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In vielen Ländern, auch in Deutschland, auch in Israel, fanden in den vergangenen Tagen Demonstrationen statt, deren TeilnehmerInnen gegen die maßlose Gewaltanwendung der israelischen Soldaten in internationalen Gewässern protestierten und die Aufhebung der völkerrechtlichen Blockade forderten. Über den nächtlichen Überfall der israelischen Streitkräfte auf die sechs Schiffe unseres Konvois besteht in vielen Einzelheiten bis heute noch keine Klarheit. Wir wissen: Zahlreiche TeilnehmerInnen wurden erschossen, dutzende wurden verletzt. Die genauen Zahlen sind noch nicht bekannt. Wir wissen auch nicht, wie viele nach mehr als einer Woche noch immer inhaftiert sind. Der Presse wurde verboten, die Bedingungen in den israelischen Gefängnissen zu dokumentieren. Ein Verbrechen gegen die MenschlichkeitIsrael wäre nie in der Lage gewesen, einen derart brutalen Angriff zu starten, wenn nicht vorher beim Gaza-Krieg, beim Libanon-Krieg wie auch bei den anderen israelischen Aktionen die USA und EU-Staaten immer ein Auge zugedrückt und es bei einer lauen Kritik belassen hätten. Wenn sie nicht ihre Politik radikal ändern und die Gespräche, die sie führen, mit Druck und Sanktionen begleiten, werden wir ähnliche Vorfälle wahrscheinlich in nächster Zukunft wieder erleben, und die Strangulierung des Gaza-Streifens wird weitergehen. Wir haben im internationalen Strafrecht einen Artikel, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ächtet. Wenn es so etwas gibt, dann ist es gegenwärtig die Blockade des Gaza-Streifens. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir haben jetzt bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige gegen die Verantwortlichen dieses Piratenaktes gestellt, u.a. wegen Entführung, Freiheitsberaubung, Raub. Zu überlegen ist auch, ob wir die Bundesregierung auffordern, in der UNO-Generalversammlung einen Beschluß herbeizuführen, der ein Gutachten beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag über die Rechtswidrigkeit des Vorgehens der israelischen Marine anfordert. Eine Klage gegen Israel wegen Entführung deutscher Staatsangehöriger und Beraubung ist nicht möglich, weil sich Israel nicht der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs unterworfen hat. Norman Paech Alle TeilnehmerInnen hatten sich schriftlich zu einer friedlichen Mission verpflichtet. Die Boote wurden auch vor Auslaufen auf Waffen hin untersucht. Wir hatten damit gerechnet, daß die Israelis unser Boot abdrängen und umleiten würden, aber nicht, daß das israelische Militär uns so brutal überfällt: Am 31. Mai gegen 4.20 Uhr wurden wir von einem Besatzungsmitglied aufgefordert, Schwimmwesten anzuziehen, da israelische Marine das Schiff umringt hatte. Wir Frauen wurden aufgefordert, im Frauendeck zu bleiben; die Türen seien geschlossen. Um 5.10 Uhr gab der Kapitän über Lautsprecher bekannt, israelische Soldaten hätten die Kontrolle über das Schiff, wir sollten keinen Widerstand leisten. Etwa eine Stunde später kam die Aufforderung, ins Männerdeck zu gehen. Auf dem Weg dorthin sah ich einen Verletzten. Im Männerdeck waren zunächst keine Soldaten, sie standen draußen mit Waffen im Anschlag. Wir Deutschen wurden aufgefordert, einzeln aufs Außendeck zu kommen. Ich musste meine Bauchtasche öffnen, zeigte meinen Diplomatenpaß. Mein Bleistift und mein Kuli wurden auf den Boden geschmissen, alles andere (darunter Portemonnaie und MP3-Player) durfte ich zunächst behalten. Mir wurden auf dem Rücken mit Kabelbinder die Hände gefesselt, ich durfte mich auf eine Bank setzen. Später wurden bei allen Frauen die Kabelbinder durchschnitten. Ein älterer Mann, der mir gegenübersaß, wollte zum WC. Er bat mehrmals vergeblich darum. Ich sagte einem Soldaten, er solle den Mann doch gehen lassen. Der Soldat ging nicht darauf ein.. Später hat der Mann in seine Hose uriniert. Auch als nachher Kekse und Wasser ausgeteilt wurden, blieb eine Atmosphäre von Terror und Bedrohung, weil Soldaten immer ihre Finger am Abzug hatten. Ich hoffte, daß niemand überreagiert und »aus Versehen« schießt. Erst nach 21 Uhr, nachdem ich zweimal um Kontakt zur deutschen Botschaft gebeten hatte, durften wir das Schiff verlassen. Niemand in Deutschland hatte bis dahin erfahren, wo ich bin und ob ich gesund bin. Jetzt werden überall israelische Videos gezeigt. Die israelische Marine hat die absolute Bildhoheit über die Vorfälle. Viele von uns hatten Aufnahmen gemacht, aber alle Kameras und Videogeräte wurden uns abgenommen. Die israelische Marine steckte auch all unsere Filme ein. Wir haben also keine visuellen Beweismittel gegen israelische Behauptungen, nur uns selbst als Augenzeugen. Nochmals weise ich Vorwürfe, die das friedliche Ansinnen unseres Konvois in Frage stellen und eine Verbindung zu »islamischen Terroristen« unterstellen, zurück. Diese Vorwürfe dienen offenkundig nur dem Zweck, von dem rechtswidrigen israelischen Angriff auf die Schiffe und der Völkerrechtswidrigkeit der Blockade abzulenken.
Erschienen in Ossietzky 12/2010 |
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