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England beginnt nach dem Regierungswechsel gleichfalls mit energischen Ausgabenkürzungen. Ebenso Frankreich: Zwar hatte noch im März die französische Finanzministerin Christine Lagarde von Deutschland eine Stärkung der Binnennachfrage verlangt: Dadurch könne es anderen Staaten der Euro-Zone helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen und ihre Staatsfinanzen zu stabilisieren. Mittlerweile aber gibt Frankreich seinen Widerstand auf und schwenkt auf die deutsche Linie ein. Lagardes neue Parole heißt »rilance« – ein Kunstwort aus Mühe (rigueur) und Aufschwung (relance). Ob das weiterhilft? Lagarde hatte Recht mit ihren Forderungen. Denn in Deutschland sind die nominalen Stundenlöhne im Verhältnis zum Produktionsergebnis je Stunde (also zur Arbeitsproduktivität) viel zu niedrig. Damit kann die deutsche Exportindustrie ihre Produkte billiger anbieten als andere; sie hat Wettbewerbsvorteile. Vor allem aber haben die niedrigen deutschen Einkommen zur Folge, daß Deutschland relativ wenig aus den Partnerländern importiert. Da diese mangels Nachfrage weniger exportieren und weniger Exportgüter herstellen, nimmt die Beschäftigung ab, und die Steuereinnahmen schrumpfen. Deutschland ist also in der Tat Verursacher ihrer Handelsbilanzdefizite und eines Großteils ihrer Staatsdefizite. Das hat zunächst auch die EU-Kommission so gesehen. Mittlerweile aber folgen alle dem deutschen Kurs. Interne Abwertung heißt die euphemistische Umschreibung. Die Lösung soll so aussehen: Weil die Lohnstückkosten in Deutschland von 1999 bis 2009 nur um sieben Prozent gestiegen sind, in Frankreich und Spanien aber um 22, in Portugal um 33 und in Italien um 35 Prozent, fordert man: Die Lohnkosten in diesen Ländern müssen sinken. Das läßt sich erreichen mit sinkenden Stundenlöhnen (als Hebel dienen ein verringerter Kündigungsschutz und eine Kopie der deutschen »Hartz IV«-Gesetze) oder auch mit konstanten Stundenlöhnen bei steigender Arbeitsproduktivität und steigenden Preisen. Sicherlich ließe sich dieselbe Wirkung auch erzielen durch eine interne Aufwertung, also eine Steigerung der deutschen Löhne. Das aber geht den Unternehmern gegen den Strich. Was kümmert sie der Ausgleich der Handelsbilanzen mit höheren deutschen Löhnen, wo sie doch von Deutschland alle Argumente für Lohnsenkungen geliefert bekommen! Der Sachzwang kommt aus dem feindlichen, mächtigen und anmaßenden Deutschland. Da muß jeder aus Gründen der nationalen Verteidigung in Lohnsenkungen einwilligen. Überdies wird mit dem lästigen Sozialstaat aufgeräumt, und obendrein schafft die drohende Arbeitslosigkeit bei niedriger Arbeitslosenunterstützung Disziplin am Arbeitsplatz. Diese Politik wird die EU unter der Anleitung Deutschlands zu einer lang anhaltenden Stagnation verdammen. Die legitimierenden Redensarten sind schon im Umlauf: »das Vertrauen der Märkte wiedergewinnen«, »wettbewerbsfähiger werden«. Allemal sind Märkte und Wettbewerb eine menschliche Nutzveranstaltung zur Organisation der Wirtschaft, sie sind Werkzeuge. Hat der Maurer je versucht, das Vertrauen seiner Kelle wiederzugewinnen, wenn ihm was schiefgegangen ist? Er hat genau hingesehen und sich, wenn nötig, eine neue besorgt. Hier werden neue Mythen geschaffen, nachdem die alten bei der Säkularisierung der Gesellschaft unter die Räder gekommen sind. Statt der Schöpfungsmythen nun der Mythos vom Vertrauen der Märkte, vom Wettbewerb und der Wettbewerbsfähigkeit! Aber beachten wir: Im Gegensatz zur logischen Erkenntnis bildet der Mythos keine Urteile, sondern will Realitäten darstellen, für die er keine rationalen Beweise erbringen will. Ein Rückgriff auf ein magisches Weltbild also! Je weniger leistungsfähig der Kapitalismus, desto abstruser die Rechtfertigung der Politik. Aber wenn uns die Märkte nach allen Opfern wieder vertrauen, wenn alle EU-Länder gleich wettbewerbsfähig sind, wer soll dann das kaufen, was wir so wettbewerbsfähig herstellen? Auf dem europäischen Binnenmarkt ist die Kaufkraft geschrumpft. Die öffentlichen Ausgaben sind gesenkt, die Löhne sind niedrig. Also muß sich alle Hoffnung auf Exporte in die USA oder die Schwellenländer richten. Die USA aber werden nicht der Endverbraucher in letzter Instanz sein, werden also ihr Wachstum nicht durch Konjunkturprogramme anregen, damit Deutschland mehr exportieren kann. Und die Schwellenländer? Zu bedenken ist: 74 Prozent der deutschen Exporte gehen nach Europa, 63 Prozent in die EU und 43 Prozent in die Euro-Zone. Die Schwellenländer haben an den deutschen Exporten einen Anteil von – großzügig gerechnet – zehn Prozent, das sind 78 Milliarden Euro (Lateinamerika, Volksrepublik China, südostasiatische Schwellenländer). Will Deutschland seine Exporte in diese Länder auch nur um 25 Milliarden steigern (ein Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes), dann müssen die Importe in diese Länder um ein Drittel ansteigen. Nun hängen die deutschen Exporte – vor allem der Export sogenannter höherwertiger Kapitalgüter – im wesentlichen vom Wachstum bei den Handelspartnern ab. Je höher ihr Wachstum, desto mehr können sie importieren. Als grobe Regel kann gelten: Wenn die Schwellenländer ihre Importe um 30 Prozent steigern sollen, dann muß ihr Wachstum um 30 Prozentpunkte zulegen. Das aber ist nicht zu erwarten (das chinesische Wachstum beträgt zehn Prozent). Und selbst wenn ihnen ein derart schnelles Wachstum beschieden wäre, würden die deutschen Exporte doch nur um 25 Milliarden Euro, also um ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes steigen. Das bedeutet Stagnation, vor allem, wenn die Staatsausgaben und der Lohnanteil am Volkseinkommen sinken. Deutschland und die EU steuern also auf eine lange Phase der wirtschaftlichen Stagnation zu: Äußerst niedrige Wachstumsraten, steigende Arbeitslosigkeit, die auch durch definitorische Erhebungstricks nicht mehr zu kaschieren ist. Und wie wird es politisch weitergehen? Wird die Linke mit ihrem Programm schließlich überzeugen können, wird die SPD mit ihrer Schröder-Gabriel-Linie brechen? Oder läuft alles eher auf ein Erstarken der radikalen Rechten hinaus, weil ja das Ausland unser Unglück ist? Die faulen Griechen zum Beispiel, die uns Deutschen auf der Tasche liegen. Das Wahlergebnis in Ungarn deutet diese Richtung an. Andererseits zeigt das Ergebnis der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Die Griechenlegende hat der Koalition keine Stimmen gebracht. Der Wirtschaftswissenschaftler Professor Herbert Schui hat an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik gelehrt und gehört seit 2005 dem Bundestag an. Nach wie vor aktuell ist das Buch »Geld ist genug da«, das er 1996 gemeinsam mit Eckart Spoo herausgegeben hat. Webseite: http://herbert-schui.de/
Erschienen in Ossietzky 15/2010 |
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