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Um so notwendiger ist es, die Ursache der Finanzmarktkrise in Erinnerung zu behalten: den weltweit praktizierten Neoliberalismus, der für die Wirtschaftspolitik nur eine einzige Zielorientierung kennt: Umverteilung von unten nach oben.« Was ist seit Anfang 2009 geschehen? Die neoliberalen Umverteilungsgewinner wollten nicht für die Krise haften. Deshalb wurde der Staat über Nacht zum Heilsbringer erklärt. In vulgär-keynesianischer Manier buchte er die den Vermögenden drohenden Verluste um – zur Staatsverschuldung. Banken wurden gestützt und sogar verstaatlicht, Konjunkturpakete geschnürt, Abwrackprämien und Kurzarbeit aus öffentlichen Kassen bezahlt. Dennoch brach die reale Wirtschaftsleistung in Deutschland um bisher unvorstellbare fünf Prozent ein. Daran zeigte sich die ganze Wucht der Krise. Ohne staatliches deficit-spending, ohne antizyklisches Gegensteuern im konjunkturellen Abschwung, ohne expansive Geldpolitik mit niedrigsten Zinssätzen wäre die Wirtschaft noch tiefer eingebrochen, und die Folgen wären vielleicht nicht mehr beherrschbar gewesen. Dennoch darf man bei dem scheinbaren Paradigmenwechsel der deutschen Politik nicht übersehen, daß die Konjunkturpakete zu zögerlich gepackt wurden. Außerdem waren sie angesichts des dramatischen Konjunktureinbruchs noch zu klein bemessen. Aber immerhin betrug der Impuls der Finanzpolitik im Jahr 2009 gut 36 Milliarden Euro (1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts), und er wird in diesem Jahr immerhin noch fast 25 Milliarden Euro (ein Prozent des BIP) ausmachen. Weiterhin besteht aber in Deutschland Massenarbeitslosigkeit. Trotz des in den Medien stolz verkündeten Rückgangs der amtlichen Arbeitslosenzahlen sind nach wie vor gut vier Millionen Menschen ohne Arbeit. Dabei ist nicht einmal die große Zahl der nur prekär Beschäftigten mitgerechnet. Vor diesem Hintergrund die Krise für beendet zu erklären, ist fahrlässig. Verantwortungslos ist es, die Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise – eben den von unten nach oben umverteilenden Neoliberalismus – in der politisch-öffentlichen Krisendiskussion auszublenden und allenfalls Krisenauslöser zu benennen. So haben dann die Amerikaner und die US-amerikanische Notenbank Fed mit ihrer expansiven Geldpolitik Schuld, oder wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, wie neben vielen anderen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel uns bezichtigt. »Die Banker« werden pauschal für schuldig erklärt, und Verwürfe richten sich auch gegen zu sehr deregulierte Finanzmärkte, die man aber bis heute nicht wieder reguliert hat. Im Gegenteil: Was die sogenannte Elite der Weltpolitik (»G-20-Gipfel«) bis heute zustande gebracht hat, kann man nur als absolutes Versagen bewerten. Den Versprechungen und großen Worten folgten lediglich hohle Taten, denn die politischen Herrschaftseliten und Plutokraten wollen gegenüber der Öffentlichkeit nicht die wahre Krisenursache offenlegen, weil ihnen das schlecht bekommen würde. Deshalb wird weiter abgelenkt, desinformiert und mystifiziert – koste es was es wolle (selbst die nächste große Krise), nur nicht das Vermögen und die Macht der Reichen. Daß diese es politisch geschickt geschafft haben, die Krisenverluste zu sozialisieren und die Gewinne zu privatisieren, zeigt die von der Deutschen Bundesbank veröffentlichte gesamtwirtschaftliche Vermögens- und Finanzierungsrechnung. So hat allein von 1991, also nach der Wiedervereinigung, bis 2009 das Vermögen der privaten Haushalte in Deutschland um gut 1,8 Billionen Euro zugenommen. Dies waren jahresdurchschnittlich 96,8 Milliarden Euro privater Reichtumszuwachs. Im selben Zeitraum nahm die Staatsverschuldung (öffentliche Armut) um knapp 888 Milliarden Euro zu. Dies waren jahresdurchschnittlich 46,7 Milliarden Euro. Außerdem standen die Unternehmen (ohne Finanzinstitute) mit gut 461 Milliarden Euro und das Ausland mit knapp 749 Milliarden Euro bei deutschen privaten Haushalten und den Kreditinstituten in der Kreide (vgl. Tabelle). Gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung und ihre Finanzierung von 1991 bis 2009 (Finanzierungssalden in Milliarden Euro)
Hier wird die Täuschung des deutschen Volkes durch die herrschende Politik und ihre neoliberalen Helfer aus Wissenschaft und Medien in ihrem ganzen Ausmaß sichtbar. Vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Vermögensrechnung bleibt nichts mehr übrig von den volksverdummenden Sprüchen wie »Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt« oder »Wir können nicht weiter unseren Kindern so hohe Schulden hinterlassen«. Die Summe allen Vermögens (positive Werte in der Tabelle) entspricht exakt der Summe aller Schulden (negative Werte). Der Saldo ist immer gleich Null. Was die einen gewinnen, müssen die anderen verlieren. Dies gilt selbstverständlich auch für die Beziehungen zum Ausland. Wenn man »Exportweltmeister« ist, mehr exportiert als importiert, also mehr Geld aus dem Ausland einnimmt, als man dort ausgibt, dann lebt die Volkswirtschaft nicht über ihren, sondern unter ihren Verhältnissen. Ein »wir« gibt es hier aber nicht. Diejenigen, die Schulden vererben und in exakt gleicher Höhe auch Vermögen, sind eben nicht dieselben. Den zehn Prozent der reichsten Erwachsenen in Deutschland gehören vom gesamten Vermögen (Geld-, Immobilien- und Produktivvermögen) gut 61 Prozent. Zwei Drittel der Bevölkerung haben so gut wie gar kein Vermögen, und etwa 27 Prozent sind hoch verschuldet. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat soeben in einer Langzeiterhebung festgestellt, daß die deutsche Gesellschaft im ersten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends rapide auseinandergedriftet ist. Im Jahr 2000 gehörten 18 Prozent der Bevölkerung zur Unterschicht. 2009 waren es schon 22 Prozent, und die Tendenz ist weiter steigend, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich. Um die Reichen und Vermögenden in Deutschland zu bedienen, gibt es die beiden Schuldner, den Staat und das Ausland. Daß die produzierende und Dienstleistungen anbietende Wirtschaft (ohne Finanzinstitute) ebenfalls verschuldet ist, liegt in der Natur der Sache. Schließlich benötigen die Unternehmen den Kredit für ihre Geschäfte, schütten aber regelmäßig ihre Gewinne an private Haushalte aus. Im Gegensatz dazu hat die Finanzwirtschaft, trotz der Verluste einzelner Institute, selbst in der Krise noch ihr Vermögen steigern können. Selbstverständlich haben die Schuldner den Vermögenden für die gegebenen Kredite Zinsen zu zahlen, die deren Vermögen noch weiter erhöhen. Und wenn das Ausland wie im Fall Griechenland in Zahlungsschwierigkeiten gerät, dann wird sogar die europäische Staatengemeinschaft zur Hilfe gerufen. Was stört die neoliberalen Geister da noch ihr ideologischer Schlachtruf »Privat vor Staat!«? Unverfroren fordern die neoliberalen Verursacher der Krise die Sozialisierung der Verluste durch Staatsverschuldung ein, ohne selbst einen Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten. Und jetzt stellen sie die Staatsverschuldung sogar als Krisenursache hin, die durch »Konsolidierung« oder auch »Sparprogramme« zu Lasten der Schwächsten der Gesellschaft reduziert werden müsse. Das ist blanker Zynismus und sollte deutlich machen, daß man einem argen Trugschluß erläge, wenn man glaubte, der Neoliberalismus sei mit der kurzen »Rückkehr des Staates« am Ende. Im Gegenteil: Mit der europäischen und der 2009 ins Grundgesetz geschriebenen deutschen »Schuldenbremse« besitzen die Neoliberalen ein Instrument zur Durchsetzung ihrer alten Umverteilungspolitik in Form rücksichtsloser Haushaltskonsolidierung bei (womöglich gleichzeitiger) Steuersenkung für Unternehmer und Vermögende. Genau diese Umverteilung ist mit dem von der schwarz-gelben Bundesregierung jetzt geplanten »Sparpaket« in Höhe von 80 Milliarden Euro, verteilt über fünf Jahre, intendiert. Besonders perfide sind dabei die Kürzungen bei den Ärmsten der Armen, den »Hartz IV«-Empfängern und Arbeitslosen. Aber auch die geplanten Kürzungen bei den Beschäftigten und den Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst werden die Umverteilung von unten nach oben weiter forcieren. Das alles wird jedoch die aktuelle Krise nicht lösen und schon gar nicht zum Abbau der seit Mitte der 1970er Jahre in Deutschland grassierenden Massenarbeitslosigkeit beitragen, sondern die Krise prozyklisch verschärfen und die Gesellschaft noch schrecklicher in Arm und Reich aufspalten. Das einzige, was wirklich hilft, ist neben einer strengen staatlichen Regulierung der Finanzmärkte eine Beseitigung der Krisenursache, also eine Beendigung der neoliberalen Umverteilung von unten nach oben durch eine seit langem überfällige Demokratisierung der Wirtschaft. Professor Heinz-J. Bontrup ist Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Von ihm erscheint in den nächsten Wochen die vierte, erweiterte Auflage seines Standardwerkes »Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft« im PapyRossa Verlag.
Erschienen in Ossietzky 15/2010 |
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