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Brixener Straße: Zweig kann 1931, als der Roman erschien, nicht geahnt haben, daß er zwei Jahrzehnte später selbst in jenem Pankow zu Hause sein würde, in dem Werner Bertin einst seine Studentenbude hatte. Arnold Zweigs Adresse hieß seit 1950 Homeyerstraße 13 – von der Brixener Straße kaum 30 Minuten Fußweg entfernt. Das Haus, das er hier bewohnte, wurde für den Dreiundsechzigjährigen und seine Frau, die Malerin Beatrice Zweig, nach den schweren Jahren im palästinensischen Exil zur idealen Heimstatt. Arnold Zweig wohnte und arbeitete 18 Jahre in der Homeyerstraße. Hier schuf er – obwohl mit fortschreitendem Alter nahezu erblindet – in großer geistiger Regsamkeit sein umfangreiches Alterswerk: Romane, Erzählungen und Novellen, Gedichte und Essays, nicht zuletzt zahlreiche politische Aufsätze und Stellungnahmen zu den Ereignissen der Zeit. Bei seiner Rückkehr nach 15jähriger Emigration war er der damals jungen Generation in Deutschland kaum bekannt. Daß er bereits im Jahre 1915 für sein Drama »Ritualmord in Ungarn« den renommierten Kleistpreis erhalten hatte, war vergessen. Auch sein berühmter Antikriegsroman »Der Streit um den Sergeanten Grischa« war den Jüngeren unbekannt. Daß sich der Schriftsteller jetzt im kommunistisch dominierten Ostberlin niederließ, sorgte für Aufsehen. Nach seiner Ankunft in der zerstörten Stadt am 18. Oktober 1948 hatte er zunächst für kurze Zeit in einem nicht zerbombten Seitenflügel des Hotels »Adlon« unmittelbar neben dem Brandenburger Tor Unterkunft gefunden. Doch bald siedelte er nach Pankow über, in eine kleine Villa in der Nachbarschaft des Schlosses Niederschönhausen. Es war jenes Gebäude, in dem seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Schloßpark-Gärtner gewohnt hatte. Zweig schrieb an seinen Kollegen Lion Feuchtwanger, mit dem ihn eine jahrzehntelange Freundschaft verband, nach Kalifornien: »Die Russen haben mir unmittelbar neben dem Schlößchen Niederschönhausen eine Wohnung angeboten, acht Zimmer, Garten, eine Pforte in den Park, ganz ruhige Straße – früher Schloß-, jetzt Ossietzkystraße.« Und in einem anderen Brief an Feuchtwanger heißt es: »Liebster Feuchtwanger, mitten im Einrichten dieses altmodischen, aber schönen Hauses. Eben bricht die Sonne durch, der Garten voll alter Bäume trieft noch vom Regen, wir liegen mitten im Grünen und wie am Ende der Welt.« Dieses »wie am Ende der Welt« mag es dann wohl auch gewesen sein, das den Dichter bewog, bald nach einer anderen Bleibe Ausschau zu halten. So zog er von der »ollen Ritterburg«, wie er die Schloßgutvilla auch nannte, im Mai 1950 in die Homeyerstraße 13, eine Seitenstraße der Grabbeallee, wo er ausreichend Platz für seine Bücher, für Manuskripte, Kunstgegenstände und Bilder fand. Ein Garten, der die Villa umgab, bot – für Arnold Zweig und seine Frau immer wichtig – Naturnähe, ebenso die Schönholzer Heide, die zu kürzeren oder längeren Spaziergängen einlud. In unmittelbarer Nachbarschaft wohnten alte Freunde, unter anderem der Komponist Hanns Eisler mit seiner Frau Louise, einer Kunstwissenschaftlerin und Übersetzerin, der Dichter Louis Fürnberg, der einflußreiche Johannes R. Becher, mit dem Zweig bald eng im »Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands« zusammenarbeitete. Dabei war die Situation, in der er sich befand, nicht einfach. Sein politisches Engagement für ein antifaschistisches Deutschland und seit 1949 für die DDR war mit zahlreichen Ämtern verbunden: In der Volkskammer der DDR war er Abgeordneter der Fraktion des Kulturbundes, von 1950 bis 1953 bekleidete er das Amt des Präsidenten der Akademie der Künste, 1957 nahm er die Funktion des Präsidenten des PEN-Zentrums an. Zahlreiche Reisen führten ihn nach Westdeutschland und ins Ausland. Schriftstellerische Arbeiten kamen bei dieser Ämter- und Aufgabenfülle zu seinem eigenen Ärger immer wieder zu kurz. Vor allem ging es ihm in den fünfziger Jahren um die Beendigung seines Hauptwerks, des Romanzyklus über den ersten Weltkrieg »Der große Krieg der weißen Männer«, in dem er jene Kreise von Finanzwelt und Junkertum entlarvte, für die der Krieg ein großes Geschäft war. 1953 konnte er Feuchtwanger berichten – dieser hatte ihn in seinen Briefen immer wieder ermuntert, an seine schriftstellerischen Erfolge vor 1933 anzuknüpfen –, daß der Roman »Die Feuerpause«, der letzte Band des Zyklus, im Manuskript abgeschlossen war. Das Buch erschien im Herbst 1954 im Aufbau-Verlag. Ab Mitte 1955 arbeitete Zweig intensiv am ersten Band, der dann Weihnachten 1957 unter dem Titel »Die Zeit ist reif« gedruckt vorlag und die Schicksale seiner Helden in der unmittelbaren Vorkriegszeit schilderte. Feuchtwanger, der ein druckfrisches Exemplar erhalten hatte, schrieb am 11. Dezember 1957 begeistert in die Homeyerstraße: »Liebster Zweig, ich habe Ihr Buch gleich gelesen mit etwas wie schlechtem Gewissen. Den ich ersticke einmal wieder in Kleinarbeit. Aber ›Die Zeit ist reif‹ hat mich sogleich so brennend interessiert, daß ich weiterlesen mußte, und da ich sehr langsam lese, hat also diese ›Reife Zeit‹ den größten Teil der letzten Wochen beansprucht ... Wie die Einzelschicksale eingebaut sind in die große rollende Welthistorie, das ist Ihnen wieder herrlich geglückt. Auf alle Fälle will ich den Roman meinem amerikanischen Verleger Putnam dringlich ans Herz legen. Oft und gern habe ich wahrgenommen, wie gut sich das Buch in Ihr großes Werk einfügt. Herzlichen kameradschaftlichen Glückwunsch und alles Gute immer Ihr alter Feuchtwanger.« Ein anderes Romanprojekt, das Zweig in Pankow zu Ende brachte, war das Buch »Traum ist teuer«, ein antifaschistischer Emigrantenroman, der ihn seit 1944/45 beschäftigt hatte. »Traum ist teuer« kam 1962 heraus, konnte jedoch nicht an Zweigs Erfolge in früherer Zeit anknüpfen. Mit größtem Interesse und innerer Anteilnahme verfolgte Zweig in jenen Jahren die Entwicklung in beiden deutschen Staaten. Empörend war und blieb für ihn, den engagierten Antifaschisten, daß Altnazis in der Bonner Republik zu Einfluß und Würden gelangten. Mit großer Sorge erfüllten ihn antisemitische Erscheinungen und die Politik der Remilitarisierung. In der DDR sah er den besseren deutschen Teilstaat, in dem den Kräften, die ihn als Juden 1933 aus Deutschland vertrieben hatten, die Machtgrundlagen entzogen waren. Immer wieder fühlte er sich auch verpflichtet, die Erfahrungen seines bewegen Lebens an junge Menschen weiterzugeben. Geradezu rührend lesen sich in diesem Zusammenhang eine Reihe kleinerer Aufsätze wie »Wege zum Malerei-Verständnis«, in denen er unter anderem davon erzählte, wie er sich als junger Mann die Expressionisten, mit denen er zunächst nichts anzufangen wußte, angeeignet hatte. In dem 1963 verfaßten kurzen Beitrag »Über Erziehung zur freien Rede« rief er die Lehrer an den Schulen auf, ihre Schüler das Gelernte stets in freier Rede wiedergeben zu lassen. Hier finden sich die Zeilen: »Als Mitglied unserer Volkskammer stelle ich immer wieder fest, wie gut es gewesen wäre, wenn unsere zukünftigen Abgeordneten schon als Teenager begonnen hätten, die Kunst der freien Rede zu erlernen. Jeder, der zwischen sich und seine Hörer ein Blatt Papier schiebt, bringt sich um den besten Teil seiner Wirkung.« Überhaupt dachte er in jenen Jahren viel an die in der DDR heranwachsende Jugend. Als ihm 1958 Schüler der 19. Grundschule Pankow einen selbst angefertigten Bildband überreichten, bedankte er sich herzlich bei seinen »jungen Pankower Mitbürgern« und schenkte ihnen Bücher für ihre Schulbibliothek. Ihm entging aber auch nicht, daß Bürokratismus und Bevormundung das geistig-kulturelle Leben in der DDR lähmten und vergifteten. In Gesprächen mit Ministerpräsident Otto Grotewohl und anderen Mitgliedern der Regierung äußerte er unverblümt Kritik an Erscheinungen, die ihm mißfielen, etwa dem wachsenden Einfluß einer ungebildeten Parteibürokratie, Leuten, die sich als »Unteroffiziere« (so Zweig) in das kulturelle Leben einmischten. Äußerst kritisch stand er dem »sozialistischen Realismus« gegenüber. Dazu schrieb er 1951 Lion Feuchtwanger: »Der sogenannte sozialistische Realismus, über den ich nur mit Ihnen und Ehrenburg (dem sowjetischen Schriftsteller) frei sprechen kann, soweit es sich um Schriftsteller handelt, denn unsere begabten Maler und Bildhauer denken darüber genau wie wir – dieser soziale (sic; Red.) Realismus hält die Kunst für ein Panoptikum und möchte am liebsten alle Gesetze der Form und Prinzipien der Kunst als Formalismus denunzieren und abschaffen. Ich selber opponiere dagegen.« Viel Zeit und Aufmerksamkeit widmete er Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre der Sammlung und Neuherausgabe seines Gesamtwerks. Daß der Aufbau-Verlag begann, »Ausgewählte Werke in Einzelausgaben« zu publizieren, erfüllte ihn mit großer Genugtuung. »Ausgewählte Werke« – das hieß aber auch Verzicht auf die Veröffentlichung von Arbeiten, die dem damals in der DDR herrschenden Geist widersprachen. Dazu zählte der Bericht »Freundschaft mit Freud«, eine Hommage an den Begründer der Psychoanalyse, den er hoch verehrte. Erst 1996 gelangte dieses Werk im Rahmen der neuen »Berliner Ausgabe« der Werke Zweigs in die Hände der Leser. Dafür entschädigten die »Ausgewählten Werke« mit der Veröffentlichung zahlreicher Essays, die entweder bereits vor 1933 (wie ein »Versuch über Lessing«) oder aber in Niederschönhausen geschrieben worden waren wie ein »Shakespeare-Schattenriß« aus dem Jahre 1955. Ein Band der »Ausgewählten Werke« enthielt seine in sechzig Jahren schriftstellerischer Arbeit verfaßten Gedichte. Diese verblüfften – wie der Autor dieses Aufsatzes aus eigener Erinnerung weiß – viele Leser, die in Zweig bis dahin nur den großen Romancier gesehen hatten. »Jahresringe« – so der Titel – präsentierte neben Balladen, politischer Lyrik und seiner Frau gewidmeten Versen vor allem auch zahlreiche Naturgedichte. Nach Arnold Zweigs Tod am 26. November 1968 wurde in der Homeyerstraße 13 sein literarischer Nachlaß betreut und verwaltet. Dabei erwarb sich seine langjährige Sekretärin Ilse Lange besondere Verdienste. Das Archiv (heute in der Akademie der Künste) enthält 32.000 Blatt Manuskripte, 80 Tage- und Notizbücher und 39.000 Briefe. Dazu kommt eine Bibliothek von 4.500 Bänden. Im Jahre 1987 öffnete hier auch ein Literaturmuseum seine Pforten, das allerdings wenige Jahre später seine Tätigkeit einstellen mußte. »Abgewickelt«.
Erschienen in Ossietzky 15/2010 |
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