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Diese schöne, wenn auch überraschende Botschaft überbrachte ein Erzengel namens Gabriel, der ihr, so zumindest ist es im Buch der Bücher bei Lukas 1, 28-38 nachzulesen, die unerwartete Schwangerschaft so erklärte: »Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.« Die Verheißung erfüllte sich, und seitdem gilt Erzengel Gabriel als »Engel der Verkündigung«. Wie es scheint, will Sigmar Gabriel, der momentane SPD-Vorsitzende, nicht hinter seinem Namensvetter zurückstehen. Kurz bevor er das Amt des obersten Parteiretters übernahm, verkündete er in der ARD-Sendung »Farbe bekennen«, daß er »angstfrei« mit der Linkspartei umzugehen gedenke und daß eine Koalition mit ihr nach der Bundestagswahl 2013 nicht auszuschließen sei. Die dieser aufsehenerregenden Erklärung folgenden Monate zeigen allerdings, daß Gabriel seltsame Wege geht, um die Verkündung in die Realität umzusetzen. Er bedient sich einer Methode, die von ehrgeizigen Gymnasiasten bekannt ist: Während der Prüfungsarbeit schreiben sie vom Nachbarn ab, und in der anschließenden Hofpause beschimpfen sie ihn und treten ihm gegen das Schienbein. Gabriel setzt den Kurs seines Vor-Vorgängers Kurt Beck fort und versucht der Linkspartei dadurch das Wasser abzugraben, daß er eine Reihe ihrer Forderungen übernimmt. Beck war bekanntlich ein scharfer Gegner des Mindestlohnes und wandelte sich unter dem Druck von links zu einem seiner glühenden Vorkämpfer. Ähnlich der amtierende SPD-Chef. Als Ministerpräsident von Niedersachsen (1999 bis 2003) und später als Bundesminister in der schwarz-rosa Merkel-Regierung (2005 bis 2009) verteidigte er die soziale Schandtat Agenda 2010, jetzt läßt er die soziale Agenda der Linkspartei sorgfältig durchsehen, um den eigenen Forderungskatalog aufzubessern. Der Positionswandel reicht, um nur einige Beispiele zu nennen, von der Erhöhung des Spitzensteuersatzes, der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I auf bis zu 24 Monate, (36 Monate für Ältere) und der Fortsetzung der geförderten Altersteilzeitarbeit bis zur Wiedereinführung des ganztägigen Betreuungsanspruches für alle Kleinen in Kindertageseinrichtungen, unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern. Lange zurückgewiesene Forderungen Lafontaines und der Linkspartei wie die nach Finanzmarktregulierungen, Börsenumsatzsteuer, Verbot des Handels mit Giftpapieren, Bildung einer Europäischen Wirtschaftsregierung wurden Schritt für Schritt Programmpunkte der SPD. Links wirkt, und das Abschreiben ist durchaus zu begrüßen, wenn nur das Schienbein und die weitergehenden Forderungen der Linkspartei nach Abschaffung der Hartz-Gesetze und der Rente mit 67 sowie nach sofortiger Beendigung des Kriegseinsatzes der Bundeswehr in Afghanistan nicht wären, von den fundamentalen programmatischen Differenzen in der Eigentumsfrage ganz zu schweigen. In seiner Not besinnt sich Gabriel auf ein bewährtes Rezept, das Die Welt schon 2008 der SPD ans Herz legte: »Seit die Linkspartei aufgetaucht ist, kämpft die SPD um ihr Profil. Dabei hat die Partei eine große antikommunistische Tradition. Die muß sie erneuern, um in der Auseinandersetzung mit der Linkspartei bestehen zu können.« Und der SPD-Chef erneuert die große Tradition. Er wettert gegen Die Linke, was das Zeug hält, und beschimpft sie als »fundamentalistische Partei«, in der »Lafontaine und Wagenknecht mit ihrer Mischung aus Machiavellismus und Betonkommunismus das Zepter schwingen« und die »alles oberhalb einer Currywurstbude verstaatlichen will«. Gerade bei letzterem Unfug hätte er nur einen Blick in den Entwurf des Grundsatzprogrammes der Linkspartei werfen müssen, um eines Besseren belehrt zu werden. Doch Sachlichkeit ist seine Sache nicht. In seinem heiligen Zorn auf die linke Konkurrenz kennt er keine Grenzen, wobei er nicht selten ein bemerkenswertes Talent zur Komik zeigt. Überzeugend offenbarte er es auf der Bühne der Bundesversammlung in dem Schmierenstück »Gauck gegen Wulff«, in dessen Schlußakt er in der Weigerung der Linkspartei, den »Wanderprediger in Sachen Freiheit und Demokratie« und bekennenden Antikommunisten in das höchste Staatsamt zu wählen, den Beweis für deren Regierungsunfähigkeit sah. Gauck indes bleibt sein Idol, denn dieser hat »es geschafft, die Erinnerung daran wachzurufen, daß die Demokratie eine eigene Schönheit hat«. Das weiß niemand besser als Gabriel selbst. So ruft er denn mit Verve zum Umsturz in der Linkspartei auf und posaunt: »Die Reformer der Partei Die Linke müssen jetzt endlich den Kampf aufnehmen« und »Die Linke muß sich ändern. Mehr Bartsch und Brie! Und weniger Lafontaine und Wagenknecht!« Mehr Schreiner und Dreßler, weniger Steinmeier und Müntefering in der SPD fordert er nicht. Nein, der SPD-Vorsitzende kennt die zauberhafte Schönheit der Demokratie. Zu ihr gehören Aufrichtigkeit und die Fähigkeit zur Selbstkritik. Über beides verfügt er im Übermaß. Erst unlängst hat er es in einer ARD-Sendung bewiesen. Zurückblickend auf die rot-grüne und die darauf folgende Große Koalition nannte er es den »vielleicht schwersten Vorwurf«, den man Sozialdemokraten machen könne, daß es nicht gelungen sei, »die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen«. Was für eine ehrliche Haut ist er doch! Er übt Selbstkritik, wo sie gar nicht nötig ist. Alle Welt weiß doch, wie Schröder, Müntefering, Steinmeier und auch er persönlich, beginnend mit der Agenda 2010, sich aufopferungsvoll und selbstlos bemüht haben, die Schere in den Griff zu bekommen und die Umverteilung von oben nach unten voranzubringen. Das Ergebnis dieser Herkulesarbeit ist bekannt. Nun aber will er das Volk mehr entscheiden lassen. Zur Überraschung selbst seiner Parteifreunde kündigte er an, die SPD werde sich für Plebiszite auf Bundesebene einsetzen. Wie es der Zufall wollte, hatte die Bundestagsfraktion der Linkspartei wenige Tage zuvor einen detaillierten Entwurf zur Einführung von Volksentscheiden vorgelegt, den der SPD-Chef bei seiner bravourösen Initiative mit keinem Wort erwähnte. Wozu auch? Schließlich ist seine Partei die führende Oppositionskraft, die der Linkspartei nicht bedarf. So ist es denn nur allzu verständlich, daß Gabriel ein Gesprächsangebot des Ko-Vorsitzenden der Linkspartei, Klaus Ernst, zur Abwehr der schwarz-gelben Sozialpolitik ablehnte, da dieses »ein Offenbarungseid und Ausdruck äußerster Hilflosigkeit« sei. Gegenüber dem Spiegel fügte er hinzu: »Ich werde die Partei Kurt Schumachers nicht in ein Bündnis mit einer Partei führen, die ein ungeklärtes Verhältnis zum DDR-Unrecht und zum Parlamentarismus hat.« Unverständlich und ein Geheimnis bleibt allerdings, wie Gabriel mit einer solchen Ausrichtung seiner Partei und mit solchen Sprüchen seine eingangs erwähnte Ankündigung, »angstfrei« mit der Partei Die Linke umzugehen und eine Koalition 2013 nicht auszuschließen, umzusetzen gedenkt. Wer weiß – vielleicht vertraut er auf die Kraft seines Vornamens »Sigmar«, dessen althochdeutschen Wurzeln »sigu« und »mari« »Sieg« und »berühmt« bedeuten. Und vielleicht glaubt er deswegen, daß er in Anlehnung an den Erzengel Gabriel eines Tages wird verkünden können, es sei zur unbefleckten Empfängnis, also ohne den sonst immer erforderlichen lustvollen Kontakt, und damit zu einer rosa-roten Koalition gekommen – natürlich unter seiner weisen Führung.
Erschienen in Ossietzky 16/2010 |
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