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Hier erhielt sie eine Fülle von künstlerischen und geistigen Anregungen, die ihr Leben prägten: von ihren Eltern, dem Keramiker Jan Bontjes van Beek und der Tänzerin und Malerin Olga, von ihrem Onkel Otto Modersohn, der von der Künstlerkolonie Worpswede nach Fischerhude gezogen war, von der Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff und vom Ortsgeistlichen, der ihr Privatunterricht gab. Aus Fischerhude stammte, nebenbei bemerkt, auch der Liberaldemokrat Johannes Dieckmann, der von 1949 bis 1969 Präsident der DDR-Volkskammer war. Cato erlebte ein liberales, offenes Elternhaus. Sie lernte den Philosophen Theodor Lessing kennen, der 1933 von den Nazis ermordet wurde, den Worpsweder Maler und Sozialisten Heinrich Vogeler und den späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt, der von Hamburg aus seine Ferien oft in Fischerhude verbrachte. In den Jahren ihrer Kindheit vollzog sich ein sozialer und politischer Umbruch in ihrem Heimatdorf. Die meisten Familien, meist ohne Besitz und auf Pachtland angewiesen, mußten den Großbauern immer höhere Pacht zahlen und verarmten. Ausweg aus ihrer Not versprach ihnen ein Mitbürger, der sich aus kleinen Verhältnissen zum Holzgroßhändler heraufgearbeitet hatte und 1927 die NSDAP-Ortsgruppe gründete, Heinrich Peper. Sein Credo, das er bis 1945 immer und immer wieder verkündete, seit 1936 als Stellvertreter des Gauleiters von Ost-Hannover, lautete: »Der Jude, die schwarze Pest, will uns alle auffressen. Ehe Juda nicht verschwunden ist, gibt es weder Ruhe noch Frieden auf der Welt.« Solche Reden fielen bei den verarmten Bauern auf fruchtbaren Boden. So kam es, daß von der Reichstagswahl 1928 bis zur Reichstagswahl im November 1932 der Anteil der NSDAP von 19 Prozent der Stimmen auf 62 Prozent anstieg und der Anteil der SPD von 30 auf 11 Prozent fiel. Als Hitler 1933 Reichskanzler wurde, brachten es die Nazis in Fischerhude gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner, den Deutschnationalen, auf 89 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Das Mädchen Cato wuchs nach und nach in den Widerstand hinein. Als die Nazis 1939 den Krieg begannen, schrieb die Neunzehnjährige verzweifelt: »1933 wußte man, daß ein neuer Krieg kommen würde ... Alle bösen Kräfte und Instinkte werden wieder aufkommen.« In Berlin, wo sie damals in der Wohnung ihres Vaters lebte, erlebte sie den Abtransport jüdischer Nachbarn mit. Danach begann sie, Geld und Lebensmittelkarten zu sammeln, um anderen Juden zu helfen. Nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen versorgte sie verschleppte Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene mit warmen Handschuhen und Zigaretten. Im Herbst 1941 kam sie über Libertas Schulze-Boysen, die Ehefrau von Harro Schulze-Boysen, mit einer Widerstandsgruppe zusammen, die später unter dem von der Gestapo ersonnenen Fahndungsbegriff »Rote Kapelle« bekannt werden sollte. Gemeinsam mit ihrem Freund, dem sozialistischen Lyriker Heinz Strelow, verfaßte und verteilte Cato Flugblätter, die zum Widerstand gegen die Nazi-Diktatur aufriefen. In einem hieß es: »... Straft die SS mit Verachtung! Laßt es sie fühlen, daß das Volk Mörder und Spitzel aus tiefster Seele verabscheut!...« Das geschah zu einer Zeit, als diejenigen, die heute als die wahren Helden des Widerstandes gefeiert werden, die Verschwörer des 20. Juli 1944, noch eng mit Hitler verbunden und mit dessen Vernichtungspolitik einverstanden waren. So begrüßte Claus Schenk Graf von Stauffenberg die Vereinheitlichung der Befehlsgewalt des Oberbefehlshabers des Heeres und des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht in Hitlers Händen im Dezember 1941, und sein späterer Mitverschwörer Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg nahm zwar Anstoß an den Massenerschießungen russischer Menschen durch die Wehrmacht und die SS, aber »nicht aus menschenrechtlichen oder humanitären Erwägungen, sondern weil diese Morde willkürlich verübt wurden, befohlen von nicht standesgemäßen Unteroffizieren«. »Offiziere hätten schon solche Befehle geben können«, merkte der Historiker Klaus Fesche an. Cato wurde im September 1942 zusammen mit über 50 Frauen und 100 Männern verhaftet und am 18. Januar 1943 vom Reichskriegsgericht mit seinem Chefankläger Manfred Roeder, der später auch der Ankläger Dietrich Bonhoeffers war und den die Kirchengemeinde Fischerhude jetzt in einer Broschüre »einen der brutalsten Ausführungsgehilfen Hitlers nennt, zum Tode durch das Fallbeil verurteilt, einen Monat vor der Festnahme der Geschwister Scholl in München. Ein Gnadengesuch, das der Kirchenvorstand Fischerhude für sein Gemeindemitglied an »den Führer« richtete, wurde von diesem persönlich abgelehnt. So wurde das mutige Mädchen Cato am 5. August 1943 zusammen mit 16 weiteren Unschuldigen durch das Fallbeil in Plötzensee ermordet. Zusammen mit dem Todesurteil erging die Verfügung »zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte«. Sie wurde erstmals wirksam, als der zuständige Superintendent die Todesnachricht mit einem Sterbegeläut und einem Gebet für die Ermordete öffentlich bekannt machte: Ohne Haftbefehl wurde er umgehend festgesetzt und drei Wochen lang in Gestapo-Haft gehalten. Nach 1945 hatte Hitlers Verdikt weiterhin Bestand – mit Hilfe seines Blutjuristen Roeder. Zwar hatte der ehemalige preußische Kultusminister Adolf Grimme, der selbst mit knapper Not der Mordmaschinerie Roeders entkommen war, schon 1945 gegen ihn eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung erstattet, doch die Lüneburger Staatsanwaltschaft stellte 1951 das Ermittlungsverfahren mit der Begründung ein, die Prozesse vor dem Reichskriegsgericht seien ordnungsgemäß abgelaufen, die Angeklagten hätten Landesverrat begangen (s. Ossietzky 23/02). Diese Auffassung verbreitete später auch der Spiegel-Reporter Heinz Höhne. In seinem 1970 erschienenen Buch »Kennwort Direktor. Die Geschichte der Roten Kapelle« heißt es: »Die besondere Art ihres Kampfes, eben die Spionage für eine auswärtige Macht, sperrt die engeren Freunde Schulze-Boysens und Harnacks aus der Gemeinschaft der Widerstandskämpfer aus ... Eine solche Art des Widerstands konnte auch der demokratische NS-Gegner nur als bedauerliche Verirrung werten ...« Mit seinem Wort »Ich habe als deutscher Richter nur meine Pflicht getan« war Roeder im Adenauer-Staat gut angekommen, ebenso wie der Rassengesetz-Kommentator Globke als Staatssekretär im Bundeskanzleramt oder der an der Planung des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion beteiligte Adolf Heusinger als Generalinspekteur der Bundeswehr. Nach einem Zwischenspiel bei der neofaschistischen Sozialistischen Reichspartei in Niedersachsen wurde Roeder »ein angesehenes und aktives Mitglied der hessischen CDU«, amtierte »für mehrere Jahre als stellvertretender Bürgermeister seiner Taunus-Gemeinde Glashütten« und »lebte dabei glücklich und in Frieden«, wie die Widerstandshistorikerin Anne Nelson richtig bemerkte. Was den stellvertretenden Gauleiter Heinrich Peper aus Fischerhude betrifft: Er verbrachte nach dem Krieg einige Jahre unter falschem Namen, bis er eines Tages in seinem Heimatdorf auftauchte. Bald war er als Lichtmaschinenfabrikant wieder der größte Arbeitgeber des Dorfes, Vorsitzender im Schützenverein und seine Frau Vorturnerin in der Frauenriege. Beide wohnten in einem komfortablen Bungalow am Rande des Dorfes. Über das Mädchen Cato wollte er nicht sprechen; er wollte ja auch nur noch in Frieden leben, wie so viele im Dorfe. So enthält die Ortschronik des Vereins für Niedersächsisches Volkstum von 1958 keinen Hinweis auf das Schicksal der Ermordeten, und auch im »Lexikon des Widerstandes 1933–1945« von 1994 gibt es keinen Artikel oder auch nur ein Wort, das an Cato Bontjes van Beek erinnert. Das könnte sich ändern durch das anrührende Buch von Hermann Vinke (»Cato Bontjes van Beek – ›Ich habe nicht um mein Leben gebettelt‹«, Arche Verlag, 222 Seiten, 18 Euro) und die neueste Veröffentlichung von Anne Nelson zur »Roten Kapelle« (»Die Rote Kapelle«, C. Bertelsmann Verlag, 507 Seiten, 24,95 Euro). Bei der Erinnerung an das tapfere Mädchen aus Fischerhude wird man allerdings nicht mehr die Lebenswege ihrer Ankläger und Richter aussparen können und auch nicht der Frage ausweichen, wie es kam, daß der Geist des Unrechts und der Verbrechen im Adenauerstaat so bereitwillig Aufnahme und Anerkennung fand.
Erschienen in Ossietzky 13/2010 |
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