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Sträflich. »Es muß gespart werden.« Das ist eher ein Urteil als ein Aufruf. Wir haben da nichts mehr zu entscheiden. Da ist über uns entschieden. Ursprünglich war mit Sparen gemeint: Geld zurücklegen für schlechtere Zeiten oder für künftige größere Anschaffungen. Wenn heutzutage der Firmenchef vom Sparen spricht, meint er etwas ganz anderes: Kürzung oder Streichung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes (wo es das noch gibt), unbezahlte Mehrarbeit, Eingriffe in Rechte, die seine Vorgänger den Beschäftigten einst zugestanden haben, als die Gewerkschaften noch stärker und kämpferischer waren, als Osteuropa über Jahrzehnte hinweg trotz härtester Anfeindungen den Beweis zu erbringen versuchte, daß Güterproduktion ohne Privateigentum möglich ist, und als im Volk noch das Wissen verbreitet war, wie gründlich sich die Konzerne als Sponsoren und Nutznießer von Nazi-Verbrechen diskreditiert hatten. Sparen heißt heutzutage: wegnehmen, privatisieren, Menschen entrechten, Reichtum immer brutaler von unten nach oben umverteilen. Um den Zynismus auf die Spitze zu treiben, sprechen regierende Politiker jetzt von »Sparpaketen«. Vorbei die Zeit, als wir uns noch über Pakete oder Päckchen freuen durften. »Es muß gespart werden.« Der Glaubenssatz, den die Hohenpriester das Volk immer und immer wieder nachsprechen lassen, genügt zur Begründung für die Schließung von Theatern und Schwimmbädern, für die Einschränkung und Aberkennung der Rechte von Kassenpatienten, für die Demontage von Kostenfaktoren wie Gesundheitsschutz, Naturschutz, Umweltschutz, für die Entlassung von Tausenden und Abertausenden Menschen an jedem Tag. Denn gerade sie, die Menschen, sind Kostenfaktoren. Darum werden sie eingespart, weggespart. Schulen und Universitäten, Bahn, Post und viele andere Gemeinschaftseinrichtungen galten als Errungenschaften, die der Entwicklung individuellen und allgemeinen Wohlstands dienten. Jetzt gründen Konzerne wie Springer (Bild) Konkurrenzunternehmen, die Briefe billiger befördern können als die Post, weil sie ihre Beschäftigten viel schlechter bezahlen. Mit der Begründung »Es muß gespart werden« verschicken staatliche Behörden, zum Beispiel der Berliner Senat, ihre Benachrichtigungen nicht mehr mit der Post, sondern mit Pin. Weil aber Pin seine Beschäftigten so schlecht entlohnt, muß der Staat ihnen Lohnzuschüsse zahlen. So schwächt der Staat die eigene Post. Diese Art »Sparsamkeit« ist alles andere als klug und nur in einer einzigen Hinsicht schlau: nämlich wenn die zuständigen Politiker die Absicht haben, die Gemeinschaftseinrichtungen und die sozialen Dienste gar nicht aufrechtzuerhalten, sondern sie abzuwickeln und letztlich die ganze Wirtschaft dem Kapital zu überlassen. Die Bahn AG gibt neue Waggons in Auftrag. Stellen wir uns das so vor: Mehrere Hersteller machen Angebote. Der das günstigste vorgelegt hat, wird aufgefordert, den kalkulierten Preis um 25 Prozent zu senken – erst dann werde er den Auftrag bekommen. Also verwendet er billigere, schlechtere Materialien, »spart« an Bequemlichkeit und Sicherheit. Und die Bahn AG »spart« dann auch noch an der Wartung. Ergebnis: Immer mehr Züge verspäten sich oder fallen aus. Einen Sinn hat solche »Sparsamkeit« nur, wenn die Bahn an der Börse verhökert werden soll. Konzerne als Bahnbetreiber werden dann erst recht den ganzen Verkehrsbetrieb ihrem Profitinteresse unterwerfen. Sparen wird zum Kaputtsparen. Allein die Verelendung von Millionen Menschen, deren Reallohn sinkt, sofern sie überhaupt noch Lohn beziehen und nicht ganz aus der Erwerbsarbeit verdrängt sind, zerstört Kaufkraft und Nachfrage. Die großen deutschen Konzerne und die regierenden Politiker sorgen sich wenig um den Binnenmarkt, um so mehr aber um ihre Machtstellung auf dem Weltmarkt. Sie wollen weltweit Absatzgebiete erobern und möglichst billig an sämtliche Rohstoffe der Welt herankommen. Aber es wird ihnen schwerlich gelingen, auch nicht durch massive Waffenexporte und verstärkte Militarisierung der Außenpolitik, Ausbeutungsverhältnisse auf Kosten aller anderen Staaten auf Dauer zu verfestigen. Eine neoliberale Politik, die das Wort »humanitär« nur noch als Beiwort zu Militäreinsätzen kennt, untergräbt ihre eigene Zukunft. Die »Sparpolitik« (Herbert Schui zeigt es in seinem Beitrag zu diesem Heft) führt in die ökonomische Stagnation. Es wäre töricht, wenn wir immer wieder vor dem Heiligen Sparzwang in die Knie sinken würden. Im Gegenteil: Nach Jahrzehnten der Umverteilung von unten nach oben muß endlich rückverteilt werden. Eine vordringliche Aufgabe ist die Aufteilung der Lohnarbeit auf das dem heutigen Stand der Produktivität entsprechende Maß von 28 oder 25 Wochenstunden (bei vollem Lohnausgleich, versteht sich), und zwar aus humanitären wie aus ökonomischen Gründen. So könnten wir nach Jahrzehnten auch endlich aus der politischen Stagnation herauskommen. Dies ist eine, nein die gewerkschaftliche Hauptaufgabe, und wenn die heutigen Gewerkschaften sie nicht übernehmen, werden wir neue gründen müssen, die sich nicht mehr dazu mißbrauchen lassen, für vermeintliche Vorteile in der vielbeschworenen Standortkonkurrenz ein Sparopfer nach dem anderen zu bringen. Gewerkschaften, die über Jahre hin immerzu sinkende Reallöhne und steigende Arbeitszeiten legitimieren, machen sich selbst überflüssig. Ohne Arbeitszeitverkürzung um etwa ein Drittel würde die Reservearmee (s. den Beitrag von Ralph Hartmann) immer weiter wachsen und all den gesellschaftlichen Fortschritt verhindern, den der technische Fortschritt ermöglicht. Die schwere Krise des Kapitalismus, die noch lange dauern und sich verschärfen kann, wenn ihre Folgen per »Sparpaket« der großen Bevölkerungsmehrheit zugeschoben werden, muß als dringende Aufforderung zur Demokratisierung der Wirtschaft (Heinz-J. Bontrup) verstanden werden.
Erschienen in Ossietzky 15/2010 |
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