckentfremdet würden: Die Meldebehörden haben persönliche Angaben schließlich zu bestimmten Zwecken erfaßt, ebenso die Bundesagentur für Arbeit. Diese Daten nun zusammenzuführen, ohne daß die »Eigentümer« dieser Daten, also die Bürgerinnen und Bürger selbst, nach ihrer Einwilligung gefragt werden, verstoße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Rechtsanwalt Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, erklärt dazu: »Mit den zweckentfremdeten Informationen aus diversen staatlichen Datenbanken, angereichert mit sensiblen Daten einer Zwangsbefragung, entstehen hoch problematische Personenprofile.« Sowohl die Daten der Meldebehörden als auch die der Bundesagentur für Arbeit sind persönlicher Art: Arbeitsort, ausgeübter Beruf, Schulabschluß und so weiter. Mit den Meldedaten werden auch bestehende Übermittlungssperren sowie die Gründe dafür in die neue Riesendatei übertragen, beispielsweise Angaben über Opfer von Gewalttaten. Bei der Stichprobe wird es dann noch persönlicher. Es beginnt mit Fragen nach Haushaltsgröße, Familientyp und Erwerbsstatus und geht dann weiter ins Einzelne. Besonders in der Kritik stehen Fragen nach der Zugehörigkeit zu Minderheiten, sogenannte diskriminierungsrelevante Fragen. So müssen sich auch in Deutschland Geborene über ihren etwaigen Migrationshintergrund, also über die Zuwanderung der Eltern, äußern. Muslime, die keiner »öffentlich-rechtlichen« Religionsgemeinschaft angehören, sollen differenziert Angaben machen, ob sie sich dem sunnitischen, schiitischen oder alevitischen Islam zugehörig fühlen. Diese Angaben – nur diese – sind zwar freiwillig, aber wie intensiv werden die Zähler die Befragten darauf hinweisen? Und worin liegt überhaupt der Sinn einer solch akribisch-differenzierten Erfassung von Muslimen? Bei allen anderen Fragen besteht, wie schon in früheren Zählungen, Auskunftspflicht. Wer verweigert, dem droht ein Bußgeld in vermutlich dreistelliger Höhe. Den Daten wird eine sogenannte Ordnungsnummer zugeteilt. Dadurch können bis zur Löschung vier Jahre später die Namen der Befragten sowie ihre Angaben einander zugeordnet werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1983 eine solche »Personenkennziffer« ausdrücklich verboten. Grundsätzliche Bedenken richten sich auch gegen die geplante Speicherung in einer neuen, zentralen Datenbank, weil diese mißbrauchsanfällig sei. Eine Riesendatei mit aktuellen Angaben zu Adressen, Alter, Einkommen und Beruf ist ein Dorado für kriminelle Datendiebe. Auch der Staat selbst könnte geneigt sein, für heute noch gar nicht definierte Zwecke auf die Datei zuzugreifen. »Terrorabwehr« oder Kriminalitätsbekämpfung sind bekanntlich immer für einen Grundrechtsverstoß gut, und das Beispiel der Mautdaten, die inzwischen bei der Verkehrsindustrie gelandet sind, zeigt, daß der Verwendungszweck von Datenerhebungen wandelbar ist. Für die Zwecke, mit denen der »Zensus 2011« offiziell begründet wird, sind die Daten, die da erhoben werden sollen, nach Ansicht des schleswig-holsteinischen Landesbeauftragten für Datenschutz, Thilo Weichert, schlicht überflüssig. Die Daten etwa, die man für die Planung von Schulbauten oder Verkehrswegen brauche, erhebe man ohnehin, dafür brauche man die Volkszählung nicht. Eine solche Erhebung sei, so Weichert, »nicht erforderlich«. Sie sei lediglich »aufwändig, teuer und – natürlich – eine Gefährdung für den Datenschutz der Menschen.« Parallel zur Verfassungsbeschwerde hat der »AK Zensus« eine Aufklärungskampagne gestartet, die um so notwendiger ist, als die Angriffe auf die »informationelle Selbstbestimmung« zunehmen; besonders gefährlich sind das ELENA-Projekt zum Ausspionieren von Beschäftigten und die noch nicht ad acta gelegten Pläne zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten. All diese Vorhaben erfordern Wachsamkeit und auch über das Jahr 2011 hinaus kontinuierliche Bürgerrechtsarbeit zum Schutz der Privatsphäre.
Erschienen in Ossietzky 17/2010 |
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